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Karrieren im High End-Segment

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
21.03.2020. In Zeiten des Shutdowns und Zuhausebleibens ergibt sich als Nebeneffekt für den einen oder die andere vielleicht die Gelegenheit, sich eingehender mit Büchern, Filmen und Videos zum Thema Fotografie zu beschäftigen, als das im Alltag normalerweise möglich ist. Ein Streifzug.
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In Zeiten des Shutdowns und Zuhausebleibens ergibt sich als Nebeneffekt für den einen oder die andere vielleicht die Gelegenheit, sich eingehender mit Büchern, Filmen und Videos zum Thema Fotografie zu beschäftigen, als das im Alltag normalerweise möglich ist. Aus diesem Anlass daher nun ein paar Tipps für die nächste Zeit.

© The Winogrand Found./University of Texas Press




















Immer noch ganz oben auf der Liste all jener Foto(buch)liebhaber*innen, die über gute Englischkenntnisse verfügen, sollte Geoff Dyers in jeder Hinsicht herausragendes Buch über Garry Winogrand stehen, "The Street Philosophy of Garry Winogrand", das ich im Fotolot (hier) schon ausführlich besprochen habe. Anhand von hundert ausgewählten Fotos bietet das Buch eine grandiose Zeitreise von den Fünfzigern bis in die achtziger Jahre. Winogrand hält die großen und kleinen Straßendramen seiner Protagonisten ebenso akribisch fest wie die Verfasser*innen großer, realistischer Romane. "Man könnte einen Balzac'schen Roman aus Winogrands Charakteren entwerfen", meint dementsprechend Dyer, da sie sowohl Individuen als auch repräsentative Typen ihrer Zeit sind.

Dyer selbst ist ein brillanter Stilist, dazu Kosmopolit und Universalgelehrter, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass außer von Winogrand noch von Sigmund Freud, Walt Whitman, James Joyce, Miles Davis, Albert Camus, Richard Ford, Damien Hirst, Zadie Smith, Francis Bacon, Tom Wolfe, Diane Arbus,  T.S. Eliot, George Eliot, Alfred Hitchcock, Spike Lee, Dennis Hopper, Cindy Sherman und vielen anderen die Rede ist.

Zu Winogrand gibt es als DVD auch Sasha Waters Freyers bildintensive Doku "All things are photographable" (hier).

© The Mapplethorpe Found./Serralves




























In der Berliner Galerie Thomas Schulte werden leider gerade notgedrungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einer Ausstellung die legendären  "XYZ"-Portfolios von Robert Mapplethorpe gezeigt - von ihm selbst ausgewählt jeweils dreizehn Fotos aus der New Yorker SM-Schwulenszene, Blumen und Akte afroamerikanischer Männer (hier). Über den prachtvollen (aber sehr teuren) Blumen-Band bei Phaidon hatte Thierry Chervel hier 2017 geschrieben: "Nicht Mapplethorpes Blumen sind also sexualisiert, seine Bilder vom Sex sind ikebanisiert."

Als Ersatz für den Besuch der Ausstellung gibt es eine umfangreiche Auswahl von Mapplethorpes Fotografien im gleichnamigen Hardcoverband von Schirmer und Mosel für aktuell nur noch 30 Euro. Wermutstropfen dieser Auswahl: Sowohl Anzahl als auch Auswahl der Fotos aus dem Hardcore - Bereich sind sehr zurückhaltend, weshalb ich mir als Fan gleich die 400 Seiten starke, ultimative Auswahl bei Serralves gönnen würde, die zwar doppelt so viel kostet, jedoch in Umfang und Kompromisslosigkeit der ausgewählten Bilder konkurrenzlos und schlicht ein Buch fürs Leben ist.

