Essay

Verspottung der Urheber

Von Martin Vogel
17.12.2016. Nachdem der BGH und alle anderen Gerichte festgestellt haben, dass die bisherige Verteilungspraxis der VG Wort - die Verleger erhielten bis zur Hälfte - rechtswidrig ist, stellt die Bundesregierung die "bewährte Praxis" in einem neuen Gesetz wieder her. Die Autoren dürfen jetzt ihr Einverständnis mit der Preisgabe ihrer Ansprüche erklären - und verlieren 30 Millionen Euro jährlich. Selbst wenn einer dagegen klagt, wird diese Revision der Rechtsprechung durch den Gesetzgeber jahrelang bestehen bleiben.
Der Deutsche Bundestag hat am Donnerstag Änderungen des Urheberrechts- und des Verwertungsgesellschaftengesetzes beschlossen. Am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens stand die (auch im Koalitionsvertrag dokumentierte) Absicht der Bundesregierung, das Urhebervertragsrecht zugunsten der Urheber zu verbessern. Den Urhebern sollte ermöglicht werden, mit größerer Aussicht auf Erfolg eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke durchzusetzen. Noch der Referentenentwurf, den das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegt hat, stimmte die Urheber hoffnungsfroh. Doch bereits der Regierungsentwurf trübte die Stimmung, insbesondere bei den Verbänden und Gewerkschaften vorwiegend angestellter Urheber (Deutscher Journalistenverband und ver.di): Wesentliche im Referentenentwurf vorgesehene Instrumente der kollektiven Rechtedurchsetzung hätten die Macht dieser Verbände gestärkt. Im Regierungsentwurf waren sie nicht mehr wiederzufinden.

I.

1. Nun passierte Folgendes: Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied im Urteil "Verlegeranteil", dass die VG Wort rechtswidrig handelt, wenn sie das Aufkommen aus der Wahrnehmung der gesetzlichen Vergütungsansprüche der Urheber zu großen Teilen pauschal an Verleger ausschüttet. Damit fand eine von der VG Wort schon seit mehreren Jahrzehnten geübte Praxis ein jähes Ende. Das Entsetzen auf Verlegerseite war groß, nicht zuletzt deshalb, weil der Verlegeranteil am Aufkommen der VG Wort je nach Sparte bis zu 50 Prozent (!) betrug. Die Ausschüttungen gingen natürlich zu Lasten der allein berechtigten Urheber. Nur ihnen hat der Gesetzgeber, - nicht zuletzt angehalten durch das Bundesverfassungsgericht -  in bestimmten Fällen eines überwiegenden Allgemeininteresses einen gesetzlichen Vergütungsanspruch gewährt als Ausgleich für die Einschränkung ihrer umfassenden ausschließlichen Verwertungsrechte. Verleger haben solche Ansprüche nicht. Denn sie haben in der Vergangenheit ein eigenes Verlegerleistungsschutzrecht immer wieder abgelehnt, wohl auch, weil sie bei der VG Wort überreich an den Ausschüttungen teilhatten, wenngleich rechtswidrig. Da nur eine verschwindend geringe Zahl von Urhebern der VG Wort als Mitglieder angehört und die in dieser Verwertungsgesellschaft aktiven Mitglieder meist den gewerkschaftlichen Urhebervertretungen oder Verlagen verbunden sind, die die Beteiligung der Verleger zum Nachteil der Autoren stets gestützt haben, werden die allermeisten Urheber erst durch das Urteil des BGH und das sofort darauf einsetzende Wehgeschrei der Verleger davon erfahren haben, wie großzügig die VG Wort die Verleger auf ihre Kosten bedacht hat.

