Essay

Marke, Geist, Ego & Sound

Von Ulf Erdmann Ziegler
30.01.2023. Mit David Crosby starb vor 12 Tagen einer der ganz Großen aus der Ära des Songwritings, des Rock'n'Roll als persönliche Signatur. Crosbys superkreative Zeit mit Stills, Nash & Young, im Duo, Trio und Quartett, reichte von kurz vor Woodstock bis zum Rücktritt Richard Nixons. Wenn es darum geht, ihn zur Figur seiner Zeit zu stilisieren, fällt schnell das Wort Hippie. Weniger als Kind seiner Zeit war er ein Katalysator seiner Ära. Er fand singend heraus, wie sie sich anfühlte.
Erst jetzt, und warum ausgerechnet jetzt, sehe ich mir die keineswegs besonders gut komponierte und mit Filzstift aus dem Naiven schöpfende Coverillustration von "So Far" noch einmal an, eine LP von 1974. Und plötzlich sehe ich, dass Joni Mitchells Zeichnung von Crosby, Stills, Nash & Young, die Köpfe als Teil der Landschaft, dem irrwitzigen Monument "Mount Rushmore" in South Dakota nachempfunden wurde, den riesigen in Stein gehauenen Portraits der Präsidenten Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln. Der dabei nach links schaut im Profil, nach Westen und in die Zukunft, ist David Crosby.  Falls die Ikonologie stimmt, wird er, Crosby, verglichen mit George Washington, dem ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten Amerikas überhaupt.

Dass eine(r) der ganz Großen sich verabschieden würde, war zu erwarten oder zu befürchten, Dylan, Simon, Jagger, Mitchell. Dass die Ära des Songwritings, des Rock'n'Roll als persönliche Signatur zu Ende gehen würde. Aber es traf als ersten David Crosby. Er ist herausgetreten aus der Filzstiftzeichnung und erscheint stattdessen als Erstgenannter, als Gründer und Seher im imaginierten Riesenrelief der populären amerikanischen Musik. Er kann nichts mehr falsch machen, rechts werden, Kollegen denunzieren oder eine Platte mit Gershwinsongs nachreichen. Werk und Person sind vollendet, nur die Wirkung ist nicht abzusehen.


David Crosby (im Poncho) mit den Byrds. Foto im Teaser: David Crosby, 1970, Bild: David Gans unter cc-Lizenz

Es ist geradezu rührend, wie seine Augen noch nach Jahrzehnten traurig wurden, wenn er eingestand, aus der Band The Byrds herausgeworfen worden zu sein. Seine Stimme, sein Spiel auf der akustischen Gitarre, sein Songwriting wurde für überflüssig, wenn nicht sogar störend gehalten, störend beim Stürmen der Charts, beim Forcieren und Filtern eines Sounds. 1966: die Bands gefangen im metallischen Geklimper mit leichtem Hall, als würden sie immer noch am Wochenende zum Tanz aufspielen. Wie nun da rauskommen? Es ist gewiss kein Zufall, dass Roger McGuinns Aneignung des "Mr. Tambourine Man" die Band an die Grenzen ihrer Möglichkeiten führte, Radiopop-Zeitgeist im finalen Stadium, Dylans Synkopen plattgeklopft zu Beats.

Insofern waren die Mitglieder jener bald berühmten Band sämtlich Versprengte einer Zeit, in der die Intendanten der großen Firmen, die Produzenten, sich als Entdecker von Talenten, Designer von Sounds und Macher von Karrieren begriffen. Und Dylan war deshalb so ein gutes Beispiel, weil er nicht mitmachte: Songs zu lang, Genres entlegen, keine Interviews, Woodstock ausgelassen. Er nahm den Druck von sich, wegweisend zu sein. Die Ostküste, der Schauplatz der Folkbewegung, verblasste, und wurde mit wenigen magischen Kunstgriffen an der Westküste neu erfunden.

