Jürgen Oelkers

Eros und Herrschaft

Die dunklen Seiten der Reformpädagogik
Cover: Eros und Herrschaft
Beltz Verlagsgruppe, Weinheim 2011
ISBN 9783407859372
Broschiert, 340 Seiten, 22,95 EUR

Klappentext

Jürgen Oelkers stellt den Gründungsmythos der Reformpädagogik vom Kopf auf die Füße: Das wahre Gesicht der ursprünglichen Reformpädagogik ist gekennzeichnet von getarnten sexuellen Übergriffen, der Demütigung zahlreicher Schüler, von Führerkult und Intrigen. Die politischen Optionen waren völkisch, chauvinistisch und oft begleitet von rassistischen und antisemitischen Tendenzen. Die Geschichte der Reformpädagogik ist nie von ihrer dunklen Seite her erzählt worden. Stattdessen überwiegen bis heute die Verherrlichung ihrer Gründerväter und die Beschwörung einer "neuen" und "besseren" Erziehung. Anhand von bislang unerschlossenen Quellen zeichnet Jürgen Oelkers nach, wie sich das Leben an den wichtigsten reformpädagogischen Gründungsprojekten, u.a. der Odenwaldschule, wirklich abgespielt hat und erklärt damit, warum die im Laufe des Jahres 2010 bekannt gewordenen Fälle sexueller Übergriffe über Jahrzehnte hinweg bis heute verheimlicht und verschwiegen werden konnten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.11.2011

Zu wenig Sinn für Zwischentöne und die Historizität des Problems attestiert Urs Hafner dem Buch des Erziehungswissenschaftlers Jürgen Oelkers, zu wenig, um als Geschichtsschreibung der Reformpädagogik zu funktionieren. Allerdings ist es Oelkers darum auch nicht zu tun. Eigentlich nämlich, und das erkennt Hafner auch an, versucht der Autor nur seine These einer frühen Grundlegung pädophiler Tendenzen in der Reformpädagogik zu belegen und dagegen die staatliche Schule (als besser reformierte Schule) ins Feld zu führen. Dazu bedient er sich, wie Hafner schreibt, vieler bereits edierter Belege, etwa auch zur, wie Hafner erkennen muss, besonders düsteren Zeit der Reformpädagogik zwischen 1889 bis 1933.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 11.10.2011

Außerordentlich "verdienstvoll" findet es Rezensent Volker Breidecker, dass Jürgen Oelkers mit diesem Buch die "dunklen Seiten" der Reformpädagogik offenlegt: das verlogene Gerede vom "pädagogischen Eros", das oft nur zur Rechtfertigung sexueller Übergriffe diente; den Korpsgeist der meist von protestantischen Pädagogen gegründeten Schulen, der - ähnlich wie bei einigen katholischen Theologen - nur seinem Gewissen, nicht dem Gesetz verantwortlich zu sein glaubt; und nicht zuletzt das "traditionell männerbündische" - und auch hier dürfen Katholiken sich eingeschlossen fühlen - deutsche Geistesleben, das nach den Missbrauchsskandalen ziemlich abgewirtschaftet aussieht. Oelkers untersucht die Geschichte der Reformpädagogik an vier Beispielen, so Breidecker: dem britischen Abbotsholme, deutschen Landerziehungsheimen, der Freien Schulgemeinde Wickersdorf und der Odenwaldschule bis 1933. Angesichts des "phänomenalen empirischen Detailreichtums" dieser Studie erhofft sich Breidecker, dass endlich die längst überfällige Debatte - auch unter Linken und Schwulen - beginnt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.10.2011

Rezensent Micha Brumlik ist überzeugt, mit der vorliegenden Studie Jürgen Oelkers' ein zukünftiges Standardwerk der Pädagogikgeschichte gelesen zu haben. Es geht darin um die Geschichte der Landerziehungsheime und die hinter ihrer Erfindung stehende Ideologie, schreibt der Rezensent. Diese Ideologie habe zu Kaiser- und Weimarer Zeiten unter dem Begriff des "pädagogischen Eros" firmiert und eine unheilvolle Allianz aus Griechenverehrung, Militarismus und Pädophilie gebildet, resümiert Brumlik. Einige ihrer Vordenker, insbesondere den Schulgründer Gustav Wyneken, stellt Oelkers in das Zentrum seiner Ausführungen, wie wir erfahren; nicht ohne auch die wirtschaftlichen Grundlagen der Landerziehungsheime in den Blick zu nehmen. Insgesamt empfiehlt der Rezensent dieses "bestens recherchierte" Buch vor allem deshalb, weil es die nach wie vor aktuelle Frage nach dem "Verhältnis von Nähe und Distanz zwischen den Generationen" beleuchtet und dabei unbequem ist - so unbequem, dass der Autor es als einziges seiner Bücher ungern verfasst habe, wie Brumlik mitteilt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 29.09.2011

Nach den zahlreichen Missbrauchsfällen des vorigen Jahres sichtet Heinz-Elmar Tenorth in einer Sammelbesprechung die ersten analytischen Auseinandersetzungen zu diesem Thema. "Wahre Schreckenswelten pädagogischer Herrschaft" tun sich für ihn nach der Lektüre dieses Buches auf, in dem der Schweizer Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers die Geschichte der Landerziehungsheime bis zum Jahr 1933 minutiös aufgearbeitet hat. Doch über historische Aufarbeitung hinaus, gewinnt dieses Buch durch das Aufdecken der inhärenten Machtstrukturen dieser Institutionen an Brisanz, meint Tenorth, denn sie haben  Missbrauch und Gewalt erst möglich gemacht. Oelkers suche die Wurzel des Übels, resümiert Tenorth und zerlege dabei auch das Geflecht des Schweigens aus Eltern, Institution und Öffentlichkeit, die sich einig waren nur das Beste zu wollen. Eine endgültige Abrechnung mit der Reformpädagogik habe Oelkers nicht im Sinn, meint Tenorth, auch wenn eine gewisse Pro-Contra-Logik Oelkers Analyse nicht abgesprochen werden kann. Diese Buch fordert für Tenorth die Reformpädagogik dazu heraus, ihre menschenfreundlichen Erziehungsmethoden und deren institutionelle Organisation eindringlich zu hinterfragen.