Michael Köhlmeier

Die Abenteuer des Joel Spazierer

Roman
Cover: Die Abenteuer des Joel Spazierer
Carl Hanser Verlag, München 2013
ISBN 9783446241787
Gebunden, 652 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

"Ich besaß nie den Ehrgeiz, ein guter Mensch zu werden." Joel Spazierer, geboren 1949 in Budapest, wächst bei seinen Großeltern auf und ist vier Jahre alt, als sie von Stalins Schergen abgeholt werden. Fünf Tage und vier Nächte verbringt er allein in der Wohnung und lernt eine Welt ohne Menschen kennen. Es fehlt ihm an nichts, er ist zufrieden. Eher zufällig findet ihn seine Mutter, die noch Studentin ist. Joel Spazierer lernt nie, was gut und was böse ist. Sein Aussehen, sein Charme, seine Freundlichkeit öffnen ihm jedes Herz. Er lügt, stiehlt und mordet, ändert seinen Namen und seine Identität und betreibt seine kriminelle Karriere in vielen europäischen Ländern. Die Geschichte, die er uns ganz unschuldig erzählt, ist ein Schelmenroman über die Nachtseiten unserer Gesellschaft wie es noch keinen gab.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.04.2013

Nicht frei von problematischen Momenten findet Stephan Speicher Michael Köhlmeiers Schelmenroman. Nicht nur dass der Autor psychologische Leerstellen bei seiner Figur mit metaphysischen und theologischen Spekulationen auszufüllen sucht (leider ohne die befriedigende Schlüssigkeit, wie Speicher feststellt). Auch das Genre scheint Speicher mit einem zwar hübsch geschmeidigen, aber wirklich bösen Protagonisten arg strapaziert. An der süffigen Lesbarkeit des Romans, der den Leser durchs kommunistische Ungarn, durch Österreich, die Schweiz und Westdeutschland, Mexiko und die DDR führt und mit allerhand netten Details aufwartet, ändert das für Speicher allerdings nichts.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.02.2013

Martin Halter wird nicht so recht warm mit dem Protagonisten aus Michael Köhlmeiers neuem Roman "Die Abenteuer des Joel Spazierer". Der Autor hat einen waschechten Halunken losgelassen, verrät der Rezensent: als Kind bietet Spazierer noch seine Dienste auf dem Strich an, fängt aber dann recht fix das Morden an, zunächst die Mutter seines besten Freundes. Später lügt und betrügt er sich durch den Kalten Krieg, durch "New York, Moskau, Berlin und wieder zurück", mimt mal den Hausmeister in einem Priesterseminar um Drogen an die Anwärter zu verticken, mal gibt er sich als Enkel Ernst Thälmanns aus, um im "Bonzenparadies DDR" Karriere zu machen, fasst Halter zusammen. Gerade sein Mangel an Glauben und Werten lässt Spazierer aber hin und wieder mitreißend predigen: "Hütet euch, etwas zu erfinden, wofür sich zu leben lohnt, denn dafür lohnt es sich auch zu sterben und zu töten", zitiert der Rezensent. Insgesamt findet Halter das Buch schwierig. Es bordet über, verliert sich in Details und lässt dabei die Kohärenz von Größen wie Grimmelshausen oder Grass vermissen, meint er. Interessant findet Halter allerdings Köhlmeiers Idee, die Geschichte in eine Episode aus seinem früheren Roman "Abendland" einzubetten und Lukasser als korrigierenden Berater des Erzählers auftreten zu lassen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 31.01.2013

Dieser durch ein kindliches Trauma initiierte Held interessiert Andreas Breitenstein einfach nicht. Da kann Michael Köhlmeier seine Figur noch so krullmäßig schelmisch anlegen. So ambitioniert dem Rezensenten die Anlage des Romans in Episoden und der Einfallsreichtum des Autors, der den Leser durch die halbe europäische Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führt, auch erscheinen - der Funke zündet nicht. Breitenstein zeigt sich allenfalls ermüdet, erschlagen von Details, einer unglaubwürdigen Perspektive und additiver Handlung.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 31.01.2013

Ginge es im Literaturbetrieb gerecht zu, meint Michael Maar, Michael Köhlmeier müsste für seinen neuen Roman "Die Abenteuer des Joel Spazierer" mit Preisen überhäuft werden. Der Rezensent war zwar auch vorher schon ein Freund von Köhlmeiers Erzählkunst, aber diesmal hat der Autor sich selbst übertroffen, findet er. In Köhlmeiers Roman hilft Sebastian Lukasser - Alter Ego des Autors seit "Abendland" und "Madalyn" - einem alten Bekannten seine Geschichte zu erzählen, die Geschichte eines jugendlichen Mörders. Joel Spazierer war schon als Kind einem pathologischen Allmachtsgefühl verfallen und aus seiner eigenen Perspektive berichtet er über seine Gräueltaten. Schon als Neunjähriger war er ein Stricher,  später dann Lügner und, immer wieder, Mörder, fasst der Rezensent zusammen. Durch strategisches Vermischen von Beiläufigem und Unwichtigem mit der eigentlichen Geschichte erzeugt Köhlmeier "die Illusion der Lebenstreue". Die erzählerisch-eingreifende Figur Lukasser erinnert den Rezensent an "das alte Spiel der sich selbst zeichnenden Hand".