Ewald Frie

Ein Hof und elf Geschwister

Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben in Deutschland
Cover: Ein Hof und elf Geschwister
C.H. Beck Verlag, München 2023
ISBN 9783406797170
Gebunden, 191 Seiten, 23,00 EUR

Klappentext

Die stolze bäuerliche Landwirtschaft mit Viehmärkten, Selbstversorgung und harter Knochenarbeit ist im Laufe der Sechzigerjahre in rasantem Tempo und doch ganz leise verschwunden. Ewald Frie erzählt am Beispiel seiner Familie von der großen Zäsur. Mit wenigen Strichen, anhand von vielsagenden Szenen und Beispielen, zeigt er, wie die Welt der Eltern unterging, die Geschwister anderen Lebensentwürfen folgten und der allgemeine gesellschaftliche Wandel das Land erfasste. Zuchtbullen für die monatliche Auktion, Kühe und Schweine auf der Weide, Pferde vor dem Pflug, ein Garten für die Vorratshaltung - der Hof einträglich bewirtschaftet von Eltern, Kindern und Hilfskräften. Das bäuerliche Leben der Fünfzigerjahre scheint dem Mittelalter näher als unserer Zeit. Doch dann ändert sich alles: Einst wohlhabende und angesehene Bauern gelten trotz aller Modernisierung plötzlich als ärmlich und rückständig, ihre Kinder riechen nach Stall und schämen sich. Wege aus der bäuerlichen Welt weist die katholische Kirche mit neuer Jugendarbeit. Der Sozialstaat hilft bei Ausbildung und Hofübergabe. Schon in den Siebzigerjahren ist die Welt auf dem Land eine völlig andere. Staunend blickt man zurück, so still war der Wandel: "Mein Gott, das hab ich noch erlebt, das kommt mir vor wie aus einem anderen Jahrhundert." Ewald Frie hat seine zehn Geschwister, geboren zwischen 1944 und 1969, gefragt, wie sie diese Zeit erlebt haben.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.06.2023

In den höchsten Tönen lobt Rezensentin Elisabeth von Thadden Ewald Fries Geschichte über das bäuerliche Leben seiner Familie, das nun mit dem Deutschen Sachbuchpreis ausgezeichnet wurde. "Methodisch durchdrungen" von der Kunst des Historikers und ganz ohne Plauderei erzählt ihr Frie vom Aufwachsen mit elf Geschwistern, vom Vater, der ein Leben lang auf dem Hof im Münsterland als Rinderzüchter darbte, seinen Kindern aber ein anderes, besseres Leben wünschte, und von Auflösung der bäuerlichen Gesellschaft seit den sechziger Jahren. Die Kinder schämten sich für Armut und Kinderreichtum der Familie, in der katholischen Familie herrschte Schweigen, erfährt Thadden, die vor allem bewundert, wie zärtlich und "subtil" Frie das Lebensgefühl seiner Familie, mit der er lange Interviews führte, in Worte fasst. Darüber hinaus liest sie, wie durch die künstliche Besamung die Bullenzucht an ihr Ende kam, externe Arbeiter zu teuer wurden oder sich die Zahl der Traktoren zwischen 1949 und 1960 allein in Westfalen verzehnfachte. Ein berührendes Buch, in dem kein Wort zu viel ist, versichert Thadden.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 18.03.2023

Der Geschichtsprofessor Ewald Frie hat mit seinem neuen Buch nicht nur die eigene Familiengeschichte geschrieben, sondern auch kluge Betrachtungen zu einander begegnenden und überschneidenden, völlig unterschiedlichen Lebenswelten angestellt, lobt Rezensent Holger Heimann. Die Familie Frie ist bäuerlicher Herkunft, erklärt er, der Autor hat alle seine zehn Geschwister zu ihren Erfahrungen befragt, die nicht nur den Wandel von mühseliger landwirtschaftlicher Arbeit auf dem Dorf zu einer zunehmend technologisierten, verstädterten Welt umfassen, sondern auch die Sorge, man könnte in der Schule mit dem Bauernhofgeruch anecken, der einem möglicherweise anhaftet. Besonders freut sich Heimann darüber, dass Frie niemals in Überlegenheitspathos gegenüber seiner Herkunft verfällt, sondern das Leben seiner Eltern und ihre Arbeit als mindestens ebenso wertvoll wie das eigene beschreibt - nur eben anders. Ein von Respekt getragenes, schlaues Buch, schließt der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.03.2023

Wie Ewald Frie sich vor seinen Eltern verbeugt, rührt Rezensentin Ulla Fölsing sehr. Der 1962 geborene Historiker wuchs in einer streng katholischen Bauernfamilie in der Nähe von Münster in Westfalen auf und schildere sachlich, wie die Welt des Paares, das elf Kinder in die Welt setzte, nach und nach niederging, erklärt die Rezensentin. Wie Frie nach Gesprächen mit seinen Geschwistern ein Familienalbum frei von aller Larmoyanz gestaltet sei genauso anschaulich nachvollziehbar wie die Landflucht der akademisch gebildeten Sprösslinge, von denen nur einer sein Glück nicht in der Stadt suchte. Durch das ganze Buch, findet Fölsing, ziehe sich der rote Faden der Dankbarkeit für die Eltern, was das Buch zusätzlich außerordentlich lesenswert mache.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.02.2023

Rezensent Johan Schloemann zieht respektvoll den Hut vor dem Geschichtsprofessor Ewald Frie, der sich mit sechzig Jahren an die Aufarbeitung seiner eigenen Familiengeschichte gemacht hat. Ein "wunderbares" Buch ist aus den Gesprächen mit seinen vielen Geschwistern entstanden, freut sich Schloemann, dem das Leben der Mutter, die alle zwei Jahre schwanger war, offensichtlich besonders zu Herzen geht. Aber auch der Umstand, dass nur ein einziges ihrer Kinder das Land- dem Stadtleben vorzog, findet der Rezensent bemerkenswert. Eindrücklich zeichnet Frie "den Abschied von der bäuerlichen Gesellschaft" in der Bundesrepublik nach: Immer in wohlproportionierter Nähe und Distanz, findet der Rezensent. So bleibe Frie in bewundernswerter Weise sowohl Beteiligter als auch Wissenschaftler.
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