2. Die Verleger haben das BGH-Urteil "Verlegeranteil" umgehend scharf kritisiert, gerade so, als hätten die Urheber ihnen etwas gestohlen und nicht umgekehrt. Das Ende vor allem der kleinen belletristischen Verlage wurde prophezeit, weil nun die Fehlausschüttungen der letzten drei Jahre, die nur noch unter Vorbehalt geleistet worden waren (!), zurückgezahlt werden müssen und die Unterstützung der Verlage durch die Urheber, die bei den Urhebern fast durchweg unbekannt war, zukünftig wegfallen sollte. 25 Prozent der Klein- und Kleinstverlage seien in ihrer Existenz gefährdet. Damit das nicht geschehe, müssten sich nun die Urheber mit ihren Verlagen durch Abtretung ihrer Ausschüttungsansprüche gegen die VG Wort solidarisch zeigen - als wäre die Stützung von Kleinverlagen nicht eine Aufgabe des Staates. Niemals erwähnt wird von Verlegerseite, auch nicht in ihren großen Publikumszeitungen, dass der weitaus größte Teil der Ausschüttungen der VG Wort an Verleger den Großverlagen zugutegekommen ist. Dazu gehören auch die wissenschaftlichen Großverlage, deren Leistung bei der Publikation der Werke der Urheber vergleichsweise gering ist, die aber von der VG Wort sogar mit 50 Prozent der Erträge bedacht worden sind.

Von Seiten der Verleger und der von den Verlegern maßgeblich beherrschten VG Wort wird das Urteil des BGH gern als völlig unvorhersehbar und realitätsfern dargestellt. Im Ergebnis gehe es zu Lasten der Urheber, weil sich die "gemeinsame Rechtewahrnehmung" in den vergangenen Jahrzehnten "außerordentlich bewährt" habe. Etwas wohlwollendere Äußerungen über das Urteil "Verlegeranteil" erklären, der BGH sei bei seiner Entscheidung der - natürlich ebenso "realitätsfernen" - Rechtsprechung des EuGH zum Unionsurheberrecht gefolgt. Beides war eine gezielte Fehlinformation der Öffentlichkeit.


II.

1. Das Urteil des BGH beruht auf einem sehr einfachen Grundsatz, der sich schon daraus ergibt, dass die VG Wort bei ihrer Wahrnehmung urheberrechtlicher Ansprüche Treuhänderin ist. Als Treuhänderin darf die VG Wort Erträge aus der Rechtswahrnehmung nur an diejenigen ausschütten, die bei ihr Rechte eingebracht haben. Diesen sehr einfachen, auch jedem Nichtjuristen ohne weiteres verständlichen Rechtsgrundsatz haben das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen bestätigt. Er ist jetzt auch in der EU-Richtlinie zu den Verwertungsgesellschaften verankert.

Die VG Wort sah sich jedoch an den Treuhandgrundsatz nicht gebunden. Sie nahm in ihre Satzung sogar eine Bestimmung auf, nach der den Verlegern "ein ihrer verlegerischen Leistung entsprechender Anteil am Ertrag der VG Wort" zustehe. In getreuer Umsetzung dieser kaum einem Urheber bekannten, jedoch offensichtlich rechtswidrigen Satzungsbestimmung erhielten Verleger bis zu 50 Prozent der Wahrnehmungserträge, dies einfach dafür, dass sie urheberrechtlich geschützte Werke verlegt hatten. Die VG Wort hat Verleger an den Ausschüttungen selbst dann beteiligt, wenn niemand, weder der Urheber noch der Verleger, wahrzunehmende Ansprüche bei ihr eingebracht hatte. Es war danach selbstverständlich, dass die Ausschüttungspraxis der VG Wort von den Gerichten in allen Instanzen für rechtswidrig erklärt wurde.

2. Die Entscheidung des BGH "Verlegeranteil" beruht darauf, dass die Verleger keine Rechte bei der VG Wort einbringen mussten, um üppig an den Ausschüttungen beteiligt zu werden. Aus dem Urteil ergibt sich weiter, dass Verleger im Hinblick auf zwingendes Unionsrecht die wahrgenommenen gesetzlichen Vergütungsansprüche in Verlagsverträgen nicht einmal hätten erwerben können. Die VG Wort und die Verleger haben beides nicht erst aus dem Urteil des BGH erfahren.

