Boris Roman Gibhardt

Vorgriffe auf das schöne Leben

Weimarer Klassik und Pariser Mode um 1800
Cover: Vorgriffe auf das schöne Leben
Wallstein Verlag, Göttingen 2019
ISBN 9783835333925
Gebunden, 583 Seiten, 49,00 EUR

Klappentext

Mit 28 Abbildungen. Das Pariser Leben - Mode, Konsum, Kunst & Geselligkeit - diente den Klassikern in Weimar als steter Gegenpol des eigenen Tuns - und doch bezog ihr Schaffen aus dem vermeintlich Anderen eine bislang ungeahnte Inspiration.Goethe war nie in Paris. Die Kultur der im späten 18. Jahrhundert tonangebenden französischen Metropole scheint am klassischen Weimar insgesamt vorbeigegangen zu sein: Die Klassiker, so schien es bislang, bezogen ihre literarische Inspiration und künstlerische Bildung in erster Linie aus dem "antiken" Süden, etwa Rom. Mit dieser Vorstellung aber, so zeigt Boris Roman Gibhardt, ist das Bild der Weimarer Klassik unvollständig. Vielmehr wurde im beginnenden urbanen Zeitalter das Pariser Leben nirgendwo so akribisch als ästhetisches Phänomen studiert wie im klassischen Weimar; fast leidenschaftlich stilisierte man sich als Gegenpol zur Großstadt. Doch dass eine kategorische Abwehr der Pariser Populärkultur - Mode, Konsum, Kunst fürs Publikum - nicht die Antwort auf die längst greifbaren epochalen Veränderungen der Kultur sein konnte, stand auch und gerade Goethe schon früh deutlich vor Augen. Boris Roman Gibhardt zeichnet nicht nur das deutsche Paris-Bild um 1800 am Weimarer Beispiel nach, sondern er deckt auch auf, dass der abwehrende wie faszinierte Einblick in das Dazwischen von Kunst und Konsum die geheime Triebfeder war, mit deren Wirkung sich vom "Werther"-Roman bis zu "Faust II" Goethes Begriff des Schönen in seiner bis heute gültigen Gestalt erst entfalten konnte.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.02.2020

Eine "groß angelegte Studie" nennt Rezensent Thomas Steinfeld dieses Buch und versucht gleich zu beweisen, dass es mehr ist als der Titel verspricht. Beeindruckt vollzieht er die Argumentation des Autors nach, dass schon das Goethesche Selbstverständnis in Sachen Weimar den "Gegenpol" hergegeben hat zu den moderneren Zeitströmungen. Verortete sich nämlich das goethische Theater und seine Klassik in Rom, so wurde gleichzeitig zunehmend Paris zur Weltstadt, und dies nicht nur der Kleidung wegen, sondern auch literarisch. In Sachen "Selbstfiktionalisierung" durch den Roman öffnete sich nämlich das Feld der unbegrenzten Wünsche á la der dazumal neu gegründeten Zeitschrift "Journal des Luxus und der Moden." Allerdings hatte auch Goethe schon, so zeichnet Steinfeld nach, ein Stück Mode geprägt, nämlich durch die berühmte Bekleidung des "Werther" (gelbe Lederhose, blauer Frack). Insofern leistet der Autor viel mehr, lobt Thomas Steinfeld, als nur die alte Gegenüberstellung durch zu deklinieren, die hier das verstaubte Weimar sieht und dort den frischen Wind der Romantik spürt samt einem nach Frankreich hin geweiteten Blickfeld und seine literarischen wie textilen Stoffe. Denn am Endpunkt des goethischen Schaffens liegt für den beeindruckten Kritiker dank dieses Buches schon die Gegenfigur zum gewissermaßen modischen Werther vor: im kapitalismuskritischen Faust, in dem Goethe Wert, Ware und Kredit als neue Weltbeweger ausmachte, so Steinfeld.
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