A. L. Kennedy

Paradies

Roman
Cover: Paradies
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2005
ISBN 9783803131966
Gebunden, 368 Seiten, 22,50 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Das Paradies ist Hannah Luckraft nicht fremd: Einen Hauch davon spürt sie auf der Haut ihres Liebhabers und in jedem Drink, den sie zu sich nimmt...

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.11.2005

Bei Büchern über Säufer gibt es eine Parallele zwischen Gegenstand und Autor, stellt die Rezensentin Nora Sdun fest: Sie teilen den großen Beschaffungseifer, der im einen Fall dem Alkohol, im anderen der Sprache gelte. So wird Alkoholismus zur "Metapher fürs Schreiben". Bei der viel gefeierten Autorin A.L. Kennedy ist er freilich entschieden sehr viel mehr als das, nämlich mit großer Radikalität geschilderte Realität. Ihr Heldin, die 36-jährige Schottin Hannah Luckraft, ist eine Frau, die trinkt wie ein Mann - "Whisky, nicht Likör" - und einen Mann liebt, der gleichfalls trinkt. Das klingt nach gleichen Interessen, bringt jedoch auch Probleme mit sich: "Immer ist einer nicht richtig betrunken." Sdun ist voller Respekt für Kennedy, die in "pfeilschneller Sprache" der naturgemäß verschwommenen Perspektive ihrer Heldin von Anfang bis Ende treu bleibt. Wie sie aus Wahrnehmungsfetzen einen "heilen Roman" konstruiert, das nötigt der Rezensentin großen Respekt ab, hindert sie aber nicht daran, es auch "unglaublich anstrengend" zu finden. Ihr Resümee fällt daher in Sachen Qualität zwar eindeutig positiv aus, nur Lektüre-Genuss verspricht das nicht: "Der Text ist extrem, und er ist klug und deprimierend."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.10.2005

Dieser Roman über eine Trinkerin lässt Stephan Maus geradezu berauscht zurück. Die schottische Autorin A. L. Kennedy beschreibt die Welt der Hannah Luckraft, die "einfach so" zur Alkoholikerin geworden ist, und sie greift dabei "zum Glück" nicht auf billige Psychologie zurück, freut sich der Rezensent. Er ist absolut überwältigt von Kennedys Fähigkeit, die Rauschzustände und die "zirkulären Strukturen" von Hannahs Sucht zu schildern, und findet es "erstaunlich", wie konsequent die Autorin die Perspektive der Hauptfigur, die sich von "Orientierungslosigkeit" bis zu poetischen Höhenflügen erstreckt, zu halten imstande ist. Die "wahre Kunst" entdeckt der begeisterte Rezensent deshalb auch gerade in den Schilderungen der Trunkenheitszustände, in denen die Autorin Hannah überzeugend als "Meisterin des Alkohol- und Sprachrausches" darstellt. Kennedy lässt dazu ihre Heldin sich selbst mit der "vollendeten Kunst der Distanzierung" betrachten und macht damit ihr Elend "noch ergreifender", so Maus beeindruckt. All dies schildere die schottische Autorin in "erstaunlich klassischem Stil", der in seinen "lyrischen" Metaphern von geradezu "klassischer Schönheit" ist, betont der Rezensent, der, wie er schwärmt", noch nie ein "betäubtes Gehirn in solch vollendeter Logik" dargelegt bekommen hat.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.09.2005

