Keith Lowe

Der wilde Kontinent

Europa in den Jahren der Anarchie 1943 - 1950
Cover: Der wilde Kontinent
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2014
ISBN 9783608948585
Gebunden, 526 Seiten, 26,95 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Stephan Gebauer und Thorsten Schmidt. Keith Lowe beschreibt den Abstieg eines ganzen Kontinents in die Anarchie. Dabei zeigt er die Gewalteruption des Zweiten Weltkrieges als ein komplexes Geschehen über die sogenannte Stunde Null hinaus. Im Zentrum seiner Neudarstellung der Nachkriegszeit stehen die vielen auf dem Kontinent aufflammenden regionalen Konflikte, die auch noch nach den klassischen Kriegshandlungen stattfanden: Bürgerkriege wüteten, ethnische Spannungen und Säuberungen dauerten an, Juden und Minderheiten wurden weiterhin verfolgt. Der Krieg hatte - trotz Hitlers Niederlage - eine Gewaltdynamik entfacht, die sich nicht mit der Kapitulation stoppen ließ.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.04.2015

Vom Historiker Keith Lowe lernt Cord Aschenbrenner, dass der Begriff "Nachkriegszeit" eigentlich ein Euphemismus ist, wenn es um den Zweiten Weltkrieg geht. Aufgrund von zahlreichen Quellen und Dokumenten erschafft der Autor ein Bild Europas in den Jahren 1943 bis 1950, das Aschenbrenner nicht anders als infernalisch bezeichnen kann. Fesselnd bei all den abstoßenden Details über Mord, Folter, Hunger und Elend scheint dem Rezensenten das Buch, da es den Alltag der Menschen zeigt und was es bedeutete, der Kollaboration bezichtigt zu werden, Bergen-Belsen zu befreien oder als "Waldbruder" im Baltikum gegen die Sowjetisierung zu kämpfen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.12.2014

Harry Nutt zeigt sich beeindruckt von Keith Lowes Studie, einer europäischen Gewalt- und Traumageschichte der Zeit zwischen 1943 und 1950, wie Nutt schreibt. Besonders gefällt Nutt die grenzüberschreitende Perspektive des britischen Historikers auf die ethnischen und ideologischen Schlachten der Nachkriegszeit. Der Rezensent lernt aus der Lektüre nicht nur die Ursachen und Mechanismen von Gewalt und Zivilisationsbrüchen kennen, sondern vermag mit Lowe auch Fakten und Legenden voneinander zu scheiden und das im Buch gezeichnete für ihn schwer zu verkraftende Schreckenspanorama als Verständnishilfe für heutige kriegsbedingte Flüchtlingsbewegungen zu nutzen.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 22.11.2014

Ganz so einfach und pauschal wie der Autor möchte Peter Reichel Europa nach dem Zweiten Weltkrieg dann doch nicht sehen. Keine Frage für den Rezensenten: Europa war kaputt und in Teilen herrschte Chaos, doch nicht überall dasselbe, wie Keith Lowe dem Leser weißmachen möchte, meint Reichel. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, hätte der Autor in seine Betrachtung allerdings neben Osteuropa, neben Polen, der Ukraine und der Tschechoslowakei auch Nord-, Mittel- und Westeuropa einbeziehen müssen, glaubt Reichel. Darüber hinaus findet er, dass der Autor mit seiner Arbeit, die für Reichel vor allem von plastischen Fallbeispielen und Zeitzeugenberichten lebt, weniger von informativen Kommentaren und kluger Argumentation des Autors, offene Türen einrennt. Schließlich, so erklärt Reichel, kann von einer "makellosen Erfolgsgeschichte" Nachkriegseuropas, gegen die Lowe seine These von der moralischen Kapitulation wendet, überhaupt keine Rede sein.