Kay Redfield Jamison

Wenn es dunkel wird

Zum Verständnis des Selbstmordes
Cover: Wenn es dunkel wird
Siedler Verlag, München 2000
ISBN 9783886807062
Gebunden, 415 Seiten, 25,51 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation starben 1998 mehr Menschen durch eigene Hand als durch Krieg und Verbrechen. Vor allem in der Altersgruppe der 15- bis 45-jährigen nimmt die Selbstmordrate dramatisch zu. Die gesellschaftliche Tabuisierung des Selbstmordes kostet Leben, meint Kay Redfield Jamison. Jamison untersucht das Phänomen des Selbstmordes unter vielfältigen Blickwinkeln: Neben statistischem und wissenschaftlichem Material, das den Stand der medizinischen, neurologischen, genetischen und psychologischen Forschung wiedergibt, zieht sie literarische Zeugnisse, Tagebücher und Abschiedsbriefe von Seneca bis Virginia Woolf, Evelyn Waugh, Sylvia Plath, Dorothy Parker oder Anne Sexton heran und wertet Biografien und gerichtsmedizinische Akten aus. Sie diskutiert Gründe, Methoden und Schauplätze von Selbstmorden ebenso wie die Erkennung von suizidalem Verhalten, die öffentliche Aufklärung und die medizinische Prävention.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.06.2001

Regula Venske bespricht in einer Mehrfachrezension vier Bücher, die sich mit dem Thema Suizid befassen.
1.) Ebo Aebischer-Crettol: "Aus zwei Booten wird ein Fluss" (Haffmans)
Venske bezeichnet diesen Band als ein "hilfreiches Buch" für Betroffene und ihre Angehörigen. Besonderer Pluspunkt scheint für sie zu sein, dass der Autor ursprünglich Chemiker war und später Pfarrer und Seelsorger wurde. Und so werden, wie der Leser erfährt, sowohl biochemische Aspekte und Mangelzustände besprochen, aber auch "psychologische und allgemein menschliche" Seiten des Suizids. Zwar findet Venske die Darstellung bisweilen ein wenig ungeschickt, doch wird dies ihrer Ansicht nach durch die "Fülle des Materials, die gedanklichen Begegnungen und die durchdrungene Lebenserfahrung" wieder wettgemacht. Aebischer-Crettol geht, wie die Rezensentin anmerkt, sehr einfühlsam auf die Sorgen Betroffener ein und widmet sich auch dem Tabu, das das Thema immer noch umgibt.
2.) Gerald/Völkel/Weyershausen: "Das Lexikon der prominenten Selbstmörder" (Schwarzkopf & Schwarzkopf)
Diesem Buch kann die Rezensentin nichts abgewinnen, und deshalb hält sie sich auch nur kurz damit auf. Zum einen stört sie sich an dem Spekulativ-Reißerischem, zum anderen weist sie auf die fragwürdige Auswahl der Persönlichkeiten hin, denn sogar Salvador Allende wird hier in die Liste der prominenten Selbstmörder mit aufgenommen. Am schlimmsten jedoch findet sie, dass die Herausgeber 300 Persönlichkeiten "fröhlich enttabuisiert im Freitode" vereint haben und die "Verzweiflung der Betroffenen frivol zu einem Kuriosum degradierten".
3.) Kay Redfield Jamison: "Wenn es dunkel wird" (Siedler)
Venske weist zunächst darauf hin, dass die Autorin Professorin für Psychiatrie ist und hier ihre Erfahrungen mit psychisch Kranken, aber auch mit einer eigenen Depression "in höchst lesenswerter Weise" zusammenfasst. Der Rezensentin gefällt die Mischung zwischen wissenschaftlichen Betrachtungsweisen einerseits und persönlichen Aspekten andererseits und bescheinigt der Autorin darüber hinaus einen "eleganten, durchaus literarischen Stil".
4.) Gerd Mischler: "Von der Freiheit, das Leben zu lassen" (Europa Verlag)
Bei diesem Buch sieht Venske die Gefahr einer zu großen "Romantisierung" des Freitods. Sie hält zwar die Forderungen an die Gesellschaft, "tolerant und sachverständig mit dem Problem umzugehen", prinzipiell für gerechtfertigt. Doch müsse man hier deutlich unterscheiden: Ihrer Ansicht nach ist der Suizid nur selten eine "hoch individuelle Privatangelegenheit eines aufgeklärten und rational handelndes Subjekts". Darüber hinaus bedeute ein Suizid auch immer einen "gewaltsamen Eingriff in das Leben anderer" - ein Aspekt, der ihrer Ansicht nach offenbar in dem vorliegenden Buch nicht ausreichend berücksichtigt wurde.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.01.2001

Kay Redfield Jamison, Professorin für Psychiatrie an der John Hopkins Universität, vermag auf sehr eindringliche Weise über die Tragweite des Selbstmords sowohl für den Suizidanten als auch für dessen Umgebung zu berichten, meint Rezensent Horst Petri. Der Leser werde schonungslos in eine Vorhölle versetzt. Doch bei aller Fachkenntnis und Empathie stört Petri die biologisch-psychiatrische Grundposition der Autorin. Diese Position vernachlässige psychodynamische und beziehungstheoretische Aspekte, die zu einem ganzheitlichen Verständnis und für breitere Therapiemöglichkeiten von suizidgefährdeten Menschen mindestens genauso wichtig seien wie die Annahme, potentielle Selbstmörder könne man medikamentös behandeln.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.10.2000

Die höchste Selbstmordrate unter Akademikern weisen, so makaber es klingen mag, meint Bernd Mattheus, die Psychiater auf. Auch die Autorin war so eine Selbstmordkandidatin, erfährt man von ihm, heute unterrichte sie Psychiatrie an einer Medizinerschule. Nach Mattheus gibt die Autorin zunächst einen historischen Abriss zum Suizid: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ächtung erst mit dem Christentum einsetzte und für alle monotheistischen Religionen galt. Selbstmord statt Freitod, heißt es seither. Die Autorin berücksichtigt zwar die neuesten Statistiken (mehr Selbstmorde als Kriegsopfer) und Forschungsergebnisse aus der Neurobiologie, Pharmakologie und Genetik, ihrer These von der Selbsttötung als Folge einer psychischen Erkrankung mag Mattheus aber nicht generell zustimmen. Jamisons Ansatz bleibe Erklärungen schuldig - wie bitte lassen sich 340 000 Suizide in China im Jahr 1990 erklären? Kulturspezifische Normen seien in Japan oder China weit ausschlaggebender als psychische Erkrankungen, behauptet Mattheus. Alles in allem aber ein wohltuend sensibles Buch, so der Rezensent abschließend, das mit dubioser Ratgeberliteratur nichts gemein hätte.
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