Ljudmila Ulitzkaja

Das grüne Zelt

Roman
Cover: Das grüne Zelt
Carl Hanser Verlag, München 2012
ISBN 9783446239876
Gebunden, 592 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Ljudmila Ulitzkaja erzählt von drei Freunden, die in der Sowjetunion zu Dissidenten werden. Ilja, der Fotograf, vervielfältigt und verbreitet in seiner Freizeit verbotene Literatur. Als sich Jahre später herausstellt, dass er auch für den KGB tätig war, muss er fliehen. Micha ist Jude und schreibt seit seiner Jugend Gedichte. Wegen seiner Nähe zum Samisdat wird er denunziert und kommt ins Lager. Sanja kümmert sich während Michas Haft um dessen Frau und kleine Tochter. Dennoch hält ihn nach Michas Tod nichts mehr in der Sowjetunion. In ihrem großen Gesellschaftspanorama erzählt Ulitzkaja von Mut und Verrat, irregeleiteten Idealen, menschlicher Größe und Niedertracht - und immer wieder von der Liebe, die das Handeln der Menschen antreibt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.09.2012

Für Rezensentin Sabine Berking ist Ludmila Ulitzkaja die "Grande Dame" der russischen Literatur und nicht weniger hymnisch bespricht sie ihren neuen Roman "Das grüne Zelt". In ihrem ebenso brillanten wie erschütternden "Tolstoi'schem Sittengemälde" der sowjetischen Intelligenzija schaue Ulitzkaja erbittert auf die Breschnew-Ära und die Suche der Oppositionsbewegungen nach Freiheit und alternativen Lebensformen in den Sechzigern zurück, berichtet die Kritikerin. Berking beobachtet Ulitzkajas zahlreiche Helden, allesamt Randfiguren des oppositionellen Alltags, nicht nur dabei, wie ihre Vorstellungen, Träume und Karrieren als Wissenschaftler, Pianisten oder Künstler immer wieder an den politischen und sozialen Verhältnissen zerbrechen, sondern erlebt auch, wie die heranwachsenden Protagonisten versuchen, ihre Angst zu überwinden. Dabei gelinge es der Autorin sowohl gefühlvoll, "wohltuend und altmodisch" zu erzählen, als auch im Rückbezug auf ihre eigene Biografie scharfsinnig an eine schlimme Epoche zu erinnern.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.09.2012

Rezensentin Christiane Pöhlmann ist unsicher, ob Ljudmila Ulitzkaja mit diesem Roman über eine Gruppe junger Leute, die sich mit ihrem Lehrer bei einem Spaziergang durch Moskau die russische Literatur erschließen, tatsächlich die richtige Gattung getroffen hat. So bleibt ihr der Zugang zur Literatur etwas zu schematisch: Die Leidenschaft der Figuren für je geliebte Literaten bleibt zuweilen unzugänglich. Vielleicht sollte man den Roman daher, so Pöhlmanns Vorschlag, ohnehin eher als fiktives "kulturgeschichtliches Sachbuch", lesen. Derart perspektiviert, bietet sich eine "gewaltige" Themenvielfalt, die Musik und Theater genauso umfasst wie einen großen Anekdotenschatz der russischen Literatur, so Pöhlmann. Auch die Erzählhaltung des Buches, die durch Vorwegnahmen zukünftiger Ereignisse regelmäßig den Spannungsgrad senke, ärgere dann nicht mehr. Dennoch kommt die Rezensentin nicht umhin, am Ende ihrer Ansicht nach gelungenere Bücher zur Sowjetunion zu empfehlen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 01.09.2012

Ganz hingerissen ist Rezensent Ulrich M. Schmid von Ljudmilas Ulitzkajas neuem Roman "Das grüne Zelt", mit dem sie sich seiner Meinung nach endgültig in der "ersten Liga russischer Gegenwartsliteratur" einreiht. Die studierte Biologin, die erst nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes zu literarischem Ruhm kam, könne aus ihrem Leben so viel berichten, dass sie ihre Erfahrungen in diesem autobiografischen Roman auf ein ganzes Ensemble von Figuren verteilen müsse, berichtet der Kritiker. Und so begleitet er hier in verschiedenen Episoden die kunstvoll verknüpften Schicksale von drei Mädchen und drei Jungen von den fünfziger Jahren bis in die Gegenwart. Ihre unterschiedlichen Reaktionen auf den Tod Stalins, ihr Kampf gegen die Strukturen des Sowjetstaates, die Flucht in die private Existenz oder in die Kunst spiegeln immer den Erfahrungshorizont der Autorin wider, so Schmid. Während Ulitzkaja ihren herausragenden Roman in erster Linie als Mahnung gegen die zunehmende Sowjetnostalgie konzipiert habe, lernt der Rezensent in diesem Buch vor allem viel über die "Handlungsmöglichkeiten im Spannungsfeld zwischen Geschichte, Religion, Kunst, Gesellschaft und Familie".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 01.09.2012

Ein eindrucksvolles Porträt der sowjetischen Gesellschaft von den 1950er bis zu den 1990er Jahren vermittelt sich Karl-Markus Gauss in Ljudmila Ulitzkajas neuem Roman "Das grüne Zelt". Zwar verschweigt der Rezensent nicht den Hang der Autorin zur Redseligkeit. Auch wirkt ihre Sprache auf ihn bisweilen recht "altbacken". Aber wer darüber hinwegsehen kann, wird nach Ansicht von Gauß mit einem gewaltigen, verwegen komponierten russischen Gesellschaftspanorama voll von anrührenden Figuren, starken Geschichten und melancholischen Anekdoten belohnt. Nicht nur die Hauptfiguren - drei Freunde und drei Freundinnen, deren Wege sich seit der Schule immer wieder kreuzen -, sondern auch Dutzende von Nebenfiguren scheinen ihm lebendig konturiert. Sicher, manchmal findet er es ein wenig schwer, bei all den Figuren, Namen und Biografien die Orientierung zu behalten. Doch immer wieder beeindruckt ihn die Autorin durch ihre Einfälle, ihre Figurenzeichnung und überraschende Konstellationen.
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