3. Das Verhalten der VG Wort ist ein krasser Verstoß gegen den Treuhandgrundsatz, der die tragende Grundlage der Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften ist. Über die Jahre hinweg hat es die VG Wort fertiggebracht, die Öffentlichkeit und die berechtigten Urheber glauben zu machen, die Verleger würden bei ihr ebenfalls Rechte einbringen und würden deshalb zu Recht am Aufkommen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen beteiligt. Vorstand und Verwaltungsrat der VG Wort war dagegen die wahre Sach- und Rechtslage bekannt. Die Justiziare des DJV und von ver.di sind in den Gremien der VG Wort vertreten. Sie haben dort die Ausschüttungspraxis der VG Wort nahezu unbeschränkt unterstützt. Dies fand seine Fortsetzung in den Äußerungen zur Meinungsbildung ihrer eigenen Verbandsmitglieder. Nicht anders verhält es sich mit den Berufsverbänden der wissenschaftlichen Autoren, die ebenfalls in den Gremien der VG Wort stark vertreten waren. Sie haben jahrzehntelang hohe Pauschalbeträge von der VG Wort erhalten, bis der BGH auch dieser rechtswidrigen Praxis der VG Wort einen Riegel vorgeschoben hat. In Zahlen ausgedrückt, hat die VG Wort die Urheber jährlich um circa. 30 Mio Euro geschädigt.

4. Ähnlich war die Rechtslage bei der GEMA und bei der VG Bild-Kunst. Im November hat das Kammergericht Berlin - gestützt auf das BGH-Urteil "Verlegeranteil" - entschieden, dass die GEMA die Musikverleger an den Erträgen aus der Wahrnehmung gesetzlicher Vergütungsansprüche gar nicht beteiligen darf und an den Erträgen wahrgenommener Nutzungsrechte dann nicht, wenn der Urheber diese Nutzungsrechte der GEMA im Voraus übertragen hat und deshalb nicht mehr an einen Musikverleger abtreten konnte.


III.

1. Nach dem Urteil "Verlegeranteil" hatten die VG Wort und die Vertreter der Berufsverbände der Urheber, die an der Schädigung der Urheber durch die VG Wort mitgewirkt haben, natürlich Erklärungsbedarf. Kaum einer der verantwortlichen Funktionäre steht jetzt abseits, wenn es darum geht, die Schädigung ihrer eigenen Verbandsmitglieder durch die Verlegerbeteiligung herunterzuspielen und das Rad zurückzudrehen. Auf Kosten der Urheber ist der Vorstand der VG Wort durch ganz Deutschland gereist, um bei der Politik und den Verbänden der Rechteinhaber, namentlich DJV und ver.di, für die Fortführung des angeblich so erfolgreichen Modells der "Symbiose" von Urhebern und Verlegern in einer einzigen Verwertungsgesellschaft zu werben.

Nur mit den Verlegern als Mitgliedern könne die VG Wort die notwendige Verhandlungsmacht aufbringen, um gegenüber der Industrie erfolgreich die Vergütung für die Privatkopie auszuhandeln und langjährige Prozesse zu vermeiden. Man reibt sich die Augen: Da stimmt doch etwas nicht. Haben etwa die Verleger in der Vergangenheit bei der Aushandlung der Vergütungen mit am Tisch gesessen? Abgesehen davon: Wird nicht die Verhandlungsstärke einer Verwertungsgesellschaft durch den Umfang und die wirtschaftliche Bedeutung der eingebrachten Rechte begründet, hier also allein durch die Rechte der Urheber? Hat nicht die VG Wort in der Vergangenheit zahlreiche Prozesse gegen die Geräteindustrie führen müssen, obwohl sie Verleger zu ihren Mitgliedern zählt (die ihr freilich keine Rechte übertragen haben)? Und berechnet sich die angemessene Vergütung nicht nach dem Umfang und der Bedeutung der vertretenen Rechte und nicht danach, ob sie ein Urheber oder ein Verleger in die VG Wort eingebracht hat?

