Emmanuel Carrere

Der Widersacher

Roman
Cover: Der Widersacher
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2018
ISBN 9783957576125
Gebunden, 195 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Claudia Hamm. Mit einem Gespräch zwischen Emmanuel Carrère und Claudia Hamm. Jean-Claude Romand scheint sein Leben im Griff zu haben. Nachbarn und Bekannte schätzen den erfolgreichen Arzt, seine Bescheidenheit und Intelligenz. Doch plötzlich ermordet er seine Frau und seine beiden kleinen Kinder, seine Eltern und deren Hund. Der Versuch, seine Geliebte und sich selbst zu töten, misslingt, möglicherweise gewollt. Die Ermittlungen der Polizei lassen innerhalb von wenigen Stunden die äußere Fassade einstürzen, dahinter gähnt Leere: Romands Leben ist seit 17 Jahren auf Lügen und Betrug gebaut. "Seine Forscherstelle bei der WHO, Geschäftsreisen, Konferenzen mit hochrangigen Kollegen - all das hatte es nie gegeben." Und niemand hatte je Verdacht geschöpft. Die Nachricht geht durch die Presse und veranlasst Carrère zu seinem ersten Tatsachenroman. Doch nicht die Fakten ziehen ihn in den Bann, sondern die dunklen Triebkräfte dahinter, "der Widersacher". Er schreibt Romand, trifft ihn, wohnt seinem Prozess bei, befragt ehemalige Freunde, versucht zu verstehen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.01.2019

Niklas Bender lässt sich von Emmanuel Carrère zu dem Punkt führen, da Fiktion und Fakten sich die Waage halten und der Tatsachenroman entsteht, ein Wendepunkt im Schaffen des Autors, so Bender, den Carrère als Wechsel von religiöser Faszination zu soziologisch-anthropologischem Interesse angesichts des Falls des Hochstaplers und Mehrfachmörders Jean-Claude Romand vollzieht. Die Neuausgabe in der deutschen Fassung von Claudia Hamm findet Bender wertvoll schon wegen des enthaltenen Gesprächs zwischen Autor und Übersetzerin. Carreres Skrupel bei der Interaktion mit dem Mörder findet Bender faszinierend, seine ruhige Sprache passt für ihn zum blassen Alltag des Täters.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.11.2018

Der Rezensent Jürgen Ritte schaudert, wenn er an die wahre Geschichte des Hochstaplers Jean-Claude Romand denkt, die der französische Schriftsteller Emmanuel Carrère in seinem Buch "Der Widersacher" festgehalten hat: Romand gab vor, Arzt und Experte der Weltgesundheitsorganisation zu sein. Als seine Lügen aufflogen, tötete er aus Angst vor der Schande seine gesamte Familie und scheiterte an einem Selbstmordversuch, lesen wir. Ritte hält es für bemerkenswert, wie viel Recherche Carrère für das Buch betrieben hat: Zahllose Gespräche mit dem gefangenen Romand, Anwesenheit bei Gerichtsterminen und sämtliche Gerichtsakten zu seinem Fall habe er darin verarbeitet, so der Rezensent. Das Resultat ist ein, wie Ritte findet, minutiöses Protokoll unglaublich erscheinender Fakten, das sich weder zu sehr in den Mörder einfühlt noch zu weit von ihm weg bleibt, lobt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.10.2018

Hanna Engelmeier lernt in Emmanuel Carreres erstmals 2000 publiziertem, jetzt von Claudia Hamm "elegant" neu übersetztem Roman mit Jean-Claude Romand einen etwas anderen Hochstapler kennen als Felix Krull. Diesen hier gibt es wirklich, und er hat seine ganze Familie ermordet, um seine Lebenslüge aufrechtzuerhalten. Dass der Autor seine Figur kennt und dessen Gerichtsprozess verfolgt hat, macht die Sache für Engelmeier pikant. Dem Autor geht es um die Grenzen der Wirklichkeitsbeschreibung, erklärt Engelmeier, um Ästhetisierung, Wahrheit und Plausibilität. Dass der Autor seinen Text nicht als Krimi, sondern als Charakterstudie Romands und des Erzählers anlegt, um zu fragen, wieso der eine kriminell, der andere Autor wird, findet Engelmeier reizvoll.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.10.2018

Der Widersacher ist ein früher Roman Emmanuel Carrères, mit dem er das Genre des Tatsachenromans in Frankreich begründete, erzählt Rezensentin Sophie Jung. Carrère erzählt hier die - wahre - Geschichte des Hochstaplers und Mörders Jean-Claude Romand, erfahren wir. Romand hatte seiner Familie über 18 Jahre vorgespielt, er sei ein international renommierter Medizinforscher an der WHO in Genf , dabei hatte er nicht mal die Prüfung im zweiten Studienjahr bestanden. Als die Sache aufzufliegen drohte, tötete er seine Frau, die Kinder und seine Eltern, erzählt Jung. Carrère nähert sich dem Mann, so die Rezensentin indem er sich an alle möglichen unwirtlichen Orte begibt, an denen Romand seine Zeit vertrödelte, während die Familie ihn auf Reisen glaubte. Inwiefern ein Parkplatz dem Autor hilft, sich in einen Mörder zu versetzten, versteht vielleicht nicht jeder.  Für die Rezensentin ist dies jedoch ein Buch über Schwächen und Lügen, die jeder kennt.