Fotolot

Nicht auf Dauer angelegt

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
08.01.2020. Für Berlin war das Kunst- und Fotojahr 2019 eher ein trauriges. Namhafte Galerien haben geschlossen, die musealen Institutionen erschöpfen sich in Routine, die Art Berlin schließt ihre Tore, der Kunstmarkt ist hier quasi inexistent, in der ganzen deutschen Kunstszene  gibt es einen Trend zu Musealisierung und Bürokratisierung, vorangegetrieben durch eine mutlose Kulturpolitik, die die größten Summen nur mehr in Gebäude und festes Personal investiert. Aber es gibt Grund zu Optimismus: Es kann nur besser werden.
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Es gehört zu den gängigen gesellschaftlichen Ritualen, optimistisch ins neue Jahr zu gehen. Hilfreich ist dabei, retrospektiv die erfreulichen Ereignisse des vorüber gegangenen Jahres ins Auge zu fassen in der Hoffnung, sie mögen sich mehren oder zumindest nicht weniger werden. Für das Fotolot war vor allem die zweite Jahreshälfte sehr ergiebig: die großen Retrospektiven von Sally Mann in Paris und Cindy Sherman in London; die Paris Photo; außergewöhnliche Fotobücher jüngerer Künstler*innen wie Mari Katayama und Sohrab Hura  - um nur einige herausragende Ereignisse zu nennen.

Auf den ersten Blick also eine erfreuliche Angelegenheit.

Setzt man zur näheren Betrachtung jedoch eine deutsche oder gar eine Berliner Brille auf, sieht die Sache leider ganz anders aus.

Die Berliner Kunstszene hatte zum Ausklang des Jahres 2019 Nackenschläge zu verkraften, für die Gegenwartsfotografie stellt sich die Situation noch mal komplizierter dar.

Kurz nachdem im November eine Umfrage unter Berliner Galerien für Bestürzung sorgte, in der lediglich drei von hundert befragten Galerist*innen angaben, noch einmal eine Galerie in Berlin eröffnen zu wollen, stellte der Betreiber Kölnmesse die Art Berlin ein, so dass 2020 die (ohnehin mehr gefühlte als reale) Kunsthauptstadt über keine Kunstmesse mehr verfügt.

Als maßgebliche Gründe für das Scheitern werden neben der überwiegenden Unrentabiliät (35 Prozent der Galerien kamen noch nicht einmal auf einen Umsatz von 50.000 Euro im Jahr) mangelndes Engagement von Seiten der öffentlichen Hand genannt, die nicht vorhandenen Ankaufsetats der Museen und nicht zuletzt die Anhebung der Mehrwertsteuer von sieben auf neunzehn Prozent.

Die Berliner Fotoszene musste sich - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - von drei Säulen verabschieden. Nachdem Ende 2018 schon die traditionsreiche Galerie Kicken zusperrte, schloss vor der Sommerpause die Fotoinstitution "Pavlov's Dog" ihre Tore. In früheren Jahren war es bei Ausstellungen manchmal kaum möglich gewesen, den Raum in der Bergstraße zu betreten und in Ruhe die Fotos zu betrachten, so dicht drängte sich das Publikum bis auf den Gehsteig hinaus. Zum Schluss war Betreiber Michael Biedowicz teilweise gezwungen, Gefälliges aus dem Bereich der Bildenden Kunst auszustellen, da mit der Fotografie allein kein Staat mehr zu machen war.

Die Schotten dicht macht auch die Galerie Wagner und Partner, die zwar mehrheitlich auf Bildende Kunst spezialisiert war, aber auch prominente fotografische Positionen wie die von Erwin Olaf oder Thomas Wrede und zum Schluss noch einmal Werke von Alexandra Baumgartner zeigte, deren filigranes Talent mühelos zwischen Grafik, Fotografie und skulpturalen Installationen oszilliert.

© Alexandra Baumgartner




Ebenfalls ihre Ausstellungen eingestellt hat eine andere namhafte Fotoadresse: "Only Photography". Die Begründung des Betreibers Roland Angst ist es wert, in Auszügen zitiert zu werden: "Die fehlende Resonanz in Berlin stand im krassen Gegensatz zu der auf den Messen, vor allem in New York und Paris. Um uns - aber vor allem den Künstlern - Enttäuschungen zu ersparen, habe ich mich auf die Produktion meiner Bücher (...) und Messeteilnahmen konzentriert. Fragwürdige Entscheidungen im institutionellen Bereich der Fotografie in Deutschland (...) haben mich in meinem Entschluss bestärkt."

