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Tanzender Stern

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
14.09.2018. Sein Tod ist nicht nur ein persönlicher Schmerz, er versinnbildlicht vielmehr den Untergang einer Ära und einer Art und Weise, sich künstlerischen Werken zu nähern. Nachruf auf den großen Fotobuch-Verleger Hannes Wanderer.
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Es gibt den Tod als höchst privates Ereignis - als Stich ins Herz, als unsichtbare Wunde, die man von da an mit sich herum trägt. Dann gibt es den Tod einer Person des öffentlichen Lebens, die in dem, was sie und wie sie es gemacht hat, eine Hilfe darin war, sich in der Welt zu orientieren und sich auszudrücken. Oft ist das mit Filmen verbunden, Musik, Mode, Büchern, durch deren genussvollen Gebrauch sich ein Geflecht von Gesten und Einstellungen ausbildet, die es ermöglichen, Gleichgesinnte zu finden, Freundschaften zu schließen. Bleibt als ein Drittes der Tod eines Menschen, mit dem man über die Arbeit oder ein leidenschaftlich geteiltes Hobby in einer Weise verbunden war, dass seine Meinung und sein Wissen mit der Zeit zu einem festen Bestandteil des eigenen Denkens und Handelns wurden.

In Hannes Wanderers Tod mischen sich diese unterschiedlichen Formen des unersetzlichen Verlustes in einer Weise, dass man mit Gustav Mahler sagen könnte, er ist der Welt abhanden gekommen. Sein Tod ist nicht nur ein persönlicher Schmerz, er versinnbildlicht vielmehr den Untergang einer Ära und einer Art und Weise, sich künstlerischen Werken zu nähern. Einer nicht absehbaren Schar von Menschen - FotografInnen, StudentInnen, LiebhaberInnen besonderer Bücher - wird zudem der entscheidende Ansprechpartner entzogen, dessen Kompetenz in Bezug auf die Konzeption und Herstellung von Fotobüchern wohl einzigartig war.


© Florian von Ploetz (2015)

Wanderer hat das Handwerk des Büchermachens von der Pieke auf gelernt. Groß geworden in der 1899 im niedersächsischen Bad Münder gegründeten Druckerei seiner Familie, hat er die Entwicklung von einem rein mechanischen zu einem elektronischen und schließlich zu einem in der digitalen Welt verankerten Medium mit vollzogen. Er blieb immer auf dem neuesten Stand, niemand konnte ihm in Bezug auf Farben, Druckwalzen, Bindemittel oder Papiere etwas vormachen. Dasselbe lässt sich über seine Virtuosität in der Bildbearbeitung, seine Vorstellung von Design und seinen ausgeprägten Sinn für Texte sagen, die viele Bücher erst zu dem gemacht haben, was sie sind. Allenfalls Gerhard Steidl wird man ihm dahingehend in Deutschland an die Seite stellen können.

Während sein Bruder Jochen den heimatlichen Betrieb übernahm und mit ihm bis zuletzt Bücher gedruckt hat, zog es Hannes Wanderer nach Berlin. Nach einem Intermezzo in der Werbung erscheint 2004 das erste Buch unter dem Label "Peperoni Books": "Time Out" - Tausende leer stehender Geschäfte hat Wanderer für das Buch in Berlin fotografiert. Das Buch war ein Erfolg, die Fotos wurden in mehreren Ausstellungen gezeigt - Wanderer hätte es auch als freier Fotograf versuchen können. Aber die Faszination für die Ideen und die Projekte anderer war größer als der Wunsch, selbst Künstler sein zu wollen. Ob das für ihn die richtige Wahl oder ob sie lediglich dem Umstand geschuldet war, dass er prinzipiell viel zu wenig Aufhebens um sich gemacht hat, sei dahin gestellt. Ein Glück für die Fotobuch-Community auf der ganzen Welt war es mit Sicherheit.


Ein Höhepunkt: Michael Wolfs Werk (2017)

Als Wanderer 2008 auch Buchhändler wurde und den Fotobuchladen "25Books" in Berlin eröffnete, war er zwischen Berlin und New York zur Marke geworden. In seine Liste der aktuell 25 maßgeblichen Bücher aufgenommen zu werden, galt in der Branche fortan als Ritterschlag. Höhepunkte sind unter anderem die kongeniale Präsentation des Gesamtwerks von Michael Wolf und die Entdeckung von Mary Freys Fotos aus den siebziger und achtziger Jahren.

Der verlegerische Ruhm und seine große Beliebtheit als Dozent an der Rodchenko School in Moskau oder der Hartford Art School haben ihn nicht verändert. Uneitel und gegen jede Schmeichelei immun, gab er nichts auf Prominenz oder klingende Referenzen in Lebensläufen. Es gab und gibt wohl keinen anderen Fotoverleger dieses Rangs, der so unterschiedlichen, in der Szene unbekannten Quereinsteigern eine Chance auf eine Veröffentlichung in seinem Verlag bot wie er.


Das letzte, zu Lebzeiten veröffentlichte Peperoni Book

Wanderer, dem Bob Dylan ein Bruder im Geiste war, hat als Jugendlicher die siebziger Jahre noch erlebt, als eine kontroversielle Widerständigkeit und die Sache an sich im Gegensatz zu heute wichtiger waren als ein möglichst konfliktfreies Wohlgefühl und der Profit, der sich aus der Sache schlagen lässt. Letzteres hat er mit der Zeit jedoch allzu oft aus den Augen verloren und sich geschäftlich dadurch in die Bredouille gebracht. Erschwerend hinzu kamen die für mittelständische Buchhändler und Verlage katastrophalen Entwicklungen am Buchmarkt, die dazu führten, dass Bücher, die Wanderer noch zum regulären Preis in seiner Buchhandlung zu verkaufen suchte, im Internet längst mit fünfzig Prozent Rabatt zum Abverkauf standen.

Anders als Steidl oder Schirmer und Mosel hat Wanderer keine Peperoni Books zum Abverkauf freigegeben, die er erst wenige Monate zuvor herausgegeben hatte - das war mit seinem Begriff von Qualität und seinem Respekt vor KünstlerInnen und ihren Werken schlicht nicht vereinbar.


© Pierfrancesco Celada (2018)

Während der Suhrkamp Verlag viele Jahre nach Siegfried Unselds Tod noch als äußerst lebendige Ruine dasteht, ist Peperoni Books ohne die Person Hannes Wanderer nicht nur undenkbar, sondern schlicht unmöglich, da er allein alle Fäden in der Hand hielt, sich alle Abläufe und alles Know-How in ihm bündelte und der Betrieb ausschließlich durch seinen unermüdlichen Einsatz am Laufen gehalten wurde.



























© Nathaniel Grann (2018)

Mit seiner Besessenheit und der nur ihm zugänglichen Ordnung in seinem kreativen Chaos hat Hannes Wanderer mit Peperoni Books und 25Books ganz im Sinne Nietzsches einen tanzenden Stern geboren. Er aß, trank und atmete Fotografie. Es ist in seinem Fall keine Übertreibung zu behaupten, dass er sein Leben für sie gab. Sein jäher und mit sechzig Jahren viel zu früher Tod reißt eine Lücke in die deutsche Fotolandschaft, die sich nicht wieder schließen lässt.

Peter Truschner