2. Die Gewerkschaften und Berufsverbände der Urheber haben die rechtswidrige Praxis der VG Wort mitgetragen - und tun dies weiterhin. Grund dafür ist unter anderm das soeben, am 15.12.2016, beschlossene "Gesetz zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler und zur Regelung von Fragen der Verlegerbeteiligung", das sie befürwortet haben. Nun können sie ihren Mitgliedern weismachen, sie hätten einen für die Urheber vorteilhaften Deal gemacht. Mit ihrer Zustimmung zu einer gesetzlichen Regelung der Verlegerbeteiligung hätten sie wesentliche Verbesserungen des Urhebervertragsrechts aushandeln können. Doch was sie ihren Mitglieder nicht offenlegen: Es handelt sich dabei im Wesentlichen um eine Stärkung der Macht der Verbandsfunktionäre durch einige neue Vorschriften des kollektiven Urhebervertragsrechts.

Die neuen Vorschriften des individuellen Urhebervertragsrechts bleiben marginal. Die Urheberverbände, ausgenommen der Verband der Freischreiber, verharmlosen ihren - zu einem großen Teil angestellten und deshalb von der Privatkopie weniger profitierenden - Urhebern gegenüber weitgehend, welch gewaltige Vergütungssummen der Autoren sie aufgegeben haben: 30 Millionen Euro jährlich. Das ist weit mehr als das, was sie durch die Verbesserung des Urhebervertragsrechts jemals werden aushandeln können.

3. Der Staat war über die Rechtslage bestens informiert, weil ihm eine gesetzliche Aufsichtspflicht gegenüber Verwertungsgesellschaften obliegt. Die staatliche Aufsicht hat jedoch über Jahre hinweg nichts getan, um eine dem Gesetz entsprechende Verteilung sicherzustellen. Justizminister Heiko Maas ist bereits im Vorfeld der BGH-Entscheidung in Brüssel vorstellig geworden, um eine europäische Lösung zur Beteiligung der Verleger herbeizuführen. Staatsministerin Monika Grütters spricht - massiv unterstützt von der juristisch dem Thema leider nicht gewachsenen sogenannten Premiumpresse von FAZ und Süddeutscher Zeitung - im Zusammenhang mit der erfolgreichen Klage gegen die VG Wort-Verteilung von der Verfolgung von Partikularinteressen und übergeht dabei die über 400.000 Autoren, die die VG Wort vertritt.

Nimmt man zur Kenntnis, dass die Kreativen weit unter dem gesellschaftlichen Durchschnitt verdienen, dann erscheinen die Aussagen der Ministerin vollends bizarr. Der Bundestag ging so weit, unmittelbar nach dem BGH-Urteil eine Beschlussempfehlung für eine gesetzliche Regelung der Beteiligung der Verleger am Aufkommen der Urheber zu verabschieden, und dies zu einem Zeitpunkt, als die Gründe der Entscheidung noch gar nicht vorlagen. Die Verlage sind eben noch immer nicht nur wichtige Stichwortgeber im politischen Geschäft, sie haben nach wie vor die mächtigste Lobby.

