Anita Kugler

Scherwitz

Der jüdische SS-Offizier
Cover: Scherwitz
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2004
ISBN 9783462033144
Gebunden, 758 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Jude? SS-Untersturmführer? KZ-Kommandant? Mörder? Oder Judenretter und Justizopfer? Wer war Eleke Scherwitz? "Am 26. April 1948 wird Dr. Eleke Scherwitz, Regionalleiter für die Betreuung der Opfer des Nationalsozialismus in Oberschwaben, als mutmaßlicher Kriegsverbrecher verhaftet." Mit diesem Satz beginnt Anita Kugler ihre Biografie über einen Mann, dessen Name und Herkunft unklar sind, der Kindersoldat bei einem Freikorps in Litauen war und sich später zu einer der seltsamsten Figuren in der Geschichte der SS entwickelte.
In Riga leitete er das KZ-Außenlager "Lenta", in dem Luxusgüter für SS-Offiziere hergestellt wurden. Die bei ihm beschäftigten jüdischen Handwerker nannten ihn "Chaze", Kamerad, Beschützer, Lebensretter. Es war ein Konzentrationslager, in dem es alles gab, außer der Freiheit. Gleich nach dem Krieg behauptete Scherwitz, in Wahrheit Jude zu sein, und jeder wollte ihm glauben. Unter amerikanischer Besatzung begann er eine antifaschistische Karriere, bis ihn seine Vergangenheit einholte. Ihm wurde vorgeworfen, im Herbst 1944 drei jüdische Häftlinge auf der Flucht erschossen zu haben. Nach drei Prozessen ohne Beweise verurteilte ihn das Schwurgericht München 1950 wegen Totschlags zu sechs Jahren Gefängnis. Seine jüdische Herkunft wurde ihm strafverschärfend angekreidet, die "Tötung eigener Rassegenossen" galt deutschen Richtern als eine "besonders verwerfliche" Tat. Heute fordern ehemalige Häftlinge der "Lenta" seine Rehabilitierung, auch solche, die ihn damals belastet haben.
Anita Kugler hat jahrelang in in- und ausländischen Archiven Scherwitz' Spuren verfolgt und mit Zeitzeugen gesprochen. Das Schicksal des "jüdischen SS-Offiziers" ist einmalig, weil sich in seinem Leben die Katastrophen und Absurditäten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdichten. Nichts ist so, wie es scheint.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.01.2005

Ludger Heid stellt die Geschichte des jüdischen SS-Offiziers Elke Scherwitz als "bizzarste" und einmalige Lebensgeschichte im Nationalsozialismus vor. Er betont, dass die Autorin Anita Kugler, "die bei ihren Recherchen auf einen Wust von Widersprüchen stieß und alles tat, um das Schicksal ihres Protagonisten aufzuhellen", zwar nicht alle Fragen zu der undurchsichtigen Vita Schwerwitz' aufklären, aber zumindest einige strittige Punkte klarstellen konnte. Scherwitz wurde nämlich nach dem Krieg als Kriegsverbrecher wegen Totschlags zu 6 Jahren Haft verurteilt, informiert der Rezensent. Kugler könne belegen, dass dieses Urteil falsch war: "Der Mann hat zahlreiche Juden vor dem sicheren Tod bewahrt und die ihm unterstellten Morde nicht begangen", referiert der Rezensent. Interessant sei das Schicksal Scherwitz' aus "ermittlungstechnischer, rechtshistorischer und zeitgeschichtlicher" Sicht, denn die deutsche Justiz habe den Fall Scherwitz exemplarisch als Naziverbrechen eines Juden verurteilt und damit versucht, die "Kollektivschuldthese zu kontern", so Heid, der über die "aberwitzige Logik des Urteils" nur den Kopf schütteln kann.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.01.2005

Wer war dieser Mann, der sich mal Eleke Scherwitz nannte, mal Fritz Scherwitz, mal Elias Sirewitz? Seine Herkunft ist ebenso unerklärlich wie sein Lebensweg, der ihn, so viel lässt sich nachzeichnen, von Ostpreußen über ein Freikorps in die SS führte, als deren Mitglied er später das Rigaer KZ-Außenlager Lenta leitete, referiert der Rezensent Hans-Jürgen Döscher. Nach Ende des Krieges behauptete Scherwitz, Jude zu sein und die Uniform nur angezogen zu haben, um sich und anderen helfen zu können. Häftlinge der Lenta legten widersprüchliche Zeugnisse über ihn ab. Die einen bezeichneten ihn als ihren Beschützer, die anderen als korrupten Mörder. Die Historikerin Anita Kugler ist den Spuren dieses Mannes gefolgt und auch am Ende ihres Buches, für das sie Archive in der halben Welt durchforstet hat und unzählige Zeugen befragt, kann sie Herkunft und Motive ihres "Helden" nicht nachweisen, was ihr der Rezensent zum Vorwurf macht: "ihr Buch vermittelt nur wenig gesichertes Wissen" über Schwerwitz. Auch stört er sich an dem "fragwürdigen Titel", denn erstens sei Scherwitz' jüdische Herkunft zweifelhaft und zweitens habe es in der SS keine "Offiziere" gegeben, sondern nur "Führer".
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.01.2005

 Des Lobes voll ist die Historikerin Susanne Heim über dieses nach umfangreichen Recherchen entstandene Buch der Ex-taz-Redakteurin Anita Kugler. Die Autorin zeichnet darin das von vielen Rätseln, ja einem "Gestrüpp aus Gerüchten, Lügen, Anschuldigungen, Hochstapelei oder Teilwahrheiten" umwitterte Leben des Fritz (oder Eleke ?) Scherwitz nach, der als Leiter eines KZ-Außenlagers in Riga vielen Juden das Leben retten konnte. Ob er selbst Jude war - wie er nach dem Krieg behauptete -, muss ungeklärt bleiben. Fest steht, dass ihm im zunehmend konservativen Nachkriegsdeutschland keine Gerechtigkeit widerfahren ist. Die Chuzpe, mit der er sich zu Unrecht als Verfolgter ausgab, wurde ihm zum Verhängnis, zur von ihm angestrebten Rehabilitation ist es nie gekommen. Anita Kugler, die auf 650 Seiten dieses Leben aufrollt, verstehe es nicht nur, lobt Heim, die Geschichte des Fritz Scherwitz "spannend wie einen Krimi" zu erzählen, sondern auch noch den Ansprüchen der Historikerzunft gerecht zu werden.