Colm Toibin

Brooklyn

Roman
Cover: Brooklyn
Carl Hanser Verlag, München 2010
ISBN 9783446235663
Gebunden, 302 Seiten, 21,90 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini. Die junge Irin Eilis Lacey wandert um 1950 nach Amerika aus, um in Brooklyn eine neue Arbeit zu finden. Doch sie passt sich nur langsam an das neue Leben an, schließt nicht leicht Freundschaft. Ganz allmählich gewinnt sie Selbstvertrauen und merkt, dass sie zu einer selbständigen, erwachsenen Person geworden ist. Das macht ihr die Entscheidung zwischen Irland und Amerika, zwischen dem einen und dem anderen Mann, nicht leichter.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 30.12.2010

Vieles kommt Rezensentin Verena Auffermann an Colm Toibins neuem Roman bekannt vor: die fast mathematische Beschreibung der Milieus und Atmosphären, der Verzicht auf jede Psychologie, die dominante Mutterfigur als Katalysationspunkt von "Abhängigkeit, Furcht und Liebe". Dennoch scheint sie den Roman sehr gern gelesen zu haben, der von der irischen Auswanderin Eilis erzählt, die in den 50er Jahren in Amerika nicht die Geschichte einer Selbstverwirklichung erlebt, sondern sich, unempfänglich für Kategorien wie Freiheit, Schönheit oder Romantik, von einer Abhängigkeit in die nächste begibt. Dem "voregoistischen Zeitalter" sieht Auffermann mit diesem Roman ein Denkmal gesetzt, eines, das ganz ohne Moral und Rührseligkeit auskomme.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.10.2010

Lothar Müller würdigt zunächst ausführlich den 1955 geborenen Iren Colm Toibin als Henry James-Kenner und einen der "bedeutendsten europäischen" Erzähler seines Alters, bevor er sich dem Roman zuwendet, den Müller als Antwort auf Henry James deutet: Dieser nämlich habe die aus Brooklyn nach Manhattan strömenden Immigranten als Bedrohung seines "altbürgerlichen" New York wahrgenommen. Folgerichtig heißt die Heldin in Toibins Roman Ellis, eine irische Auswanderin in den fünfziger Jahren, die bald wieder in die Heimat zurückkehrt und somit auch eine amerikanische Auswanderin wird: "Auswanderer werden Doppelgänger", konstatiert Müller, der die Idee auf James zurückführt. Diese "innere Verdopplung" versteht es Toibin im Laufe des Romans geschickt und plausibel durch eine an Jane Austen geschulte Gefühls- und Gesellschaftsanalyse aufzulösen. Der Rezensent ist sich sicher, dass dieser raffinierte und subtile Roman vor seinen Lesern Bestand haben wird.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.10.2010

Colm Toibins Geschichte der jungen Eilis, die aus dem Irland der Nachkriegszeit nach Amerika auswandert, hat Friedhelm Rathjen in seiner Zwangsläufigkeit und wenig überraschenden Entwicklung ziemlich angeödet, wie es scheint. Etwas mehr Leidenschaft und Unmittelbarkeit hätte er sich in diesem Buch, das aus der Perspektive der Auswanderin, wenn auch in der dritten Person, geschildert wird und in dem viel aus Briefen zusammengefasst wird, doch gewünscht. Wenn dann nach zwei Dritteln etwas mehr Dynamik in den Roman kommt - Eilis wird bei einem Aufenthalt in der Heimat von Gefühlen überwältigt - atmet der Rezensent kurz auf, sieht das Tempo aber doch wieder allzu schnell gedämpft. Die vielen Geschichten und Geschichtchen, die Toibin in die Handlung einflicht, scheinen Rathjen dann auch nur wie der (vergebliche) Versuch, diesem ziemlich "uninspirierenden" und zudem mit "unerträglich" vielen "Floskeln und Plattitüden" versetzten Roman erzählerische Üppigkeit zu verleihen, der dem Rezensenten aber dennoch furchtbar karg erscheinen will.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.10.2010

Ach, Rezensentin Verena Lueken ist begeistert! Eine so einfache Geschichte derart bescheiden zu erzählen und uns dabei doch sämtliche Gefühlslagen der Hauptfigur, einer irischen Emigrantin in Brooklyn, New York, in der Fremde, zu vermitteln, das nennt sie große Kunst. Traurigkeit und Zärtlichkeit verbindet sie mit dem Buch und Seele, was mit ihr geschieht, wenn jemand Erfahrungen mit dem Fremdsein macht. Das Erstaunliche dabei ist für Lueken die pathoslose und präzise Sprache Colm Toibins, sein Mittel, den inneren Bewegungen der Figuren zu folgen, uns in ihre Vorstellungswelt einzulassen. Wahrheit erwächst der Rezensentin im Nachvollzug dieser Bewegung, lesend, staunend.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 10.09.2010

Wie ein Blick zurück in eine nicht allzu ferne Zeit erscheint Sylvia Staude dieser sechste Roman von Colm Toibin, der immerhin in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts angesiedelt ist. Obgleich das Buch so ganz ohne stilistische Extravaganzen und exzentrisches Personal daherkommt, hat die Geschichte über irische Auswanderer in den USA die Rezensentin in seinen Bann gezogen. Laut Staude liegt das gerade an der Zurückhaltung des Autors, Sprache, Handlung und Figuren gegenüber, eine höfliche Dezenz und Fähigkeit zur psychologischen Feinzeichnung, die Staude selten begegnet ist und die ihr eine überraschende Fülle an Wahrhaftigkeit beschert. So entsteht für Staude insbesondere das Psychogramm einer jungen Irin zwischen Tradition und Emanzipation.