4. Das Urteil des BGH "Verlegeranteil" hat das zu Lasten der Urheber entstandene Interessengeflecht der Funktionäre von VG Wort, GEMA, VG Bild-Kunst, von Buch- und Musikverlegern, von Presseverlagen sowie von Gewerkschaften und Berufsverbänden der Autoren empfindlich gestört. Es hat sich aber gezeigt, dass dieses Zusammenwirken, dank der Unterstützung durch die Politik und der Untätigkeit der staatlichen Aufsicht über die Verwertungsgesellschaften, belastbarer war, als vielleicht zunächst angenommen werden konnte. Es war daher nicht allzu schwer, in der VG Wort eine Regelung durchzusetzen, die Verlegern günstige Rückzahlungskonditionen einräumt und die Rückzahlungszeiträume - auch für Großverlage - außerordentlich streckt. Dass dieses Vorgehen mit den Treuhandpflichten einer Verwertungsgesellschaft offensichtlich unvereinbar ist und die Verleger in klarem Widerspruch zu zwingendem Vereinsrecht bei ihrer eigenen Begünstigung zu Lasten der Autoren mitstimmen durften, hat auch die staatliche Aufsicht nicht gestört.

In dem von den Verlagen, insbesondere den Zeitungsverlagen, beherrschten öffentlichen Klima war es, noch dazu im Vorwahlkampf, nicht schwierig, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, deren Ziel es ist, den Urhebern gegen einige Brotkrumen beim Urhebervertragsrecht wieder bis zur Hälfte des Aufkommens aus ihren gesetzlichen Vergütungsansprüchen abzujagen. Dass Urheber als solche keine Lobby haben, haben so die Vorgänge um die Verlegerbeteiligung wieder einmal nur zu deutlich gezeigt.


IV.

1. Es lohnt sich, einen Blick auf die gerade beschlossenen Vorschriften zur Änderung des Verwertungsgesellschaftengesetzes zu werfen: Ihr Zweck ist es sicherzustellen, dass die Verleger weiterhin möglichst unvermindert an dem Aufkommen beteiligt werden, das die Verwertungsgesellschaften aus der Vergabe von Nutzungsrechten, vor allem auf dem Gebiet der Musik, und aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen erzielen.

Auch ohne längeres Grübeln lassen die Regelungen erkennen, dass sie nicht von der Fachwelt erörtert, sondern hinter verschlossenen Türen in letzter Minute mit den Beteiligten zusammengeschustert worden sind. Das - wohl vor allem als lästig empfundene - Unionsrecht wurde nicht genügend in Betracht gezogen. Die Begründung der Vorschriften in den Gesetzesmaterialien stimmt mit ihrem Wortlaut nicht überein. Dabei ist im Auge zu behalten, dass der BGH - gerade erst wieder in seinem Urteil "Verlegeranteil" - strenge Maßstäbe an die Heranziehung von Gesetzesmaterialien bei der Auslegung anlegt. Der BGH tut dies unter Hinweis auf die Erfahrung, nach der mitunter eine interessengeleitete Lobby den Ministerialbeamten bei der Formulierung der Gesetzesbegründung behilflich ist. Dies ist auch bei der Novellierung des Verwertungsgesellschaftengesetzes (VGG) nicht auszuschließen.

2. Der neue § 27 Abs. 2 VGG lautet:

"Nimmt die Verwertungsgesellschaft Rechte für mehrere Rechtsinhaber gemeinsam wahr, kann sie im Verteilungsplan regeln, dass die Einnahmen aus der Wahrnehmung dieser Rechte unabhängig davon, wer die Rechte eingebracht hat, nach festen Anteilen verteilt werden."

Zweifel an ihrem Aussagegehalt erweckt die Formulierung der Wahrnehmung von "Rechten für mehrere Rechteinhaber". Rechteinhaber kann immer nur einer sein. Mehrere Inhaber von Rechten kennt das Urheberrechtsgesetz nur bei der Miturheberschaft (§ 8 UrhG). In solchen Fällen stehen die Rechte allen Miturhebern zur gesamten Hand zu. Hat aber ein Urheber ausschließliche Nutzungsrechte etwa der GEMA eingeräumt, ist die GEMA Rechtsinhaber mit der Folge, dass allein sie dieses Recht geltend machen kann. Der Musikverleger wird durch den Musikverlagsvertrag nicht einer von "mehreren Rechtsinhabern". Schüttet die GEMA, an die der Urheber in aller Regel seine Rechte schon vorab übertragen hat, einen Teil der von Nutzern erhaltenen Vergütung an den Musikverleger aus, so schüttet sie an jemand aus, der nicht Rechtsinhaber ist. Darin liegt aber ein Verstoß gegen Art. 11 Abs. 4 der unionsrechtlichen Verwertungsgesellschaften-Richtlinie, auf der das nationale VGG beruht. Danach darf eine VG nur an Rechtsinhaber ausschütten. Das ist eindeutig so. Eines Blicks in die Begründung der neuen Gesetzesvorschriften bedarf es dabei nicht.