Eine Anekdote über die Gründung von C, S & N: Mit dem Fotografen Henry Diltz unterwegs in West Hollywood, fanden sie ein altes, verlassenes Wohnhaus, auf dessen Veranda ein rotes, plüschiges Sofa mit reichlich Patina abgestellt war. Graham Nash setzte sich auf die Lehne, mit den ledernen Sohlen seiner Westernboots auf dem Bezug. Rechts von ihm: Stephen Stills mit Gitarre. Rechts von Stills: David Crosby. Alle in Blue Jeans. Die Platte war schon eingespielt. Es fehlte nur noch der Name der Band und des Albums. Die Fotosession musste beflügelnd gewirkt haben, denn in der folgenden Woche kamen sie darauf, sich "Crosby, Stills & Nash" zu nennen. Wie unglücklich, dass sie auf dem Sofa als Nash, Stills und Crosby abgebildet waren. Also mit Diltz zurück zur 815 Palm Avenue, um das Cover noch einmal zu schießen. Aber das Haus war bereits abgerissen worden.


Getrieben von drei ehrgeizigen Songwritern, dann vieren, erscheint schon im Jahr darauf, 1970, "Déjà vu". Ein genopptes Cover in Anthrazit, Schmuckschrift in Goldprägung, und die aufgeklebte Fotografie ist an den Ecken so gekappt, dass es so wirkt, als sei sie in ein Album gesteckt. Das Nostalgiemotiv wird im bräunlich getönten schwarzweißen Bild weitgeführt, dessen geringe Kontraste auf das 19. Jahrhundert verweisen. Die Gruppe ist in einem knorrigen Wald aufgenommen, mit Hund. Zu Füßen von Neil Young eine Gitarre. Fast mittig im Bild ein 19jähriger Apache - wahrscheinlich -, der Bassist Greg Reeves. Es sind insgesamt sechs Personen, die Hälfte sitzend. Einer davon ist David Crosby, eine Flinte im Schoß und ein Patronengürtel um den Hals. Der Schlagzeuger Dallas Taylor, neben Crosby stehend, in gleicher Weise bewaffnet. Es sind offensichtlich Versprengte des Bürgerkriegs, steckengeblieben in einer Nichtzeit an einem Unort, mit diffusen Erinnerungen und noch diffuseren Vorhaben. Crosby, übrigens, sitzt auf dem einzigen echten Stuhl, mit hoher Lehne, gescheitelte Haaren und ein akkurat gestutzter Schnauzbart, der Patriarch.

Er war der Älteste in dieser Supergroup. Am Tag vor dem Beginn des Woodstock Festivals war er 28 geworden. Es wäre gewiss falsch, ihn zum Bandleader zu stilisieren, und sein solistisches Werk reicht bei weitem nicht an das von Neil Young heran. Seine Songs waren textlich geheimnisvoll und musikalisch versponnen. Die Textur seines Werks kann man nur begreifen über seinen Gesang, der in höheren und niedrigeren Lagen gleichermaßen beseelt war, eine ganz leichte Rauheit, die aber dennoch die Eleganz der Phrasierung nicht aufhielt. "Wir hatten zu Hause keinen Fernseher. Wir sangen. Ich habe mit sechs schon Harmonie gesungen - wurde mir gesagt", wie er in einem der unzähligen oberflächlichen Fernsehportraits berichtet. Sein Harmoniegesang, sich rankend, mäandernd, fragend, schöpfte aus einem Atem, der der Atem der Zeit war. Crosbys superkreative Zeit mit den anderen, im Duo, Trio und Quartett, reichte von kurz vor Woodstock bis zum Rücktritt Richard Nixons. Wenn es darum geht, ihn zur Figur seiner Zeit zu stilisieren, fällt schnell das Wort Hippie. Weniger als Kind seiner Zeit war er ein Katalysator seiner Ära. Er fand singend heraus, wie sie sich anfühlte.

 
Bei einem BBC-Konzert 1970: Graham Nash und David Crosby singen "Guinnevere"

"Guinnevere" ist ein gutes Beispiel. Man kann es in der Aufzeichnung eines Konzertes des BBC hören und sehen, nur mit David Crosby and Graham Nash, 1970. In zwei Versen, komplett in Harmonie, bekommen wir erzählt, wer sie war, dann, statt eines Refrains, driftet der Song in "dödöla". Dabei werden die Stimmen in Höhe und Ton zueinandergeführt, so dass man bei einzelnen Tönen nicht mehr sicher ist, wer Nash und wer Crosby ist. Tatsächlich kreuzen sie sich und laufen dann in der anderen Richtung davon. Wie Kinder mit flatternden Bändern auf einem Feld. Nach der Kreuzung kehrt sogleich die individuelle Stimmfarbe zurück. Das höchst Subjektive spiegelt sich im Universellen. Die Wirkung ist enorm, man möchte unbedingt sofort mitsingen, was aber selbst für routinierte Chorsänger kaum möglich ist. Die rhythmische und melodische Dynamik im Mollbereich ist technisch gesehen schwierig. All dies klingt aber wie vom Himmel gefallen. Das Engelhafte wird noch gesteigert durch Crosbys Vibrato, für einen Singer-Songwriter um 1970 höchst ungewöhnlich.

