Karl-Heinz Göttert

Massen in Bewegung

Über Menschenzüge
Cover: Massen in Bewegung
Die Andere Bibliothek, Berlin 2023
ISBN 9783847704577
Gebunden, 440 Seiten, 44,00 EUR

Klappentext

Mit Abbildungen. Karl-Heinz Göttert demonstriert mit  einer Fülle von historischem Material: Menschen sprachen und sprechen mit ihren Körpern, zu allen Zeiten, in allen Formen politischer und gesellschaftlicher Verfassung.Menschen marschieren, paradieren und demonstrieren für ihren Glauben, ihre Meinungen, Haltungen und Wünsche - mit und ohne Erfolg. In Mengen, als Scharen und in Prozessionen finden sie sich zusammen, ihre Körper formieren sie zu einem einzigen, dem Körper der Masse. Karl-Heinz Göttert mustert die Geschichte der Menschenzüge, von den "heiligen Straßen" des Altertums über die Triumphzüge des alten Rom, von der Übernahme der antiken Prozessionsformen durch das Christentum zu den karnevalesken Ausformungen ab dem Mittelalter. Die Französische Revolution agierte sich nicht zuletzt in ihren Festen und Festzügen auf Straßen, Alleen und Feldern aus - ein reicher Fundus an Formen, auf die die Arbeiterrevolutionen zwischen den Jahrhunderten ebenso wie eine neue Form republikanischer Willensbildung auf der Straße zurückgriffen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.05.2023

Rezensent Harry Nutt lernt mit diesem Buch des Germanisten Karl-Heinz Göttert, dass das "Gehen in Gemeinschaft" einen sehr wichtigen Aspekt der menschlichen Kulturgeschichte darstellt. An polarisierenden Thesen ist der Autor nicht interessiert, so der Kritiker, sondern erscheint hier vielmehr als "akribischer Sammler" historischen Materials, der das Phänomen der Bewegung in Massen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Prozessionen hatten über die Jahrhunderte immer eine wichtige Funktion, im antiken Griechenland dienten sie der kultischen Verehrung von Gottheiten, aber auch der Repräsentation der Polis, im Mittelalter entdeckten die Herrschenden kirchliche Märsche als Möglichkeit zur Demonstration ihrer eigenen Macht, weiß der Rezensent nun. Götterts Kulturgeschichte reicht bis in die Gegenwart, wo sich die Prozession zur Demonstration entwickelt. Dem Kritiker beschert dieser Band "anhaltendes Lesevergnügen", er hätte sich lediglich eine Erweiterung der weitgehend auf Europa konzentrierten Untersuchung auf die Globalgeschichte gewünscht.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 15.03.2023

Rezensent Tobias Lehmkuhl begibt sich mit Karl-Heinz Göttert auf die Suche nach dem Ursprung von prozessierenden Menschenmassen. Zunächst stelle der Autor den Ritualcharakter kirchlich-religiöser Prozessionen wie der an Fronleichnam oder der Pilgerfahrt nach Mekka heraus und versäume dabei nicht, die politische Bedeutung von Körpern in Bewegung zu betonen. Bußprozessionen als öffentliche Geißelungsrituale kommen dabei ebenso zur Sprache wie die Veränderung hin zu Demonstrationen wie dem Volksaufstand in der DDR, freut sich Lehmkuhl. Schade findet er das eurozentrische Bild, auf das sich Götter konzentriert, Lehmkuhl hätte sich gewünscht, nicht nur vom globalen Norden zu lesen, auch andere Massenveranstaltungen im Bereich Sport und Kultur hätten ihn interessiert. Dennoch ein guter Einstieg in die Thematik, resümiert der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.03.2023

Fast ungehalten resümiert Stephan Speicher sein Lektüreerlebnis. Nicht nur versteht er nicht so recht, worauf der Autor mit deiner historischen Parade verschiedener Formen menschlicher Umzüge in Massen ("von Stonehenge bis zum Christopher Street Day") hinaus will, er kann ihm auch noch eine Menge recht peinlicher Fehler nachweisen. Den Autor Pausanias etwa datiere Göttert auf das 5. Jahrhundert vor Christus und lokalisiere ihn in Sparta, "tatsächlich lebte er im 2. Jh. n. Chr. und stammte aus Kleinasien". So sucht Speicher im ganzen Buch vergeblich nach Substanz, denn leider kompensiere Göttert seine Bildungslücken im Historischen nicht durch Fantasie im Theoretischen. Man fragt sich eigentlich, warum eine solche Rezension über ein offenbar völlig überflüssiges Buch überhaupt erscheint, wenn nicht als Warnung.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 23.01.2023

Dass Karl-Heinz-Göttert in seinem Buch über bewegte Massen Theoretiker wie Freud und Canetti außen vor lässt, kann Rezensent Arno Orzessek gut verkraften. Dem Rhetoriker Göttert gehe es schließlich nicht um die Psychologie der Massen, sondern um ihre Körper. Sein Streifzug durch die Weltgeschichte folgt einer "Evolution des gemeinsamen Gehens". Orzessek geht mit, von babylonischen Prozessionen über den venezianischen Karneval bis zur Montagsdemo. Niveauvolles Schmökern bereitet ihm das Buch, keine philsophische Tiefen, aber immerhin die Erkenntnis, dass eine Wahrheit etwas mit der Zahl an Menschen zu haben könnte, die sie auf der Straße vertreten.