John Irving

Die vierte Hand

Roman
Cover: Die vierte Hand
Diogenes Verlag, Zürich 2002
ISBN 9783257063035
Gebunden, 400 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Deutsch von Nikolaus Stingl. Ein New Yorker TV-Journalist verliert während einer Reportage vor laufender Kamera seine linke Hand - sie wird von einem hungrigen Zirkuslöwen aufgefressen. Millionen Fernsehzuschauer sind Zeugen des Unfalls. Nach dem Willen einer Zuschauerin soll der Journalist die Hand ihres Gatten bekommen - falls dieser stirbt. Doch der Mann ist jung und kerngesund...

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.04.2003

Ulrich Sonnenschein kann diesem Roman nichts abgewinnen, er kanzelt ihn in seiner Rezension als "unter Niveau" ab. Die Geschichte, die von einem Mann erzählt, dem die Hand von einem Löwen abgerissen wird, will, erklärt der Rezensent, nicht nur die Medienwelt kritisieren, sondern gleich das "ganze System". Doch Sonnenschein bleibt nicht nur die Hauptfigur zu flach, die er als "ohne Tiefe, ohne Entwicklung und ohne Überraschungen" empfindet. Auch die Medienkritik ist ihm letztlich zu "undifferenziert". Und so bleibt der Roman für ihn eine "unaufwendige Satire mit Beißhemmung". Der Rezensent vermutet, dass dies nicht zuletzt mit Irvings Erfahrungen mit der Filmindustrie zu tun hat und sieht die fehlende "Opulenz" des Buches, die er sonst an den Romanen des amerikanischen Autors so schätzt, der Orientierung an die Filmwelt geschuldet. Denn, so der Rezensent enttäuscht, als Film mag der Roman vielleicht sogar "noch eine Chance" haben.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.07.2002

Enttäuscht zeigt sich Thomas David von John Irvings jüngstem Romanopus, das seiner Meinung nach von den Ereignissen des 11. September profitieren konnte, weil es die Abkehr vom Katastrophenjournalismus preist. Aber nicht seinen anhaltenden Erfolg macht er Irving zum Vorwurf, sondern seine handwerklich luschige Arbeit: das Buch, das eine abgebissene Hand sowie eine Handtransplantation bei eben jenem Sensationsjournalisten zum Thema hat, wirkt selbst wie ein "amputierter Roman" Irvings, meint David. Es sei der Roman eines Autors, der zu seinen früheren Büchern den Kontakt abgebrochen habe. Zwar weise die Geschichte immer noch jene Irving eigenen skurrilen Züge auf, aber zugleich werde die ebenso typische Rührseligkeit dieses Mal nicht von einer raffinierten Handlungskonstruktion gebrochen. Die Geschichte über den von der Liebe (nicht von der Amputation beziehungsweise Transplantation) geläuterten Sensationsjournalisten wirkt schlicht überzuckert, lautet Davids Urteil, im übrigen sei sie gerade und völlig kunstlos erzählt, als handele es sich um einen abgerissenen Erzählstrang aus einem von Irvings früheren Büchern. Gleich zweimal spricht der Rezensent von einem "amputierten Roman".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.05.2002

Ulrich Baron vermisst die Themen, die im Klappentext von Irvings neuem Roman angepriesen werden: "Trauer, Verlust und die Kraft der Liebe", stattdessen würde man mit "Transplantationsmedizin, geschlechtlicher Ausschweifung und eleganter Entsorgung von Hundekot" konfrontiert. Dr. Zajac, der Handchirurg und Harvard-Professor, spiele die zweite Geige und sei nur da, um dem eigentlichen Irvingschen Helden Patrick Wallingford eine neue Hand anzunähen. Warum "Die vierte Hand", fragt sich der Rezensent, denn selbst in seinen besten Zeiten hätte Wallingford nie mehr als zwei gehabt. Aber im Hinblick auf die Bedeutung, die der Autor dem eigentlichen Zentralorgan seines Helden und dessen unermüdlicher Erektionsfähigkeit beimesse, würden zwei, drei oder vier Hände keine Rolle spielen, meint Baron und kritisiert auch, dass Irving zu sehr seiner Begabung als versierter und origineller Erzähler vertraue. Teilweise präsentiere sich das Buch als "Nummernrevue": "Ein indischer Zirkus, ein attraktiver Fernsehmann, ein hungriger Löwe, eine abgebissene Hand ...."
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.02.2002

Gerrit Bartels outet sich als John Irving-Fan, der bereitwillig über manche Längen und Sackgassen der immer dicker werdenden Irving-Romane hinweg sah, weil er immer wieder auf einen den Unterhaltungswert übersteigenden Mehrwert der Romane hoffen konnte. Der neue Roman gibt sich sehr viel bescheidener, erzählt Bartels, bloß 400 statt 900 Seiten, aber dennoch mit dem Irving-typischen phantastisch-realistischen Erzählstil ausgestattet: die Geschichte werde alles andere als stringent erzählt. Einem Journalisten wird bei einer Zirkus-Reportage in Indien die Hand abgebissen. Er lernt naturgemäß einen Handchirurgen kennen und diverse Frauen, und aus dem Phlegmatiker wird ein beherzter Mensch, lautet Bartels' Kurzusammenfassung. Liebesgeschichten sind immer die kompliziertsten, schreibt er, dem ansonsten die unterschwellige Medienkritik Irvings moralinsauer aufstößt. Bartels kann zwar nicht jeden Abzweig und Seitensprung des Autors nachvollziehen, hält aber weiter das Motto hoch: Umwege erhöhen das Lesevergnügen.
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