Wladimir Makanin

Underground oder Ein Held unserer Zeit

Roman
Cover: Underground oder Ein Held unserer Zeit
Luchterhand Literaturverlag, München 2003
ISBN 9783630871509
Gebunden, 704 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Annelore Nitschke. Mit einem Nachwort von Dagmar Burkhart. Aus der Nacht zwischen zwei Welten, aus dem Umbruch der Gesellschaft lässt Makanin ein Schlachtengemälde des Alltags erstehen, ein grausam realistisches Märchen von barocker Wucht, ein Hohelied und einen Abgesang auf die "russische Seele".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.11.2003

Die Rezensentin Sonja Zekri findet es selbst ein bisschen "schade", dass ihre Sympathie für das Buch des studierten Mathematikers und Filmemachers Wladimir Makanins ab der Hälfte des "komplex verschachtelten", 700 Seiten dicken Romans rapide schwand. Denn immerhin schreibe der Autor seine Geschichte des Untergrundschriftstellers Petrowitsch, der seinen Triumph in der Tatsache erblickt, dass noch keine Zeile von ihm publiziert worden ist, äußerst humorvoll. Auch an der "schwungvollen" Übersetzung kann es nicht gelegen haben. Vielleicht erklärt sich der Stimmungsumschwung der Rezensentin durch eine mögliche inhaltliche Überfrachtung, schließlich widerfahren dem Helden Vertreibungen, Morde, "unglückliche Amouren" en masse bevor gewiss ist, dass die exzessiv betriebene "komparatistischen Artistik" Makanins, der die Anspielungen an die russische Literatur bis auf die Spitze treibt, in Sonja Zekri jenen "finsteren Verdacht" genährt haben, dass sich der Autor an nichts geringerem versucht hat, als an der "Verschmelzung von Postmoderne und Perestroika zu einem epochalen Meta-Werk".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.10.2003

Als "Odyssee durch das Russland der neunziger Jahre" bezeichnet Jörg Plath das umfangreiche Buch des 1937 geborenen Wladimir Makanin. Der ältere Autor ist weniger "postmodern-verspielt" als die jüngeren Schriftstellerkollegen, schreibt Plath mit einiger Erleichterung. Dennoch droht auch diesem Roman eine Implosion, findet Plath: der "Druck der zweifachen umfassenden Anstrengungen, sowohl das neue Russland zu zeigen wie seiner ethischen Leere mit der Literatur zu begegnen" ist offenbar zu groß. Der Roman zerfällt in Einzelteile, das Reflexionsniveau wird "von den Alkoholräuschen in Mitleidenschaft gezogen", und der Held selbst wird zu sehr "Spiegel seiner Zeit", statt ihr "Bildnis" zu werden, moniert der Rezensent. Und dennoch lobt Plath am Ende auch wieder die unterhaltenden und intellektuellen Qualitäten des Buches, das ihm viel über "die psychische Innenausstattung" Russlands verraten hat.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.10.2003

Sebastian Handke ist beeindruckt von diesem Roman, der seiner Zählung nach von mehr als 100 Figuren bevölkert wird und trotzdem ein schlüssiges "psychohistorisches Tableau" der Moskauer Gegenwart entwirft. Im Mittelpunkt steht Petrowitsch, ein Schriftsteller und Wächter eines Hochhauskomplexes, der nie literarische Anerkennung erfahren hat und der deswegen sein Leben konsequent in einer existenzialistischen und beobachtenden Haltung verbringt. Dieser Erzähler ist es auch, der dieses riesige Romanpersonal verwaltet, und "dem keine menschliche Regung und kein sarkastischer Kommentar fremd ist". Neben diesem komplexen Unternehmen schafft es der Autor Wladimir Makanin in den Augen des Rezensenten noch, einen "größenwahnsinnigen Metaroman über russische Literaturgeschichte" in seinem Roman unterzubringen, der voller Referenzen an literarische Einflüsse steckt. Das klingt ein bisschen überfrachtet. Doch Handke hat seinen Spaß an dem Buch: ihn lässt dieser Roman atemlos, aber offensichtlich glücklich zurück.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 02.10.2003

Ulrich M. Schmid würdigt den Autor als den "wichtigsten russischen Gegenwartsautor der älteren Generation" und bezeichnet das Experimentieren mit den verschiedensten Stilen als Wladimir Makanins charakteristische Eigenschaft. Im vorliegenden Roman, der von einem erfolglosen Schriftsteller erzählt, der als "Wohnungswärter" sein Dasein fristet, hat der Autor, wie Schmid feststellt, sich für die "epische Großform" entschieden. Dem Ich-Erzähler begegnen bei seiner Arbeit in einem schäbigen Mietshaus verkrachte Existenzen, die in ihrer Gesamtheit so etwas wie einen "postsowjetischen Mikrokosmos" darstellen, beschreibt der Rezensent den Inhalt. Doch "erschöpft" sich die Handlung keineswegs in der genauen psychologischen Beschreibung dieser Menschen, so der Rezensent beeindruckt. Vielmehr erkennt er den "besonderen Clou" dieses Romans in der "komplexen intertextuellen Verweisstruktur", die nicht nur im Titel berühmte Werke der russischen Literatur anklingen lässt. Dadurch entsteht das "Porträt einer neuen Epoche", die sich zwar nicht ganz von den "Wahrheitsentwürfen der klassischen russischen Literatur" löst, diese aber in einen "neuen Sinnzusammenhang" einbettet, so Schmid angetan.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.09.2003

Die Zeit der Perestrojka, die Zeit des Übergangs also, hat in der russischen Literatur bislang kaum Niederschlag gefunden, stellt Olga Martynova verwundert fest. Wladimir Makanins 1998 in Russland veröffentlichter Roman "Underground" zählt diesbezüglich zu den wenigen Ausnahmen, verrät sie, auch wenn er auf sie in mancher Hinsicht unglaubwürdig wirkt. Martynova versucht zu erläutern, warum: Makanin gehörte zu den offiziell geduldeten und publizierten Autoren der Sowjetunion; und auch wenn er zweifelsohne ein guter Autor sei, so Martynova, mache das aus ihm noch lange keinen Jerofejew oder Brodsky. Auf eine Formel gebracht: Makanin war kein "Underground"-Autor, er hat dieses "kulturelle Paralleluniversum" nie wirklich erkundet und kennengelernt, behauptet die Rezensentin. Bei Makanin verkommt diese Welt zu einer "Abstellkammer für Spinner, verhinderte Existenzen, Versager", schreibt sie, denen es wie etwa dem abgehalfterten Schriftsteller, der zu einem Gelegenheitsmörder wird, an moralischer Orientierung fehlt. Makanins Stärke zur Auslotung absurden Alltagsgeschehens komme in diesem fehlkonstruierten Roman leider zu kurz. Martynova rät deshalb lieber dazu, Makanins Erzählungen zu lesen.