Fotolot

Rigider Klassismus

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
27.07.2022. Das Wiener Leopold-Museum bietet mit der Ausstellung "Geschäfte mit Kopien - Der fotografische Kunstverlag Otto Schmidt" einen interessanten Einblick in die frühe Kommerzialisierung der Fotografie. Am besten liefen natürlich die Akte. Problematischer und unheimlicher sind aber die Fotosammlungen nach "Typen".
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Hochsommerliche Beiträge von Fotolot haben traditionell ein bisschen fragmentarischen und leicht hedonistischen Charakter, meinem süßen Nichtstun geschuldet. Diesmal liegt es jedoch an der großen Hitze und meiner in dieser Zeit eher unüblichen, intensiven Arbeit im Studio, bei der auch nebenher so einiges anfällt, um die leicht überdrehte Meute bei Laune zu halten, zuletzt mit marinierten Wolfsbarschfilets und Pastis Grand Cru von Henri Bardouin aus der Provence. Zur finalen Selbstfeier nach getaner Arbeit steht die Anmietung einer Partyinsel auf der Alten Donau im Raum - na, mal sehen.

Insofern schließe ich diesmal im Folgenden an Dinge an, die im Fotolot schon angesprochen wurden (ohne dabei natürlich Resteverwertung zu betreiben und die LeserInnen zu langweilen).

Zuerst ein Nachtrag zu meinem kleinen Österreich-Schwerpunkt vom 24. Juni.

Bis zum 28. August zeigt das Wiener Leopold Museum noch die Ausstellung "Geschäfte mit Kopien - Der fotografische Kunstverlag Otto Schmidt".
Eigentlich etwas, das mich vom Titel her nicht vom Hocker reißt. Generell habe ich mit der vor allem auf dem akademischen Feld stark ausgeprägten Neigung, kunsthistorisch in die Zeit von Nièpce und Daguerre zurückzukehren, ebenso wenig am Hut wie mit Arbeiten, die im Jahr 2022 immer noch auf Barthes und Benjamin herumreiten (ganz schlimm vor allem dann, wenn man dazu glaubt, dem Zeitgeist Genüge tun und etwa Donna Haraway ins Spiel bringen zu müssen).

Es ergab sich jedoch, dass ich bei einer Führung des Kurators Michael Ponstingl durch die Ausstellung zugegen war. Zum Glück, denn Ponstingls Vortrag war kurzweilig, eloquent und von stupendem Detailwissen, sodass die BesucherInnen ihn derart mit Fragen löcherten, dass Mitarbeiter des Museums am Ende baten, man möge doch zu einem Ende kommen. Ponstingls Kompetenz darf dabei nicht überraschen. Langjähriger Fotokurator der Albertina und heute wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fotoinstituts Bonartes, forscht und schreibt er nun seit gut zehn Jahren zu dem Thema.

Worum geht es?

Aufgrund der rasch wachsenden Anzahl von Fotoateliers wurde es (nicht nur) in Wien ab Mitte des 19. Jahrhunderts schwierig, von individuellen Aufträgen zu leben. So entstand ein Handel mit Kopien, die in Zeitschriften, Büchern und auf Postkarten rege  Verbreitung fanden. Aus Berufsfotografen wurden Fotoverleger wie Otto Schmidt, der unter anderem auch das Potenzial der Fotografie als Vorlage für die damals ungleich höher gestellte und allseits betriebene Malerei erkannte.

© Mila Palm (Wien)


In den achtziger Jahren hatte er es zu einer stattlichen Sammlung von etwa viertausend selbst fabrizierten Fotos zu Studienzwecken gebracht (Landschaft, Architektur, physiognomische Studien). Der angesagte Historismus erforderte zudem Vorlagen aller Epochen von der griechischen Klassik bis zum Barock, die Theaterbegeisterung der damaligen Zeit spiegelte sich in privaten und kostümierten Porträts von SchauspielerInnen wider.

Das einträglichste, schon damals weltweit organisierte Geschäft waren aber - wie könnte es anders sein - die nicht selten in Form eines offenen Geheimnisses vertriebenen Aktstudien. Schmidts Archiv umfasste rund achttausend Aufnahmen von Sujets aus diesem Bereich. Zahlreiche Gerichtsprozesse zeugen vom Kampf um die Frage, was noch als "künstlerisch" durchging oder schon "unzüchtig" war - selbstredend, dass diese Scharmützel um Sitte und Anstand einen immensen Werbeeffekt hatten und Schmidt auf diesem Sektor zu einem der größten Player über das Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie hinaus machten. (Anfangs waren die Modelle übrigens namenlos und unterbezahlt, mit der Zeit wurde ihr Name genannt, sie wurden besser bezahlt und hatten ein gewisses Mitsprachrecht in Bezug auf das, was in Umlauf gebracht wurde.)