Zudem gibt es auf DVD und als Stream die Doku "Look at the Pictures!" (hier), die minuziös Mapplethorpes Werdegang nachzeichnet und nicht zuletzt dadurch beeindruckt, dass sie ungeschönt zeigt, wie berechnend Mapplethorpe seine Karriere betrieb und Leute dafür benutzte. Als Außenseiter in einem Medium, das als Kunst noch nicht ernst genommen wurde, blieb ihm wohl schlicht nichts anderes übrig, wollte er es zu etwas bringen. Heute ist diese Form von Ehrgeiz und Kalkül längst keine individuelle Disposition mehr, sondern fester und akzeptierter Bestandteil sowie Grundvoraussetzung für Karrieren im High End-Segment des Kunstbetriebs.

© Thomas Hoepker, Peperoni Books



















Mit "Black Lives Matter" hat das Thema des alltäglichen und strukturellen Rassismus gegenüber der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA medial und politisch an Gewicht gewonnen.

Gegründet wurde die Bewegung 2013 unter dem Eindruck des skandalösen Freispruches des Wachmanns George Zimmermann, der zuvor den 17-jährigen afroamerikanischen Trayvon Martin erschossen hatte. Im Jahr darauf töteten Polizisten unter äußerst fragwürdigen Umständen den erst 18-jährigen Michael Brown und den 43jährigen Eric Garner. In beiden Fällen kam es zu keiner Anklage.

Ein immer wiederkehrender Kritikpunkt ist dabei das "Racial Profiling", ein auf rassistischen Kriterien beruhendes Vorgehen der Polizei, das etwa in der ab 2001 in New York angewandten "Stop and Frisk" - Politik der New Yorker Exekutive nachgewiesen werden konnte: 87 Prozent der willkürlich und ohne jeden Verdachtsmoment angehaltenen und kontrollierten Personen waren Afroamerikaner oder Latinos.

Wer wie ich Ende der sechziger Jahre geboren ist, hat noch viel von der ungeteilten Bewunderung für Martin Luther King mitbekommen. Die eher ambivalente Sicht auf Malcolm X. Hat Artikel über den Ku Klux Klan ebenso gelesen wie Ralph Ellisons epochalen Roman "The Invisible Man". Hat Filme gesehen wie "In der Hitze der Nacht", "Flucht in Ketten" und "Shaft" oder Muahmmad Alis und George Foremans Rumble in the Jungle.
Nicht wenige haben diese Art von Flickwerk-Wissen und die dazu gehörenden Bilder im Kopf. Wer es einmal chronologisch und im Detail zu einer großen Erzählung über den Kampf der afroamerikanischen Bevölkerung um Gleichberechtigung komplettieren möchte, dem sei das bei Phaidon erschienene, 512 Seiten starke, mit einer unvergleichlichen Menge großartiger Fotos ausgestattete Standardwerk "Freedom - A Photographic History of the African American Struggle" (hier) dringend ans Herz gelegt. Ein Buch, zu dem man über die Jahre immer wieder greift, immer wieder von Neuem durchblättert. Und das Ganze für nur etwas mehr als 40 Euro.

© Fondation HCB, Thames and Hudson




















Bei artbooksonline gibt es übrigens (immer noch) das Hardcover-Faksimile von Henri Cartier-Bressons vielleicht schönstem Buch - das "Scrapbook" mit Fotografien aus den Jahren 1932-46 um 30 Euro. Schlicht ein Must-Have.

Zum Abschluss einige Links zu sehenswerten Dokumentationen auf Youtube.
Die Videos sind alle zwischen 40 und 80 Minuten lang, sodass man wirklich einen Eindruck von der Arbeit der jeweiligen Fotograf*innen und ihrer Zeit erhält.

The Many Lives of William Klein

Guest of Cindy Sherman

Diane Arbus

Pen, Brush and Camera - Henri Cartier Bresson

Ansel Adams - The American Landscape

Dorothea Lange - an American Oydssee

Alfred Stieglitz (und Edward Steichen, Georgia O'Keefe,...)

Joel Meyerowitz - Street Photography (1981)


Peter Truschner

truschner.fotolot@perlentaucher.de