Antje Ravik Strubel

Sturz der Tage in die Nacht

Roman
Cover: Sturz der Tage in die Nacht
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011
ISBN 9783100751362
Gebunden, 442 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

Eine Vogelschutzinsel in der Ostsee. Dort begegnet der junge Erik der älteren, verschlossenen Forscherin Inez und nähert sich ihr mit zärtlicher Unbeschwertheit. Mit ihm ist Rainer Feldberg auf die Insel gekommen, eine undurchsichtige Figur, der die beiden beobachtet, befragt, aushorcht. Es stellt sich heraus, dass Inez und er sich von früher kennen. Welches Spiel wird hier gespielt? Aus den Andeutungen Feldbergs, dem Wenigen, das Inez erzählt, und aus Aufzeichnungen, die Erik findet, setzt sich nach und nach eine unglaubliche Geschichte zusammen: Die Biografie eines ostdeutschen Jungen, die als Stasi-Legende und Polit-Story erfunden wird. Seine Geschichte.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.10.2011

Wohlwollend, aber letztlich nicht überzeugt zeigt sich Rezensentin Nina Apin von Antje Ravic Strubels Roman "Sturz der Tage in die Nacht". Anfangs folgt sie der Geschichte um eine Vogelforscherin, die auf einer schwedischen Ostseeinsel ihre DDR-Vergangenheit in Form eines 16-jährigen Jungen und eines Stasi-Psychopathen einholt, noch gern. Doch stört sie zunehmend das Konstruierte und das Raunende der Geschichte. Und auch wenn in der Mitte des Buchs das Geheimnis um die Vogelforscherin enthüllt scheint, bleibt für sie vieles im Dunkeln, wird nicht zu Ende geführt, so dass sie zunehmend das Interesse verliert. Allerdings hat sie das Buch dann doch zu Ende gelesen, vor allem wegen Strubels "wunderbarer Beschreibung der Ostseelandschaft".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.10.2011

"Dieser Roman will Kino", schreibt Rezensentin Sibylle Birrer, und zwar "großes Kopfkino mit Spannung, Dramatik, Leidenschaft". Gleichzeitig aber haben wir es mit einer Geschichte antiken Formats zu tun, so Birrer, denn das ungleiche Liebespaar im Zentrum des Romans besteht aus Mutter und Sohn. Gerahmt und erhellt werde diese ödipale Lovestory von zwei Randfiguren, darunter der Vater des Jungen, der politische Ambitionen hege und seinen verlorenen Sohn hierfür zu instrumentalisieren trachte. Aber eben diese Rahmung, die mit Rückblenden, Metaerzählung und Perspektivwechseln operiere, ist der Rezensentin eindeutig zu konstruiert geraten. Das "Gerüst" verstellt der Rezensentin sozusagen den Blick auf die Geschichte, wie sie mitteilt, wobei unter Strubels Bemühen um kompositorische Raffinesse nicht nur der Erzählfluss leide, sondern auch die Charakterzeichnung und -entwicklung. Sehr bedauerlich findet dies die Kritikerin, zumal sie um das bisher unter Beweis gestellte Talent der Autorin weiß.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.10.2011

Ina Hartwig hält Antje Ravic Strubel für eine der derzeit klügsten und versiertesten Autorinnen, was Menschenkenntnis und erzählerisches Können betrifft, dürfte ihr so schnell keiner das Wasser reichen, meint die Rezensentin. Viel von Strubel Geschick hat sie auch in diesem Roman entdeckt, der von einer Frau erzählt, die als junges Mädchen in der DDR ihren Sohn zur Adoption freigegeben hat und sich nun 25 Jahre später in den erwachsenen Sohn verliebt. Spannend findet findet Hartwig, wie Strubel hier die Liebe einer Frau auslotet, die immer durch politische Manipulationen verletzt wurde. Die Passagen, die im Stasi-Milieu spielen, findet sie dabei auch glänzend recherchiert. Dass der Roman letztlich zu viel riskiert und damit letztlich auch nicht ganz gelingt, sieht die Rezensentin in der Natur der Sache: Bisher ist noch keinem Autor eine Inzestgeschichte wirklich gelungen. Weder Musil noch Mann.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.09.2011

Nicht wirklich gelungen scheint Wiebke Porombka der neue Roman von Antje Ravic Strubel, was sie ausdrücklich bedauert, denn sie schätzt sie die Autorin sehr. Zudem erzählt das Werk als literarische DDR-Aufarbeitung und Variation des Ödipus-Mythos von einem Thema, das sie eigentlich sehr interessiert hätte: dem Scheitern von Mutterschaft und Beziehungen in der DDR. Doch die Geschichte um den jungen Erik, der sich auf einer Ostseeinsel in eine Vogelforscherin verliebt, die sich als seine Mutter herausstellt, kann sie nicht überzeugen. Zu unglaubwürdig scheint ihr vieles in dem Buch und zu dick aufgetragen, zu gewollt, zu artistisch und zu kolportagenhaft zugleich. Das macht die Lektüre für sie anstrengend. Penetrant findet sie etwa die Vorausdeutungen und Zeichen, die dem Ganzen den "dräuenden Unterton einer antiken Tragödie" verleihen, der zudem etwas "Schulmeisterliches" an sich hat. Ein Roman, der sich an der Darstellung politischer und menschlicher Abgründe der DDR versucht und scheitert. Zum Bedauern der Rezensentin.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.09.2011

Ganz schön gefordert von der abenteuerlichen Plotkonstruktion, dem raunenden Erzählton und der schieren Menge an ausgelegten Fährten beißt sich Helmut Böttiger unverzagt durch den Roman von Antje Ravic Strubel. Das Händchen der Autorin für atmosphärische Dichte und Details der zwischenmenschlichen Annäherung halten ihn allerdings bei Laune. Und wenn zwischen allen möglichen Genreanklängen vom Hollywoodfilm bis zum Schauerroman dem Rezensenten Momente einer DDR-Lebenswelt oder auch intime Gefühlswelten plötzlich konkret vor Augen stehen, kann Böttiger nur staunen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 13.08.2011

Von der Unmöglichkeit, die eigene Lebensgeschichte verlässlich zu erzählen, handelt für Christoph Schröder der neue Roman "Sturz der Tage in die Nacht" von Antje Ravic Strubel. Die "mosaikartige, aufgebrochene Struktur des Textes" entspricht, wie Schröder anmerkt, diesem literarischen Grundthema Strubels. Doch stellt ihn das Ergebnis nicht recht zufrieden. Die beiden Forscher Erik und Inez kommen sich auf einer kleinen Insel vor Gotland näher, und je mehr sie voneinander erzählen, desto größer werden die Widersprüche in ihrer Vergangenheit. Plötzlich stellt sich heraus, dass die sechzehn Jahre ältere Inez Eriks leibliche Mutter ist. Damit wird auch die Rolle von Feldberg - einem Ex-Stasi-Funktionär - klar, der zusammen mit Erik auf die Insel gekommen ist. Er spioniert für Inez' Mann - Eriks Vater. Dieser Plot scheint Christoph Schröder ein wenig arg konstruiert. Für ihn zerfällt das Buch in zwei Teile: eine gelungen erzählte Liebesgeschichte vor dem Hintergrund  klischeehafter DDR-Biografie-Fassaden.