Essay

Eine einfache Frage

Von Eva Quistorp
24.12.2016. Hört auf mit den Trauerfloskeln: Eine der Debatten, die nach dem Berliner Attentat zu führen sind, ist die schlichte Debatte, ob es überhaupt ein Sicherheitskonzept für den Breitscheidplatz gegeben hat. Dass Weihnachtsmärkte im Visier der islamistischen Terroristen stehen, war doch längst bekannt. Und der Platz um die Gedächtniskirche ist ein symbolischer Ort. Gerade die Opfer des Anschlags haben einen Anspruch auf Aufklärung.
Einen Tag vor dem Attentat war ich mit meinem Flüchtlingskind aus Afghanistan dort. Ich dachte sofort, dass es ein islamistischer Terroranschlag war, siehe Weihnachtsmärkte schon vor 2001 in Straßburg und vor einer Woche in Ludwigshafen. Diese Toten und Verletzten hätte es nicht geben müssen! Wo bleibt die Debatte über fehlende Sicherheitsmaßnahmen?

Ich liebe auch die Gedächtniskirche mit ihren blauen Fenstern, die an Chartres erinnern und an Frieden mahnen sollen. Ich wusste, als ich den Ort sah, eine Stunde danach, dass man die Untat an diesem Ort hätte verhindern können… Zu viel der Trauerreden und Sprüche wie "wir lassen uns die offene Gesellschaft und unseren Lebensstil nicht nehmen" in den meisten Medien. Wo bleibt die nüchterne Selbstkritik?

Auf allen Pressekonferenzen und in Politiker-Statements wird jetzt geschwafelt, dass man eine freie Gesellschaft nicht sichern könne, dass wir nicht alles verbarrikadieren können, dass die islamistischen Terroristen, die meist nur Terroristen genannt werden, sich sonst andere weiche Ziele suchten. Doch wieso wird nicht über den konkreten Fall genau gesprochen und mit Fach- und Ortskenntnis? Wollen die sogenannten Experten und Platzhirsche sich wieder nur im Radio hören und die Dauererklärer bleiben? Ein FAZ-Terrorexperte wagte es, auf die schlechte Sicherung des Weihnachtsmarktes insgesamt und bezogen auf den Verkehr hinzuweisen. Ich kenne die Stelle gut, seit Jahren. Die Kreuzung ist immer gefährlich für Fußgänger und den Platz.

Wieso waren da keine Polder, wieso ist der Verkehr nicht umgelenkt oder verlangsamt worden? Freie Fahrt für freie CO 2-Verpester scheint wichtiger als der Schutz der Menschen auf dem Weihnachtsmarkt, oder ist es einfach Leichtsinn, Schludrigkeit?

Wieso gab es an dem Platz keine Videoaufnahmen, die zumindest die Täter leichter hätten auffinden lassen? Wieso war kein Polizist an Ort und Stelle und auch am Abend vorher kein einziger zu sehen? Ich war eine Stunde nach dem Anschlag vor Ort und wunderte mich über einiges. Auch über die vielen Aufrufe zur Besonnenheit - wieso wird nicht praktischer und genauer die Sicherheitspolitik an dem Ort diskutiert?

Einen Weihnachtsmarkt im Zentrum der Stadt mit der bedeutsamen Gedächtniskirche so wenig gegen Autoangriffe a la Nizza zu schützen, ist unverantwortlich.

Da wäre weniger Trauergetwitter als bessere Sicherheitsplanung und jetzt Selbstkritik vieler angebracht. Auch die Medien hätte die Sicherheit der Weihnachtsmärkte interessieren können.

Denn schließlich ist es seit dem geplanten und vereitelten Anschlag in Straßburg und erst neulich in Ludwigshafen, eine Strategie der Islamisten, Weihnachtsmärkte anzugreifen.  Sie sind ein wesentliches gesellschaftliches, kulturelles, identitätsstiftendes Ereignis  und religiöses Brauchtum, stiften für viele Gemeinsamkeit und Frohsinn. Ich erwarte in der Sicherheits- und Freiheits- und Integrationsdebatte mehr Genauigkeit und Sachwissen, das nicht nur aus beruhigenden Statistiken besteht, siehe auch die Silvesternacht in Köln oder die Gewalttat in Freiburg. Wir brauchen weniger Sensationslust, aber auch weniger Trauerreden, die nur eigenes Versagen verschleiern und selbstkritisches Nachdenken, was vielerlei Verantwortliche angeht.

Als ich  nach dem Attentat an der Kirche war, fand ich die Mediendebatte hinterher im Fernsehen merkwürdig - das sind verschiedene Welten,viele Redner kannten den Ort überhaupt nicht. Am Ort betätigten zwar viele ihre Handys, aber es war keine Sensationslust zu spüren, allerdings auch keine große Betroffenheit, was mich irritierte. Inzwischen wurde der Weihnachtsmarkt wieder eröffnet. Nur einige Meter waren abgesperrt und einige Tausend Leute schweigend. Doch drum herum ging das Berliner Leben weiter, als wäre nix. Viele konsumierten den Schrecken nur als Handy News und machten weiter. Das kann man cool nennen und bewundern, doch vielleicht sollten die Berliner sich ein wenig mehr für ihre Sicherheit interessieren, wo viel zu viele Salafisten sich in dieser Stadt rumtreiben können, neben rechts- und linksextremen Gewaltbereiten und Antisemiten.

Ich stelle die einfache Frage: wieso hat man das Stück der Kantstraße nicht gesperrt und spätestens nach Nizza da einige Betonpoller aufgestellt? So einfach dürfen wir es uns angesichts der Toten und Verletzten nicht machen, rumzuplappern über die offene Gesellschaft und dass das angeblich immer und angeblich überall passieren könne. Weder diese Beruhigungs- und Verschleierungsfloskeln noch allgemeiner Verdacht gegen Flüchtlinge oder Hetze gegen sie sind angesagt. Sondern genaues Hinschauen, wer in unser Land kommt, wer wen über das Internet Richtung Gewalt und Terror steuert und wie wir Sicherheit und Integration, Einwanderungs und Flüchtlingspolitik besser hinbekommen als das letzte Jahr. Das geht nur durch Genauigkeit, nicht durch Schwafeln!

Die Opfer haben nicht nur ein Recht auf Mitgefühl und Hilfe zur Genesung, sondern auch auf die Wahrheit, dass sie nicht richtig geschützt wurden durch Polizei und Behörden,Parteien und Medien. Dabei wäre viel von israelischen Sicherheitsexperten zu lernen wie von der israelischen Gesellschaft und von Professor Shlomo Spiro, der bei Markus Lanz der einzig Klardenkende war und darauf hinwies, dass es überhaupt kein Sicherheitskonzept für den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gab.

Eva Quistorp