Christian Kracht

1979

Roman
Cover: 1979
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2001
ISBN 9783462030242
Gebunden, 183 Seiten, 17,84 EUR

Klappentext

Sechs Jahre nach "Faserland" der zweite Roman des Autors.Teheran 1979: Die Stadt liegt in einem schwer durchschaubaren Taumel, es ist der Vorabend der islamischen Revolution - des Aufstandes der Anhänger Ajatollah Khomeinis gegen den Schah und sein westliches Regime. Der Erzähler, ein junger deutscher Innenarchitekt, und sein hoch gebildeter, zynischer, gesundheitlich zerstörter Freund Christopher reisen zu der Musik von Devo und Blondie durch den Iran bis nach Teheran. Panzer stehen an den Straßenkreuzungen, doch die beiden Protagonisten unterhalten sich lieber über Herrensandalen und Bezüge von Sofakissen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.10.2001

Eieiei. Da "blitzt" hier und da schon mal das literarische Talent des Autors auf. Aber was Wolfgang Lange sonst so über das Buch zu sagen hat, dürfte den Absatz nicht eben fördern. Nicht Fisch nicht Fleisch, scheint er zu denken. Nicht Pop jedenfalls. Weil zwar durchaus "populär geschrieben" und entsprechend "leicht zu vergessen, "ein Massenprodukt" eben, "jung und cool." Doch so richtig Glamour, meint Lange, hat es irgendwie nicht. Da sich der Autor aber auch für die Historie und für das Politische nur "bedingt interessiert" und stattdessen gut snobistisch und Berluti-beschuht in Hesses Fußstapfen zur Morgenlandfahrt antritt, schlägt der Rezensent vor, das Ganze "eine hyperrealistische Fabel" zu nennen. Eine freilich, der es, wie wir hören, an den sprachlichen Mitteln ebenso wie an Witz, Ironie und an der Moral gebricht. Dass der Rezensent dann auch noch einen Etikettenschwindel aufdeckt (von wegen Roman), ist das Sahnehäubchen auf diesem Verriss.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.10.2001

Drückt er sich oder will er dem Autor nur nicht auf den Leim gehen? Gustav Seibt verweigert sich in seiner Kritik jeglicher moralischen Bewertung dieser Geschichte über einen Designer "von geringer Bildung", der - angeekelt von der eigenen Dekadenz - seine innere Freiheit erst als vollkommen Unterworfener in der Hölle eines chinesischen Arbeitslager findet. Der Rezensent nimmt die Geschichte vielmehr als Experiment über eine ästhetische Haltung: Mit dem Verzicht auf Individualität siegt in "1979" (dem Jahr, in dem der Schah gestürzt wurde) der "Einzelne mit seinem Schönheitssinn" über jene das Vulgäre verkörpernden Individuen, die 1968 und 1989 ihrerseits die Autoritäten besiegt hatten. Seibt widmet sich - so dem Autor folgend - in seiner Besprechung vor allem der ästhetischen Umsetzung des Ganzen. Kracht beginne seine Schilderungen der Partys in Teheran mit "orientalisierendem Tuntenbarock", spätere Schilderungen hätten gar einen "Stich ins Alberne". Immerhin: "in seinen besten Momenten" erzeuge Kracht die "spannungsvolle Kälte" der Nahost-Thriller Eric Amblers. Nach diesem Tiefschlag hätte Seibt eigentlich nicht mehr erwähnen müssen, dass er das Buch nicht ganz ernst nimmt. Noch vernichtender fällt seine Kritik an der Ausstattung des Bandes aus. Die "schöne kleine Bodoni" ist nur im Offset gedruckt und der Band nicht fadengeheftet: "Das erscheint unbegreiflich".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 10.10.2001

Ganz so dumm ist dieser Typ also doch nicht, hört man Elke Buhr zwischen den Zeilen sagen. Schon Krachts Debütroman "Faserland" galt als der beste unter den Werken der jungen deutschen Pop-Literaten, die von Talkshow zu Talkshow zogen und die "Unterwerfung aller Lebensfragen unter das Primat des Stils" proklamierten, so Buhr. Darum geht es ansatzweise auch in Krachts neuem Roman, der im besagten Jahr 1979 im revolutionären Teheran spielt, das in seltsamem Kontrast zu den zwei westlich dekadenten Dandys steht, die es dorthin verschlägt. Krachts einst Unsicherheit verratende Sprache sei der Klarheit und Präzision gewichen, lobt die Rezensentin. Der Protagonist agiere wie ein "offenes Fass", das alles aufsaugt, protokolliert, aber nicht rebelliert, auch nicht, als er nach einem heilsuchenden Trip durch Tibet vom chinesischen Militär aufgegriffen und in ein Arbeitslager gesteckt wird. Was dort vom Dandy übrig bleibt, so Buhr, ist nicht etwa sein Zynismus, seine Verachtung, seine Intelligenz, sondern bloß Blasiertheit und Indifferenz: "zwischen Dummheit und Zen".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.10.2001

Popliteratur ist es nicht, was diese drei Autoren aus der Popliteratenszene diesmal produziert haben, behauptet Gerrit Bartels. Allerhöchstens auf der Oberfläche findet der Rezensent noch einige Spuren davon.
1) Rebecca Casati: "Hey hey hey"
Am schwächsten findet Bartels das Buch von Rebecca Casati. Zwar erkennt er den Bogen, den sie im Roman zu spannen versucht, als Abhandlung über Bindungsunfähigkeit und Orientierungslosigkeit. Doch was dabei herausgekommt, ist nach Bartels Ansicht nicht mehr "als Junk-Food für Allegra- Leser und Men's Health - Leserinnen".
2) Christian Kracht: "1979"
Über echte Verzweiflung schreibt laut Bartels dagegen Christian Kracht, der "die Geschichte des Verschwindens konsequent fortgeschrieben" habe. Vom Teheran kurz vor der islamischen Revolution in ein chinesisches Arbeitslager verschlägt es den Protagonisten, und das liest sich für den Rezensenten "wie ein ganz subtiler Splatterroman, wie die totale Schwindsucht".
3) Joachim Bessing: "Wir-Maschine"
Auch in Joachim Bessings "Wir Maschine" scheint der Pop keinen Ausweg mehr zu finden: Am Ende liegt Hamburg nach einem Terroranschlag in Trümmern. Eine deutsche, schwerere Variante von Frederic Beigbeders "39,90" ist das Buch nach Bartels Ansicht, und er findet, dass es Bessing bisweilen ganz gut gelingt "die leeren Werberseelchen darzustellen". Stilistisch liege Bessing zwar gelegentlich daneben, aber das sieht Bartels dem Autor angesichts der vielen Action in dem Buch nach - die gefällt ihm nämlich richtig gut. "Da dräut und schwurbelt es, da fällt man in Zeit- und Bedeutungslöcher", und es gibt eine Menge "Surreal-Psychedelisches" zu erleben.