Peter Kurzeck

Vorabend

Das alte Jahrhundert, Band 5
Cover: Vorabend
Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main - Basel 2011
ISBN 9783866000797
Gebunden, 1022 Seiten, 39,80 EUR

Klappentext

Im Jahr 1982 in Frankfurt-Eschersheim ein langes Wochenende im Herbst. Der Erzähler ist mit Frau und Kind bei Freunden zu Besuch. Vielleicht das letzte Wochenende, bevor die Freunde nach Südfrankreich ziehen. Der Erzähler ist müde. Will schlafen. Um ihn her der Nachmittag und die vertrauten Stimmen und dazu die Stimmen in seinem Kopf. Und dann muss er erzählen! Eine lange Reise. Und wir begleiten ihn in das Land seiner Kindheit. Das Oberhessen aus der Zeit nach dem Krieg und bis in die Siebziger Jahre. Gestern noch hier und jetzt ein versunkenes Land, eine Sage. Man muss die ganze Gegend erzählen, die Zeit! Und dazu die Menschen. Kleinbauern, Handwerker und Gießereiarbeiter. Die Oberdorfwitwen, die alten Leute und ihre Geschichten. Und die Kinder, als wir alle noch Kinder waren. Die alten Kaufläden. Flohmarkt- und Flüchtlingsgeschichten. Wie es bei der Arbeit zugeht.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.08.2011

Gerührte Leser, selige Zuhörer, Kritiker, die ihn den hessischen Proust nennen: Peter Kurzeck ist mit seinem Erinnerungsroman "Vorabend" eines der merkwürdigeren Phänomene des Literaturbetriebs, konstatiert Rezensentin Ina Hartwig und erhebt gegen solche Lobhudeleien Einspruch. Proust sei nicht Proust, weil er sich auf tausend Seiten an seine Kindheit erinnert, sondern weil er dies komisch, böse und gesellschaftlich brisant tut. Bei Kurzeck konnte sie davon nichts spüren: keine Auseinandersetzung mit anderen Literaturen, keine Distanz zu sich selbst als Erzähler, kein kritischer Blick auf die Gesellschaft der fünfziger Jahre, die zwanzig Jahre zuvor noch den Willen des Führers exekutiert hat. Stattdessen sentimentale Erinnerungen an die ländliche Schönheit, Mutters Küche, das alte Filmtheater und die Igel, die der vernichtenden Moderne zum Opfer fallen. Auch "den Stachelschweinen setzt der Fortschritt zu". Angesichts der patriarchalen Erzählsituation regt Hartwig an, über das ramarbasierende Männer nachzudenken.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.05.2011

Als großen europäischen Autor rühmt Rezensent Rainer Moritz Peter Kurzeck, der unbeirrbar und obsessiv an seinem Werk fortschreibt. Mit "Vorabend" liegt der fünfte Band einer autobiografischen Chronik vor, die sich nichts weniger vorgenommen hat, als ein alles umfassendes Epochenbild bundesrepublikanischer Realität zu zeichnen, so der Rezensent. Im Mittelpunkt stehen die sechziger und siebziger Jahre, in der sich das Land in unerschütterlichem Fortschrittsglauben verändert. Kurzeck beschreibt diese Zeit vor allem als "Erfahrung des Verlusts" und zeigt sehr plastisch, wie sich Kapitalismus und Wachstum in den mittelhessischen Landstrichen seiner Heimat Bahn brechen, findet Moritz. Es sieht den Wert dieser Chronik, die auf zwölf Bände angelegt ist, nicht als "Selbstzweck" des Autors, sondern als Versuch, die Epoche möglichst getreu und sprachlich sehr ambitioniert, festzuhalten. Ein "Glücksfall für die deutschsprachige Literatur", freust sich der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.04.2011

Rezensent Jörg Magenau singt eine Hymne auf Peter Kurzecks Roman "Vorabend", den fünften von zwölf geplanten Bänden seiner "autobiografisch-poetischen" Chronik "Das alte Jahrhundert". Auf tausend Seiten halte Kurzeck die Zeit vor dem Verschwinden fest, so Magenau: Die Rahmenhandlung bildet die Trennung des in Frankreich lebenden, befreundeten Paares Jürgen und Pascale, die Kurzecks Lesern bereits aus anderen Romanen bekannt sind. Von diesem Punkt aus erinnert sich der Autor an seine eigene Vergangenheit und verwebt die Geschichte der Bundesrepublik von den vierziger bis in die achtziger Jahre hinein mit persönlichen Erinnerungen. In sich wie "Schlingen" aneinanderreihenden Sätzen und am mündlichen Erzählen orientierter Schreibweise lasse Kurzeck vor den Augen seiner Zuhörer - im Text sind das seine Freundin Sibylle und seine Tochter Carina, die ihn mit Zwischenrufen immer wieder zum Weitererzählen befeuern - selbst die Auslage der Wursttheke der längst nicht mehr existierenden Metzgerei in seinem Heimatdorf Staufenberg wieder lebendig erscheinen. Dabei wird der Rezensent, der auch den Vergleich mit Marcel Proust nicht scheut, von der musikalischen Sprache Kurzecks unmittelbar berührt. Kurzeck hätte längst den Büchner-Preis verdient, findet der Kritiker.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.04.2011

Peter Kurzeck? "Macht süchtig und glücklich." Kann zumindest Rezensent Christoph Schröder nach der Lektüre des neuesten 1000-Seiten-Romans zu Protokoll geben. Seine Besprechung ist reinste Emphase: Im Gegensatz zu den Hörbüchern , die Kruzeck tatsächlich frei spricht, sei die Mündlichkeit hier nur simuliert, der Erzähler sitzt mit seinen Freunden am Küchentisch in Frankfurt-Eschenheim und lässt die Geschichte des Landes Revue passieren. Der Roman sei eigentlich eine "Mentalitätsschau", die 50er, 60er und 70er Jahre umfasst, die ganze "Zurichtung eines Landes", seiner Dörfer, Landschaften und Menschen zum effizienten System. Ganz ohne Ironie vermerkt Schröder auch, wie "anrührend und schmerzhaft" Kurzeck die Zerstörung der Lebenswelt der Igel beschreibt, nämlich als "Ausrottungs- und Vernichtungskrieg" (Kurzeck).

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.04.2011

Heraufbeschwörung der Nachkriegszeit im hessischen Dorf Staufenberg in einer großen autobiografischen Erzählung. Seit vielen Jahren ist dies das große Projekt von Peter Kurzeck, mit diesem bislang umfangreichsten Band ist, wenn man die sehr enthusiastische Rezension von Beate Tröger richtig versteht, ein vorläufiger Höhepunkt erreicht. Über Jahrzehnte erstreckt sich dieser Blick zurück, der Miniatur um Miniatur sprachlich in hochliterarischer Quasi-Mündlichkeit erfasst und doch das Große darüber nicht vergisst. Das Große ist der historische, als "Vorzeitlichkeit" abwesend-anwesende Rahmen, das noch Größere sind die Fragen nach Geschichte, Vergänglichkeit und nicht zuletzt: der Erzählbarkeit selbst. Über all das sinniert der Erzähler, hält inne, dehnt, vergrößert heraus, wiederholt auch zuvor schon Erzähltes und schafft so eine komplexe Erinnerungsinstallation, die die Rezensentin durch und durch fasziniert und gebannt gelesen hat.
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