3. Ein solcher Blick offenbart allerdings sehr Merkwürdiges: Denn diese Begründung liest sich wie eine Fiktion, die mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun hat. Da ist davon die Rede, dass es regelmäßig dem Willen des Berechtigten entspreche, wenn die Verteilung nach dem Verteilungsplan unabhängig davon erfolge, wer das Recht zuerst in eine Verwertungsgesellschaft eingebracht habe. Wie kann Derartiges in eine Gesetzesbegründung gelangen?

Verwertungsgesellschaften haben für ihren Bereich jeweils ein Monopol. Dem Urheber bleibt keine andere Wahl, als seine Rechte in die für sein Werkschaffen allein zur Verfügung stehende Verwertungsgesellschaft einzubringen. Er weiß in aller Regel nichts von den Besonderheiten der Verteilungspläne dieser Verwertungsgesellschaft. Er kennt die maßgeblichen rechtlichen Grundlagen nicht und muss darauf vertrauen, dass sich die Verwertungsgesellschaft, kontrolliert durch die Aufsichtsbehörde, daran hält. Dass dieses Vertrauen nicht berechtigt war, hat die Erfahrung gezeigt. Der einzelne Urheber wusste dies allerdings nicht. In ihren öffentlichen Stellungnahmen nach dem Urteil "Verlegeranteil" haben sich Verwertungsgesellschaften, Verleger und Politik gemeinsam bemüht, die Verschleierung der Sach- und Rechtslage möglichst aufrechtzuerhalten. Wie kann es angesichts dessen regelmäßig dem Willen der berechtigten Urheber entsprechen, dass ihnen 50 Prozent des auf ihre Werke entfallenden Vergütungsaufkommens einfach weggenommen werden?

Erstaunlich ist, wie die Begründung bereits fest davon ausgeht, dass die Neuregelung mit dem zukünftigen Unionsrecht konform geht. Auf Unionsebene liegt erst ein Richtlinienvorschlag der Kommission vor. Bemerkenswert ist auch die Erklärung, es gelte die "bewährte Praxis" der Verwertungsgesellschaften zu erhalten. Es ist unbestreitbar und höchstrichterlich festgestellt, dass die VG Wort, in der die Verleger und Gewerkschaften (die Tarifvertragsparteien der Verleger) das Sagen haben, die Urheber jahrelang um bis zur Hälfte der ihnen zustehenden Vergütungen gebracht hat. Die Gesetzesbegründung, die nur das ungeprüft wiederholt, was namentlich die VG Wort ständig verbreitet, erscheint so geradezu als Verspottung der meist ahnungslosen Urheber.

4. Noch ein Wort zu § 27a VGG (neu): Nach dieser Vorschrift soll der Urheber nach der Veröffentlichung des Werkes gegenüber seiner Verwertungsgesellschaft erklären können, dass er mit der Beteiligung seines Verlegers am Aufkommen aus seinen gesetzlichen Vergütungsansprüchen einverstanden ist. Nach aller Erfahrung ist klar, was geschieht, wenn er diese Zustimmung nicht erklärt und dann einen neuen Verlagsvertrag schließen möchte: Es folgt das blacklisting, die Aufnahme in eine Schwarze Liste. § 27a VGG normiert also ein Druckmittel, um die Verlegerbeteiligung durchzusetzen - und dies mit Zustimmung der Urheberverbände. Das geschieht in einem Gesetz, das nach seiner Überschrift der Verbesserung der Rechtsstellung der Urheber dienen soll.