Ein wichtiger Punkt ist dabei schon damals das Edieren: ob das Negativ zur Gänze reproduziert oder nur ein Ausschnitt gezeigt wird; ob das Positiv nachbearbeitet wird (Kolorierung wurde mit der Zeit recht beliebt): in welchen visuellen oder textuellen Kontext das Endergebnis gestellt wird.  
Die in der Ausstellung nicht nach Werkgruppen, sondern nach Aspekten der Produktion, Zirkulation und Konsumtion gezeigten Fotografien sind wirklich interessant anzuschauen, wobei ich bekenne, dass ich mich anfangs vor allem für die Aktstudien interessierte, nicht zuletzt, weil ich selbst ein (wenn auch ganz anderes) Buch zu dem Thema veröffentlicht habe und durchwegs nackte Frauen die Grundvoraussetzung für das liefern, was sich seit Längerem in meinem Atelier abspielt.

Als ungleich komplexer und politisch brisanter stellen sich jedoch Serien heraus, die um das Thema "Typen" kreisen, und die letztlich darauf hinauslaufen, visuelle Stereotypen mit großem Wiedererkennungs-Effekt zu schaffen. Angefangen mit Schmidts Serie "Wiener Typen" von 1873,  die "in nostalgisch-verklärendem Stil gewissermaßen eine kleine Ethnografie der Reichshauptstadt" (Ponstingl) bot, wird daraus: die herzlich-derbe Marktfrau; der honorige Professor; das süße Vorstadtmädel; der schneidige Leutnant; die verführerische Schauspielerin; der verschlagene Zigeuner. Letztlich ein Sammelsurium all dessen, was man damals unreflektiert in beliebten Lustspielen und Operetten zur Aufführung brachte, und dessen rigider (sexistischer, rassistischer) Klassismus in raren Stücken wie Schnitzlers "Reigen" kenntlich gemacht wurde.

© Photoinstitut Bonartes





























Politisch heikel ist das nicht zuletzt in einer Zeit, die verrückt ist nach Kategorisierungen und Klassifikationen aller möglichen Phänomene, ob von Tieren, sozialen Klassen, ethnischen Gruppen oder indigenen Völkern, dabei nicht selten bewertet anhand nationalistisch-imperialistischer Blaupausen wie zivilisiert/primitiv, wert/unwert. Seinen Niederschlag findet das Ganze mit der Zeit letztlich sowohl im kapitalistischen Verwertungszusammenhang als auch der faschistischen und kommunistischen Propaganda und der (nicht nur) nationalsozialistischen Rassenlehre.

Jene, die die Ausstellung nicht besuchen können, verweise ich auf den beim Salzburger Verlag "Fotohof" erschienenen, gleichnamigen Katalog, der abseits von Ponstingls das Thema vertiefenden Text einfach ein wunderbares Bilderbuch ist: auf 296 Seiten gibt es insgesamt 438 Abbildungen - unbedingt anschauen!



Michael Ponstingl (Hg.): Geschäfte mit Kopien. 296 Seiten, 19x24 cm, Softcover. Fotohof Edition, Salzburg 2022, 35 Euro. ISBN: 978-3-903334-41-0
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In aller Knappheit noch die zweite Ergänzung, diesmal zum letzten Fotolot über das Festival in Arles - ein Beitrag, den man als meine Hommage an Karl May ansehen kann, da ich nicht vor Ort war. Zu überschaubar erschienen mir das ganze Pressematerial und die zusätzliche Recherche, als dass ich mich dazu überwinden konnte, mich auf den Weg zu machen.

Im Artikel habe ich zwar das nun seit ein paar Jahren andauernde Abfeiern von Susan Meiselas kritisiert, jedoch lobend die zweibändige Ausgabe im Schuber ihrer "Carnival Strippers" erwähnt. Da Zweiteres offenbar ein wenig unterging, hier noch mal in aller Deutlichkeit: Einfach eine wundervolle Ausgabe - mit hochinteressanten, kleinen Erzählungen der Stripperinnen über ihr Leben, ihre private und berufliche Situation plus einem "Making of" samt Kontaktabzügen -, deren Erwerb ich trotz des happigen Preises allen FotofreundInnen noch mal ans Herz legen möchte - am besten natürlich bei eichendorff21, dem Buchladen des Perlentaucher.



Susan Meiselas: Carnival Strippers. 304 Seiten, 23,5 x 27, 5 cm, Hardcover im Schuber. Steidl Verlag, Göttingen 2022, 85 Euro.  ISBN: 3969990025









Schönen Sommer wünscht

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de