Die Hauptfigur Guinnevere, aus der walisischen Artussage, wird nur zum Vergleich eingeführt. Sie hat grüne Augen und in der nächsten Strophe goldenes Haar, "lady like yours, lady like yours". Nein, sie hat sie nicht, sie hatte sie ("had green eyes"), denn Guinnevere ist schon über tausend Jahre tot. Durch die Wahl der grammatischen Zeit wird verdeckt, ob die "lady" ebenfalls tot ist oder nicht. Tatsächlich gelten die Vergleiche, 1968, höchstwahrscheinlich einer damals bereits Gestorbenen und einer Lebenden, nämlich Christine Hinton und Joni Mitchell. Wenn das nicht raffiniert eingefädelt ist.

Hinton, Crosbys bildschöne junge Freundin, fuhr ihr kleines Auto am 30. September 1969 in einen Schulbus, auf einer Fahrt zum Tierarzt mit ihren Katzen. Das geschah in Novato, soeben nördlich von San Francisco, was bemerkenswert ist. Denn Crosby und sie, plus Debbie Donovan, waren nur wenige Tage zuvor von Los Angeles in die Bay Area gezogen. Die größte Band der Stadt, Jefferson Airplane, hatte bereits 1968 Crosbys "Triad" eingespielt, ohne Harmoniegesang. Grace Slick singt das melancholische, ernste und chromatisch schwierige Stück allein. In die Bay Area zu ziehen als Ménage-à-trois, als lebenswirkliche Fassung eines Songs, den dort bereits alle kannten - ein Traum, im Nu verwandelt in einen Alptraum.

Los Angeles, wo an den meisten Tagen des Jahres die Sonne scheint und das Surfen erfunden wurde, ist eine Stadt düsterer Verschwörungen und Intrigen, "die Großstadthölle schlechthin", mit den Worten von Mike Davis. Auf der einen Seite die Stars aus Film und Fernsehen, mit ihrer bewussten Bindung an eine Maschine der Illusionen, auf der anderen Seite diejenigen, die herumgeschoben werden an den Rändern, deren Viertel einfach abgerissen werden, wenn man nicht weiter weiß. Los Angeles ist die Stadt der Banden, der Sekten, der Kulte, des Psychomörders Charles Manson, das ganze anonym zusammengestrickt durch ein Straßensystem, das sich deshalb so relativ leicht implementieren ließ, weil es auf die Relikte von Bahntrassen gebaut wurde. Der Kameramann Floyd Crosby gehörte zur Maschinerie: Seine Academy Award für Murnaus Stummfilm "A Story of the South Sea" (1931) stand bis vor kurzem in David Crosbys Haus. Floyd war sein Vater gewesen.

Nach Los Angeles kommt man nicht aus der Ferne um auszusteigen, sondern um einzusteigen: Audrey Hepburn, Edward Kienholz, Mama Cass, Billy Wilder, Shelly Manne, Sharon Tate, Richard Neutra, Ed Ruscha, Frank Gehry, Mike Kelley, Joni Mitchell, J.J. Cale.  Will man also die Formation Crosby, Stills & Nash energetisch begreifen, ist Los Angeles der ideale Schauplatz für die Gründung einer Supergroup, drei junge Leute mit immenser Erfahrung, die dringend ihre Erstlingsbands hinter sich lassen mussten, um sich als Marke, Geist, Ego und Sound neu zu erfinden. Anders als die anderen war David Crosby bereits da. Er, ein leicht wohlstandsverwahrlostes Kind, strotzte vor Selbstbewusstein, war bestens vernetzt, wusste vom Lug und Trug der Kulturindustrie.