Was den ersten Punkt betrifft, muss man Angst zustimmen: Die Nachfrage nach Gegenwartsfotografie ist auf den genannten Messen und in den genannten Städten ungleich größer als in Berlin. Die Berliner*innen sind ein tendenziell träges, verwöhntes Publikum, das im jüngeren Alterssegment bis 35 vor allem auf Event und Party setzt, im älteren Segment ab 45 in Bezug auf die Kunst konservativ ist - wobei im Vergleich zu München dazu die hart erarbeitete, kulturpolitische Inkompetenz sowie der Unwille zum Tragen kommen, in die Entwicklung vielfältiger lokaler Strukturen zu investieren. Lieber verbrennt man (bis jetzt...) 450 Millionen für den nächsten Museumsbau oder lässt - kulturpolitische Restauration par excellence - das Stadtschloss wiederaufbauen.

Eine "fragwürdige Entscheidung im institutionellen Bereich" in Angsts Zitat ist ebenfalls eine bauliche: die von Monika Grütters beförderte Gründung eines zentralen Fotoinstituts (vermutlich...) in Düsseldorf, die der voranschreitenden Musealisierung und Bürokratisierung des deutschen Kunstbetriebs entschlossen zuarbeitet. Wer keine neuen Ideen hat beziehungsweise solche erst gar nicht aufkommen lassen will, der baut eben noch ein Museum  (kein Wunder, dass man in Österreich auch gerade über ein Fotomuseum nachdenkt).

In anderen Passagen seiner Aussendung spricht Roland Angst von seiner "Enttäuschung über den Weg, den ein großer Teil der zeitgenössischen Fotografie einschlägt. Deshalb habe ich mich verstärkt auf Künstler konzentriert, die in den fünfziger bis siebziger Jahren wesentliche Beiträge zur künstlerischen Anwendung des Fotografischen geleistet haben." Zudem beklagt er das Fehlen " kritischer Pressestimmen".

Auf Skandinavien und Japan spezialisiert, finden sich in der Liste der von "Only Photography" vertretenen Künstler*innen Namen wie Gerry Johannson (geboren 1945) oder Shin Yanagisawa (geboren 1935) - weshalb die eingangs erwähnte Mari Katayama (geboren 1987)  oder auch Miho Kajioka (geboren 1973) nicht darunter sind, und warum Angst von den Entwicklungen enttäuscht ist, für die beide Künstlerinnen stehen, bleibt sein Geheimnis.

© Mari Katayama




















Die kritische, deutschsprachige Stimme in Sachen Gegenwartsfotografie und Fotokunst - das Fotolot des Perlentaucher - hat sich bisher nicht mit "Only Photgraphy" beschäftigt, weil die Galerie in ihrer bewussten Rückwärtsgewandtheit Teil jenes vergangenheitslastigen und sicherheitsbedürftigen Berliner Klimas der Stagnation geworden ist, das Angst völlig zurecht beklagt. Entweder verbleibt man gleich im Sicheren zwischen August Sander und Helmut Newton oder aber man verlässt, wenn man zumindest zeitlich einigermaßen in der Gegenwart angekommen ist, den Rahmen des Gediegenen von Edward Burtynsky bis Jimmy Nelson nicht. Dass es ab und an mal Alec Soth oder Richard Mosse zu sehen gibt, stellt da die  Ausnahme dar.

Wundern braucht man sich, nachdem die Aufbruchstimmung nach der Wende endgültig verflogen ist, darüber nicht: Schon David Bowie kam in den Siebziger Jahren entgegen anders lautender Selbstmystifikation nach Berlin, weil es dort ruhig und überschaubar und nicht so hektisch war wie in LA.

Dass die Gegenwartskunst in der Fotografie noch mal rasant Einzug in Berlin hält (von Städten wie Hamburg ganz zu schweigen), ist bis auf Weiteres auszuschließen. In den Gesprächen im Rahmen des "Collector's Circle" der Paris Photo wurden unter anderem Szenarien diskutiert, was nach dem Brexit geschehen soll. Sowohl jener Teil des Kunsthandels, der in London verbleibt als auch jene, die überlegen, wegzugehen, nannten als mögliche Destinationen auf dem europäischen Festland vor allem Paris und Brüssel - der Name Berlin fiel nicht.

