Christoph Rass

Menschenmaterial

Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939-1945. Diss.
Cover: Menschenmaterial
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2003
ISBN 9783506744869
Gebunden, 300 Seiten, 39,90 EUR

Klappentext

Im Mittelpunkt dieses Buches stehen die Soldaten der 253. rheinisch-westfälischen Infanteriedivision, die, Ende 1939 aufgestellt, von 1941 bis 1945 ununterbrochen im Krieg gegen die Sowjetunion eingesetzt war. Doch ist dies keine "gewöhnliche" Divisionsgeschichte, wie man sie zu Dutzenden kennt. Es ist vielmehr ein Versuch, die sozialen Strukturen, die Führungs-, Sozialisations- und Handlungsmuster und die Bedingungen von Leben, Töten und Sterben im Alltag einer typischen Infanteriedivision der Ostfront zu analysieren. In bisher unerreichter Quellendichte vermittelt die Pionierstudie neue, repräsentative Erkenntnisse über die Motivation und das Verhalten deutscher Soldaten während des Krieges, über ihre Einbindung in die Kriegsmaschinerie und über die Spannungen zwischen dem institutionellen Zwang des Militärapparates und der individuellen Verantwortung des Soldaten.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.10.2003

Die "überzeugende und vielfach ertragreiche Sozialgeschichte einer durchschnittlichen Wehrmachtsdivision" hat Christoph Rass mit dem Buch "Menschenmaterial" in den Augen des Rezensenten Benjamin Ziemann vorgelegt. Dabei betrete der Autor methodisches Neuland, erklärt Ziemann: Detailliert untersuche er den sozialen Mikrokosmos einer einzelnen Division, nämlich der 253. Infanteriedivision, die im Juni 1941 mit dem Überfall auf die Sowjetunion durch Litauen und Lettland bis zur Wolga vorstieß, ab Ende 1943 jedoch in permanente Rückzugskämpfe verwickelt war. Im März 1944 beteiligte sie sich in der Gegend von Osaritschi an der Deportation von 40.000 Zivilisten, von denen mindestens 9.000 getötet wurden. Rass analysiert dabei zunächst die - weitestgehend homogene - Sozialstruktur der Division, die Herrschaftspraxis der Militärjustiz sowie die gewalttätige Kriegsführung der Division. Selten, lobt Ziemann, sei die "Dynamik des Vernichtungskrieges" gegen die Sowjetunion "in solcher Dichte und Genauigkeit" dargestellt worden. Allerdings erkennt Ziemann auch die Grenzen dieser quantifizierenden Methode, denn ab einem gewissen Punkt helfe die Statistik nicht weiter, dann müsse "die Frage nach dem Sinn des Gewalthandelns" gestellt werden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.08.2003

Wie war der Krieg? Auf "höchst ungewöhnliche" Weise beantwortet Christoph Rass diese Frage nach Ansicht von Rezensent Christian Hartmann. Mittels Tausender von Personal-, Kranken- und Gerichtsakten rekonstruiere er die Geschichte einer durchschnittlichen Formation der Wehrmacht, der 253. Infanteriedivision. Dabei gewinnt die auf den ersten Blick "amorphe Gruppe" zum Erstaunen des Rezensenten "erstmals an Profil": Leben und Sterben der Soldaten in einer typischen Division der deutschen Wehrmacht ließen sich nun sehr genau verfolgen. Hartmann wertet das als "Grundlagenforschung im besten Sinne". Diese adäquat einzuordnen, fällt dem Autor nach Einschätzung Hartmann allerdings schwer. So kritisiert er, dass Rass den Krieg weitgehend ausspare und die Geschichte dieser Division auf ihre Kriegsverbrechen reduziere. "Ein wirklich vollständiges Bild", schreibt Hartmann, "würde aber erst der Kontext der militärischen Ereignisse bieten - und auch die Bestimmungen des damals herrschenden Kriegsrechts".
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.06.2003

Johannes Klotz sieht zumindest für die253. Infanteriedivision die Frage nach der Mittäterschaft von Wehrmachtsoldaten an Mord und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg mit dieser Studie beantwortet. Habe das Münchner Institut für Zeitgeschichte auch die Aussagen der ersten Wehrmachtsausstellung, die die Soldaten als Täter brandmarkte, "relativieren" müssen, so zeige der Autor in seiner Dissertation sehr deutlich, dass nicht nur militärische Zwänge, sondern auch Orden, Geld und Belobigungen die Wehrmachtsoldaten aktiv am "Vernichtungskrieg" mitarbeiten ließen. Damit, so der Rezensent überzeugt, ist diese viel diskutierte Frage zumindest für die 253. Infanteriedivision zweifelsfrei "beantwortet".
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