Wären C, S, N & Y eine San-Francisco-Band geworden, hätten sie Teil der counter culture werden müssen, so wie die Grateful Dead, Janis Joplin, Robert Crumb und Lawrence Ferlinghetti. Obwohl ihre vier Stimmen und ihre vier Gitarren symbolhaft nach Sinnstiftung und Gemeinschaftlichkeit klingen, stehen ihre Namen für eine Gang von Bossen. Deshalb erfanden sie auch keinen Bandnamen, sondern verknüpften ihre Familiennamen, wobei Crosby seinen pompösen Geburtsnamen Van Cortlandt Crosby schon lange vorher eingedampft hatte. Die Kombination ihrer Familiennamen, "das haben wir auch deshalb gemacht, weil wir dann in jeder Formation zusammen spielen konnten" (Crosby), also auftreten, ohne dass um Rechte gestritten werden musste. Der eigentliche Coup war das "&"-Zeichen, indem es besagte, dass es sich um eine große Firma handele, und das so charmant wandern konnte, indem es manchmal auf "& Nash", dann wieder auf "& Young" endete. Vielleicht war dieses Zeichen der eigentliche Name, denn die erfolgreichen Splitterduos Crosby / Nash und Stills-Young zitierten es nie.

 "England ist eine Spieluhr, Amerika ein Flugzeughangar", hat Thomas Groß einmal geschrieben. Den transatlantischen Übergang, durchaus schockierend, hört man in der BBC-Aufzeichnung des Duos Crosby / Nash von 1970. Sie spielen Nashs "Simple Man" (fast ein Kinderlied) und "Marrakesh Express" (eine Satire auf Exotismus), um dann mit Crosbys "Guinevere" anzuschließen. Und sofort hat man die kulturell offene Situation der USA - damals -, ein frischer Wind, eine Brise für die Seele. Die beiden Spieler, ohne Band, wissen natürlich von der ungeheuren Spannung ihrer musikalischen Traditionen, die sie äußerst geschickt miteinander verschneiden und amalgamieren, und ihrer Persönlichkeiten. Nash würde sie gern überbrücken. "Will you do me a favour?", fragt er, als der letzte Song des Sets ansteht. Der Gefallen ist dann nicht, Nash zu spielen, sondern Crosbys "Traction in The Rain", ein Song über urbane Depression. Crosby aber ist Nashs Höflichkeit und Explikation vor Publikum peinlich. Eine Ausführung Graham Nashs darüber, wie in einer Band zu viel zu üben zu Ennui und zu wenig zu üben zu mangelnden Resultaten führe, konterkariert David Crosby mit einer Ansage in einer artifiziellen Quietsch-Sprache, Computer-Papagei-Alien. Ein übler Pennälertrick, um den Kameraden bloßzustellen. Die Abgefeimtheit dieser Interaktion - er bedient sich des Idioms innerhalb einer halben Stunde noch zweimal, wenn auch kürzer und nicht mehr so sicher - steht in keinem Verhältnis zu seiner Erscheinung und seinem Blick, der nahelegt, dass er in Nash Hals über Kopf verknallt sein müsste. Selbst Art Garfunkel hätte da nicht mithalten können.

So trug David Crosby zweierlei in sich: Eine totale, persönliche Auslieferung an die musikalische Form und einen bösen Wunsch, nicht gefallen zu wollen, der bad boy zu sein. Es ist in den letzten Tagen viel über seine Vergehen und Überschreitungen, über das zur Adoption aufgegebene Kind (später wiedergefunden), über seinen kaum überwindbaren frühen Verlust seiner Liebe, über seine Gefängnisstrafe geschrieben worden. Was niemand erwähnt: Im Alter wurde er ein ziemlich schwerer Mann mit Doppelkinn, eingeschert in den amerikanischen Mainstream gesetzestreuer Maßlosigkeit, wiederzuerkennen nur noch am Seehundsbart. Und an seiner Stimme und seiner Gesangskunst. Diese tiefe Musikalität, die Bildlichkeit seiner Sprache, und sein Geheimnis von etwas Drittem dazwischen - das in Bewegung ist und eingefangen werden muss (man kann es greifen, aber nicht besitzen). All das hat er nie eingebüßt. Er ist jener ganz Große, dessen Tod das Ende der Ära markiert.
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