Damit stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von § 27a VGG mit dem Unionsrecht. Dieses legt einem EU-Mitgliedstaat, der eine gesetzliche Vergütung für die erlaubnisfreie Privatkopie einführt, die Verpflichtung auf, einen gerechten Ausgleich für die Rechtsinhaber sicherzustellen (das sind vor allem die Urheber, aber nach der Rechtsprechung nicht die Verleger). In Deutschland geschieht dies durch die Gerätevergütung. Die Mitgliedstaaten haben im Sinne einer Ergebnispflicht dafür zu sorgen, dass der Urheber den ihm zustehenden gerechten Ausgleich auch tatsächlich erhält. Wörtlich heißt es in der schon fast fünf Jahre alten Luksan-Entscheidung des EuGH (Az. C-277/10, Rn. 106):

"Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Bestimmungen des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 dem Mitgliedstaat, der die Privatkopieausnahme in seinem nationalen Recht eingeführt hat, eine Ergebnispflicht in dem Sinne auferlegen, dass er im Rahmen seiner Zuständigkeiten eine wirksame Erhebung des gerechten Ausgleichs, der den Inhabern der verletzten Rechte den entstandenen Schaden ersetzen soll, sicherstellen muss, da diesen Bestimmungen sonst jede praktische Wirksamkeit genommen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juni 2011, Stichting de Thuiskopie, C-462/09, Slg. 2011, I-5331, Randnr. 34). Den Mitgliedstaaten eine solche Ergebnispflicht zur Erhebung des gerechten Ausgleichs für die Rechtsinhaber aufzuerlegen, lässt sich aber konzeptionell nicht mit der Möglichkeit für die Rechtsinhaber vereinbaren, auf diesen gerechten Ausgleich zu verzichten."

Die neue Vorschrift des § 27a VGG ist darauf angelegt, Verleger dafür zu belohnen, wenn sie Autoren, deren Vertragsposition in aller Regel schwach ist, zu einem Verzicht drängen. Mit dem Unionsrecht ist das nicht vereinbar.

5. Die Fragwürdigkeit der neuen Regelung ist natürlich allen Beteiligten bekannt. Sie wissen: Der Trick, mit dem der Gesetzgeber die Verlegerbeteiligung wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert hat, lebt von der Illusion und wird kritischer Betrachtung nicht standhalten. Dem Gesetz haben die Koalitionsparteien dennoch zugestimmt. Illusion ist Trumpf und groß das Vertrauen darauf, dass kein Urheber klagen wird. Schließlich hat es auch Jahrzehnte gedauert, bis endlich ein Urheber gegen die Verlegerbeteiligung durch die Verwertungsgesellschaften vorgegangen ist, obwohl jeder Insider deren Rechtswidrigkeit kannte. Wer nimmt auch ein Gerichtsverfahren in Kauf, das die Verwertungsgesellschaft durch alle Instanzen treiben wird, wenn das wirtschaftliche Ergebnis für den einzelnen Kläger auch bei vollem Erfolg in keinem Verhältnis zu den Kosten und Mühen stehen kann? Sollte dennoch ein Urheber klagen, kann immer noch mit einer Gesamtverfahrensdauer von vermutlich vier bis fünf Jahren (einschließlich einer Vorlage an den EuGH) gerechnet werden. Auch das erklärt, wie es zu dieser gesetzlichen Neuregelung kommen konnte.

Die Pressemitteilung der SPD zum neuen Gesetz titelt "Endlich mehr Rechte für Urheber". Ähnlich äußert sich die CDU. Darin liegt eine nur schwer hinnehmbare Irreführung der Urheber, denen durch die Hintertür das ihnen zustehende Aufkommen aus ihren Rechten, die faktisch und rechtlich nur von Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden können, drastisch beschnitten wird.