Als ich letztes Jahr spätabends mit US-amerikanischen Kunsthändler*innen zusammen saß, nannte ein Mitarbeiter von Christie's Berlin ohne Augenzwinkern eine "Farm City". Teams der US-Sportligen wie NFL oder NHL haben sogenannte Farm-Teams, in dem sich die Nachwuchskräfte austoben und bewähren können, bevor es dann für sie ernst wird. Berlin ist demzufolge eine Art Auslauf für den internationalen akademischen und kreativen Nachwuchs. Es herrscht in der Stadt eine unvergleichlich tolerante und lockere Stimmung zu im internationalen Vergleich immer noch sehr günstigen Preisen; außerdem stellt die Destination Berlin vor allem bei "Rich Kids" aus aller Welt einen Coolness-Faktor dar. Was immer dieses Milieu in Berlin so treibt - es findet im Zeichen des Übergangs statt und ist nicht auf Dauer angelegt.

Auch die Rahmenbedingungen des deutschen Kulturbetriebs sind für eine Aufbruchstimmung in der Kunst ungünstig. Musealisierung und Bürokratisierung wurden eingangs bereits genannt (ob im Theater oder bei Museen, die öffentlichen Mittel fließen überwiegend in die Gebäude und in die Personalkosten). Hinzu kommt die Verschulung des künstlerischen Nachwuchses, deren überschaubare Resultate man in Jahrgangsausstellungen wie derjenigen der Ostkreuzschule für Fotografie besichtigen kann. In anderen Betrieben wie dem Film und vor allem der Literatur gibt es längst eine Diskussion über die Qualität, die diese Ausbildung zeitigt.
Zudem teilen zwischen dem Hamburger Haus der Photographie und dem Forum für Fotografie Frankfurt nicht einmal zehn Kurator*innen und Professor*innen die zur Verfügung stehenden Ressourcen im Grunde unter sich auf, dominieren bei der Vergabe von Preisen und Stipendien sowie der Besetzung von Jurys und besetzen ihre Positionen dabei teils schon so lange, dass sich dementsprechende Entouragen und Routinen ausgeprägt haben. (Über generelle, problematische Entwicklungen in der Kunst gab es im Fotolot im Frühjahr 2019 ein viel diskutiertes Gespräch mit Wolfgang Ullrich (hier), das den State of the Art auf den Punkt bringt.)

Da die Kunst im Allgemeinen und die Fotografie im Speziellen angesichts von Problemlagen wie dem Klimawandel und der Rückkehr der politischen Rechten nicht gerade einen prominenten Platz auf der tagespolitischen To-Do-Liste einnehmen, wird sich an diesem Zustand fürs Erste nichts ändern. Es hilft also alles nichts als auf die Energie der wenigen Personen und Gruppen zu vertrauen, die sich den geschilderten Entwicklungen bewusst entgegen stellen - wie etwa Thomas Gust, Leiter der letzten verbliebenen reinen Fotobuchhandlung Berlins "Bildband", der mit der Designerin Ana Druga 2018 das Wagnis einging, mit "Buchkunst Berlin" einen neuen Fotobuchverlag zu gründen.

Etwas Positives gibt es abschließend doch noch zu berichten.

Als der Fotolot-Newsletter vor eineinhalb Jahren an den Start ging, bremste Perlentaucher-Macher Thierry Chervel die Erwartungen. Gerade erst hatten im Zuge der AGB-Novelle und der damit verbundenen Neuanmeldung nicht wenige Medien eine erhebliche Anzahl ihrer Newsletter-Abonnenten verloren. Ein Trend, der sich Ende des Jahres 2018 zu bestätigen schien, als das Fotolot gerade mal auf über tausend Abonnenten kam.

Nun, ein Jahr später, hat es das Fotolot auf über sechstausend Abonnent*innen gebracht - nach so kurzer Zeit eine bemerkenswerte Zahl für eine deutschsprachige Online-Kolumne, die sich zweimal im Monat nur mit Fotografie beschäftigt. Ich führe das nicht zuletzt darauf zurück, dass das Fotolot exakt jene kritische Pressestimme ist, die Roland Angst vermisst: ohne Scheu vor etablierten Namen und Institutionen ausschließlich der Sache und den Leser*innen verpflichtet.

Das wird auch im Jahr 2020 so bleiben, wobei ich glaube im Namen aller sprechen zu können, wenn ich sage: Möge das Positive, Schöne, Erfreuliche überwiegen!

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de