Burkhard Müller ist in einem Maße beeindruckt von A. L. Kennedys neuem Roman, dass seine Rezension allen Einwänden zum Trotz unmittelbar zur Lektüreempfehlung wird. Dabei weiß Müller genau darum, dass "von allen Lastern das ödeste der Alkoholismus" ist. Die Art jedoch, wie Kennedy dieses ödeste aller Laster beschreibt, raubte dem Rezensenten sichtlich den Atem. Es ist die Konsequenz und Entschlossenheit der Autorin und ihrer Protagonistin, Hannah, sich aus dem Alltagsgrau ins titelgebende Trinker-"Paradies" zurückzuziehen, die ihm Respekt abnötigt. Dabei ist der Verlauf der Geschichte vorhersehbar, der Stoff konventionell: Hannah wird trinken, gemeinsam mit ihrem Zech- und Bettgenossen, dem Zahnarzt Robert, bis es vorbei ist. Für ihre Therapeuten, die sie auf den Pfad bürgerlicher Nüchternheit zurückführen wollen, hat sie nur Verachtung übrig. Sie will lieber auf ihre rauschhafte Art zugrunde gehen, als auf die gewohnte, langweilige Art weitermachen. Es ist diese Vorhersehbarkeit des Plots, die den Verlag, so der Rezensent, davon abhält, in seinem Klappentext auf das eigentliche Thema, Alkoholismus, zu sprechen zu kommen. Statt dessen wird von einer "Reise an die Grenzlinien des Ich" orakelt. Eine Schamhaftigkeit, die, diesen Eindruck vermittelt Müllers Rezension mit Nachdruck, so begreiflich wie unangebracht ist.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.09.2005

Während sich A. L. Kennedys Bücher normalerweise nicht wirklich nacherzählen lassen, kann man ihrem jüngsten Roman "Paradies" mit einer Inhaltsangabe keinen Schaden zufügen, weil die Handlung äußerst beschränkt ist, meint Friedhelm Rathjen. Es geht um die Trinkerin Hannah Luckraft, die zwischen Delirium und Nüchternheit, zwischen Vollrausch und Entziehungskur hin und her pendelt, immer auf der Suche nach dem "idealen Grad der Trunkenheit", fasst der Rezensent zusammen. Als die "größte Qualität" dieses Romans empfindet es Rathjen, dass die "Unvorhersehbarkeit", die Hannahs Trinkerleben bestimmt, auch im Text ihren Ausdruck findet und sich bei der Lektüre ein "Gewirr aus Unmöglichem und Möglichkeiten" auftun, was allerdings manchmal auch ganz schön quälend sein kann, wie der Rezensent einräumt. Der Roman belässt vieles im Rätselhaften und löst viele Fragen in der Geschichte nicht auf, stattdessen verschwimmen Realität und Wahn immer mehr, konstatiert Rathjen, der von der "brachialen Ironie" der Ich-Erzählerin sehr eingenommen ist, auch wenn er findet, dass der Text dort, wo Kennedy satirisch wird, "spürbar abflacht". Allerdings attestiert er der schottischen Autorin, dass sie eine "Meisterschaft" im Formulieren "unauffälligerer Sätze" erlangt hat, die "unauffällig nachwirken".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.09.2005

Als "Bildnis einer Trinkerin" liest Rezensentin Angela Schader diesen Roman der schottischen Autorin A. L. Kennedy. Dementsprechend warnt sie davor, den Titel für den Inhalt zu nehmen. Paradiesisch nämlich geht es nach Ansicht Schaders hier keineswegs zu. Schließlich erzähle Kennedy eine "durch Exzess und Streit profanierte Liebesgeschichte" zwischen zwei vom Alkohol gezeichneten und beschädigten Figuren. Eine "beträchtliche Innenspannung" sieht Schader dabei zwischen den motivischen Sumpf - verdorbene Abende, fehlgeschlagene Kuren, Krankheiten, rätselhaftere Filmrisse -, in den sie ihre Protagonistin und Ich-Erzählerin Hannah Luckraft schickt, und Hannahs Intellekt, die davon reflektierend erzählt. Besonders gelungen erscheint Schader, wie Kennedy in Hannahs fragilen familiären Ensemble einen möglichen Hintergrund für ihre Sucht andeutet, ohne dabei in "hausbackene psychologische Herleitungen" abzugleiten. Beeindruckt zeigt sich die Rezensentin auch von den sprachlichen Fertigkeiten der Autorin. Auf sprachlicher Ebene biete sie eine "Fülle durchtriebener Freuden", denen Ingo Herzke, durch Übertragung früherer Romane und Erzählungen an Kennedys "lakonischer Diktion" geübt, mit "sichtbarem Gusto" nachspüre.
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