György Konrad

Der Nachlass

Roman
Cover: Der Nachlass
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999
ISBN 9783518410851
Gebunden, 306 Seiten, 21,47 EUR

Klappentext

Antal Tombor hat sich eingerichtet. Soeben hat er das Haus erworben, in dem sein Urgroßvater gelebt hat. Er ist von viele Freunde umgeben und könnte zufrieden sein. Er hat ja auch einiges getan für seine Stadt und nach der politischen Wende Verantwortung übernommen. Gäbe es da nicht Geschichten, die ihn immer wieder erinnern, daß man 1944 seine Eltern abgeholt hat, daß er 1956 einen großen Teil seiner Freunde verloren hat und daß er, obschon Mittelpunkt für viele, letzten Endes einsam ist.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.10.1999

Karl-Markus Gauß hätte György Konrad gern gelobt, sich für den neuen Roman begeistert, etwas Positives geschrieben. Allein, im "Nachlaß" findet er nichts Gutes. Deshalb lobt er ausführlich Konrads frühere Meisterwerke, den Rang des Autors. Vielleicht aber auch, um die Fallhöhe noch dramatischer zu machen. Jedenfalls wird Gauss dann um so ehrlicher, nein gnadenloser: "Der Nachlass ist ein literarisches Desaster", Konrad an seinem "künstlerischen Tiefpunkt" angekommen, schreibt Gauß. Hellauf entsetzt zeigt er sich von Allgemeinplätzen und Allerweltsweisheiten, die Konrad seiner Meinung nach einfallslos aneinanderreiht: "Als wäre er nie ein Kritiker, sondern Protokollchef des bürokratischen Staates gewesen". Fast über eine ganze Seite schüttet Gauß seinen Ärger, sein Hohn wird immer lakonischer, sein Spott von Zeile zu Zeile beißender. Einige Passagen des Buches, lästert Gauß, könnten auch im Lyrik-Bändchen eines evangelischen Frauentages stehen. Nur Konrad wird über diesen Verriss gar nicht lachen können.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.10.1999

In einer Doppelrezension geht Hansjörg Graf nicht nur auf Konráds neues Buch "Der Nachlass" ein, sondern auch kurz auf die Neuerscheinung seines Romans "Der Besucher" (beide Suhrkamp Verlag).
1) "Der Nachlass":
Graf erkennt in "Der Nachlass" vor allem eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie man in einem politischen Kontext Position bezieht, und ab welchem Punkt man sich schuldig macht. Antal Tombor, ein Paradebeispiel passiven Widerstands, ist nach der Wende ein Mann mit Einfluss. Aber wie verhält man sich in einem "gemässigten Polizeistaat"? Wie schuldig hat man sich gemacht, wenn man bei Massenmord zugesehen hat? Soll man für Unterlegene eintreten, und ab wann wird man selbst ein Opfer? Diesen Diskurs führt Konrád "weder larmoyant noch abgeklärt", so Graf. Darüber hinaus macht er Konráds Stärken vor allem im Episodischen aus.
2) "Der Besucher":
Für Graf hat dieser Roman nach dreissig Jahren nichts von seiner Qualität eingebüsst, im Gegenteil: Das Buch gehöre in die "Top-Etage der zeitgenössischen Literatur". Auch wenn dieser Roman über das Scheitern eines Individuums in der Gesellschaft (genauer gesagt: in der Beamten-Routine) von regionalen Gegebenheiten ausgeht, so schmälert dies in Grafs Augen die Durchschlagskraft nicht: Ein "literarischer Paukenschlag", so lautet Grafs Fazit.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.10.1999

In einer Doppelrezension bespricht Ulrich M. Schmid neben Konráds "Der Nachlass" auch dessen ersten Roman "Der Besucher" (Suhrkamp-Verlag).
1) "Der Nachlass":
Schmid geht sehr ausführlich auf diesen vierten Teil von Konráds Romantetralogie ein. Obwohl er die Tetralogie als "Bestandesaufnahme der geistigen Verfasstheit Ungarns" betrachtet, steht für Schmid nicht das Politische im Vordergrund, sondern vielmehr die gesellschaftlichen Mechanismen, das Scheitern von Visionen, aber auch die daraus resultierenden Einsichten. Der eigentliche Handlungsverlauf ist zweitrangig, denn Konráds Technik ist eine "impressionistische", meint Schmid: die Beleuchtung einzelner Szenen scheint Konrád wichtiger zu sein, als eine Entwicklung zu beschreiben. Dass der Name der Stadt Kandor ein Anagramm aus dem Familiennamen des Autors ist, ist für Schmid kein Zufall: In seinen Augen spiegeln sich die Facetten von Konráds Persönlichkeit in den Figuren wider.
2) "Der Besucher":
Schmid streift nur diesen ersten, kürzlich neu aufgelegten Roman Konráds, der 1969 bereits einmal erschienen ist. Er zeigt sich dabei sichtlich beeindruckt von der "Inventarisierung" von Benachteiligten: Es sind Obdachlose, Anstaltskinder, Schwachsinnige, Gewalttäter, denen Konrád hier eine "literarische (und damit auch soziale) Existenzberechtigung" verleihe. Dabei interessiert sich Konrád in einem kritisch-philosophischen Sinne für die Umstände der sozialen Abgründe, in die er den Leser schauen lässt, so Schmid.
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