M. Blecher

Aus der unmittelbaren Unwirklichkeit

Cover: Aus der unmittelbaren Unwirklichkeit
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518223673
Gebunden, 154 Seiten, 12,80 EUR

Klappentext

Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Mit einem Nachwort von Herta Müller. Eine Wiese, "irgendwo auf der Welt", ein Sommernachmittag, "der sich chaotisch in die Glut der Sonne verirrt hatte", eine verwahrloste Uferböschung - verfluchte oder verzauberte Orte sind es, an denen die Ich-Figur von "Krisen" heimgesucht wird."Dort fühlte ich noch tiefer und noch schmerzhafter, dass ich auf dieser Welt nichts zu tun hatte, nichts weiter, als durch Parks zu streunen, über staubige, von der Sonne verbrannte, wüste und verwilderte Wiesen. Es war ein Herumstreunen, das mir letztlich das Herz zerriss." Das Vagabundieren des jugendlichen Protagonisten ist der Widerschein einer inneren Handlung: die Qualen und Exzesse der Wahrnehmung auf der Suche nach Realität, nach sich selbst in den Gegenständen, Orten, Personen. Je gefräßiger, obsessiver er sich ihnen nähert, um so unwirklicher wird er sich selbst, um so intensiver und kälter erstrahlt ihm die Welt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.03.2004

Mit dem schrecklichsten aller Alpträume wurde Lothar Müller in dem ersten und einzigen Roman des rumänischen Autors M. Blecher konfrontiert: "Er zeigt ihm nichts als seinen gegenwärtigen Schlaf. Der Schlaf selbst ... ist der Alptraum", so Müller. Der Autor, der nur zwei Jahr nach Erscheinen des Romans erst 29jährig an Knochentuberkulose starb, wie der Rezensent berichtet, studierte Medizin in Paris und stand dem Surrealismus nahe. Allerdings zeige er sich in seinem Buch keineswegs als Schüler des Surrealismus, sondern als eine seiner "eigenständigen Großfiguren", die sich des revolutionären Pathos eines Breton oder Dali entschlägt, so Müller, und ihm die "Implosion des 19. Jahrhunderts" entgegensetzt. Blechers Icherzähler versucht dem ständig drohenden Selbstverlust durch das Erinnern der "Krisen" seiner Kindheit und Jugend zu entgehen, die "zugleich Bilder des Abschieds einer Epoche" sind, erzählt der Rezensent fasziniert und lobt den Roman als "kongeniales Gegenstück" zu Breton - an dem man sich, so bleibt zu hoffen, im Gegensatz zur Rezension wohl auch dann erfreuen kann, wenn man Breton nicht gelesen hat.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.02.2004

M. Blechers Prosa ist "Körperprosa", behauptet Harald Hartung fasziniert, eine sich der Welt öffnende Textur, die allerdings dem "Fluch des Denkenmüssens" unterworfen sei. Was verbirgt sich hinter dem so spröde klingenden Romantitel eines rumänischen Avantgarde-Autors, der Dalis Malerei in Literatur verwandeln wollte, fragt Hartung. Ein keineswegs spröder Text, ein kleiner Entwicklungsroman, der das erotische Werben eines jungen Mannes um eine Frau und eine vom Tod überschattete Jugend schildert. Hartung ordnet Blecher, der zum Medizinstudium nach Paris kam und 1938 mit nur 29 Jahren an Knochentuberkulose starb, zwischen Benn und Valery, Michaux und Sartre ein: Blechers namenloser Erzähler führe eine Existenz zwischen Philosoph und Puppe, so Hartung, ein schutzloses Leben, das der Welt ausgeliefert sei und dabei nicht aufhöre, diese Existenz zu reflektieren. Das ist ungemein suggestiv, auch dem Leser unter die Haut gehend, schwärmt der Rezensent und stellt sich ohne Wenn und Aber hinter Herta Müllers leidenschaftliches für diesen vergessenen Autor Plädoyer (im Vorwort zum Buch).
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.12.2003

M. Blechers 1936 verfasster Prosaerstling "Aus der unmittelbaren Unwirklichkeit", der nun in einer "vorzüglichen Übersetzung" von Ernest Wichner vorliegt, hat Andreas Breitenstein außerordentlich fasziniert. Es werde kaum noch Gelegenheiten geben, "das Fluidum der traumverlorenen Vorkriegsmoderne in solcher Frische neu zu erfahren" wie hier, befindet Breitenstein. Wie er berichtet, bietet der Text keine Handlung, die sich nacherzählen ließe, sondern kommt episodisch daher, als innerer Monolog eines namenlosen "halbwüchsigen Streuners", den sein Gespür für die "Sensation des Gewöhnlichen" auszeichnet. Ein "hochverletzlich" gebliebenes Ich gewähre Einblick in die Verwirrung seiner Gefühle und in den Aufruhr seines Intellekts, in mikroskopische Seelenregungen und Denkbewegungen. Daneben finden sich Hang zur Melancholie, ein Kult der Vergeblichkeit und die Liebe zur Halbwelt. Das Schöne kippe ins Hässliche, das Niedliche ins Monströse. Als Vergleich zu Blecher drängen sich Breitenstein Namen wie Franz Kafka, Rainer Maria Rilke, Georg Trakl oder Robert Walser auf. Blecher lehre den Horror der Welt genauso wie ihren Zauber, resümiert der Rezensent: "Wer seine poetische Prosa gelesen hat, wird noch lange mit weit aufgerissenen Augen umhergehen."
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