V.

Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Haltung der VG Wort bei der Vergütung von Intranetnutzungen im Hochschulbereich (Stichwort: "Rahmenvertrag zur Vergütung von Ansprüchen aus § 52a UrhG (Hochschulen)"):

Die VG Wort befördert auch in diesem Fall die Interessen der Verleger zum Nachteil der Autoren. Es geht um die Vergütung für die öffentliche Zugänglichmachung von Seminarliteratur an Hochschulen. Obwohl es in dieser Sparte nicht um sehr hohe Einnahmen geht, ersetzt der Rahmenvertrag der VG Wort mit der Kultusministerkonferenz die bisherige Pauschalvergütung durch eine Einzelerfassung der Nutzungsvorgänge. In diesem Vertrag ist ein so kompliziertes Meldeverfahren für benutzte wissenschaftliche Literatur vorgesehen, dass der Verwaltungsaufwand für die Lehrenden unzumutbar ist und in keinem Verhältnis zu den zu erwartenden Einnahmen steht. Der Vertrag schikaniert mit der Einzelmeldepflicht auch die Hochschullehrer, die ihre eigenen Texte nutzen wollen. Die Verleger haben kein Interesse an Vereinbarungen der VG Wort mit den Hochschulen über die Intranetnutzung, weil die Erträge daraus allein den Urhebern zustehen. Sie sind daran interessiert, dass eine solche Vereinbarung in der Praxis nicht umsetzbar ist. Studierende sollen möglichst gezwungen sein, gleich das Buch zu erwerben. Um Urheberinteressen geht es dabei nicht: Bei Zeitschriftenaufsätzen soll nach den Vorstellungen der VG Wort nur die genutzte Zeitschrift angegeben werden, nicht aber der Urheber des benutzten Beitrags. Das alles geschieht beim Inkasso einer Vergütung, die kraft Gesetzes allein dem Urheber zusteht, man kann auch sagen, weil die Vergütung kraft Gesetzes allein den Urheber zusteht. Nur enorm großer Druck von Seiten der betroffenen Hochschulen, der Studierenden und schließlich auch der Politik hat dazu geführt, dass die VG Wort eingelenkt hat und nunmehr vereinbart wurde, den früheren Rahmenvertrag, der Pauschalvergütungen vorsah, für einige Zeit fortgelten zu lassen. Wäre die VG Wort nur eine Verwertungsgesellschaft für Urheber, wäre ein Verhalten, wie sie es beim Rahmenvertrag über Intranetnutzungen gezeigt hat, undenkbar.

VI.

Und noch ein Wort zu den Machtverhältnissen: manch einer wird sich noch daran erinnern, wie die Verlage von FAZ und SZ ihr Geld und ihre publizistische Macht dafür einsetzten, den Perlentaucher als kleines Start-up-Unternehmen wegen der Verletzung der Urheberrechte ihrer angestellten Journalisten vor Gericht in die Knie zu zwingen, begleitet von organisierter Empörung auf den Feuilletonseiten. Die Verlage haben diesen Prozess vor dem BGH ganz überwiegend verloren, und der Perlentaucher hat überlebt. Wenn er hätte schließen müssen, wäre das ganz leise von statten gegangen, ohne Klagelied der Kulturpolitik und Kulturwirtschaft. Heute ist er auf dem Gebiet der Kultur eine publizistische Institution. Er hat sich nicht gescheut, im Streit über die Verlegerbeteiligung die publizistische Lücke zu schließen und der vor Gericht in Sachen "Verlegeranteil" immerhin viermal obsiegenden Rechtsauffassung dort ein Forum zu bieten, wo die Qualitätspresse ihren Lesern gezielt eine Darstellung der Urteilsgründe vorenthalten hat.

Martin Vogel