Essay

Fast wie bei Amazon - Rechteeinkauf bei der FAZ

Von Thierry Chervel
28.09.2007.
Die FAZ darf selbstverständlich Rechte an ihren Artikeln elektronisch weitervertreiben. Das tut sie auf ihrer Website faz-archiv.de. Der Perlentaucher (mehr zum Prozess der FAZ und SZ gegen den Perlentaucher, in dem es auch um Urheberrechte geht, hier, mehr zur Auseinandersetzung zwischen FAZ und Perlentaucher hier) hat's ausprobiert. Unsere Wahl fiel auf Günter Grass' Nobelpreisrede, die in der FAZ vom 9. Dezember 1999 veröffentlicht war.

Diesen Artikel im FAZ-Archiv zu erwerben, ist wirklich kinderleicht - fast wie bei Amazon! Zunächst einmal muss man bei der FAZ das Recht erwerben, Grass' Nobelpreisrede überhaupt lesen zu dürfen. Hierfür verlangt diese Zeitung 2 Euro, die man per Kreditkarte entrichten kann.

Als nächstes gibt man an, für seine Internetadresse die Nutzungsrechte zur Wiederveröffentlichung erwerben zu wollen, trägt seine Internetadresse ein und macht wahrheitsgemäße Angaben über die Nutzerzahlen seiner Adresse. Dann hilft ein Blick auf die Preistabelle der FAZ: Der Perlentaucher hat 1,5 Millionen Seitenaufrufe im Monat. Die Wiederveröffentlichung der Grass-Rede mit Erlaubnis der FAZ kostet den Perlentaucher 265 Euro für einen Monat.

Man erklärt sein Einverständnis mit den allgemeinen Geschäftsbedingungen, klickt auf den abschließenden Kaufbutton, und die FAZ gratuliert: "Vielen Dank, Sie haben erfolgreich Nutzungsrechte erworben." Das Geld ist überwiesen. Die FAZ bestätigt die Kreditkartenbuchung per E-Mail.

Die FAZ genehmigt dem Perlentaucher damit, Grass' Nobelpreisrede zu veröffentlichen. Voraussetzung ist selbstverständlich eine korrekte Copyright-Angabe: "Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main."

Der Perlentaucher hat sich gegenüber der FAZ auch verpflichtet, Grass' Nobelpreisrede nach Ablauf der Monatsfrist von seiner Internetadresse herunterzunehmen. Hinzu kommt folgende Geschäftsbedingung: "In jedem Fall hat der Kunde unmittelbar nach Erlöschen des Nutzungsrechts sämtliche etwa bei ihm noch gespeicherten Informationen zu vernichten bzw. von den entsprechenden Datenträgern zu löschen. Sollten der F.A.Z. begründete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kunde der vorstehenden Verpflichtung nicht nachgekommen ist, steht der F.A.Z. das Recht zu, in den Geschäftsräumen des Kunden durch einen zur Berufsverschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen überprüfen zu lassen, ob der Kunde seiner Verpflichtung nachgekommen ist."

Ist das so zu verstehen, dass der Perlentaucher mit dem Besuch eines Sachverständigen zu rechnen hätte, der überprüfen würde, ob irgendwo in den Perlentaucher-Computern noch Grass' Nobelpreisrede gespeichert ist?

Bevor der Perlentaucher Grass' Nobelpreisrede nun veröffentlicht, fragen wir lieber noch mal in Grass' Sekretariat nach. Das Erstaunen ist groß. Dort versichert man, dass Grass der FAZ für Texte, die er in dieser Zeitung veröffentlicht hat, niemals Nutzungsrechte zur Wiederveröffentlichung in Drittmedien eingeräumt hat. Im Fall der Nobelpreisrede liegen diese Rechte ohnehin exklusiv bei der Nobel-Stiftung, sagt man uns.

Das wird in Stockholm bestätigt. Der Nobelpreis ist eine Würdigung durch die Schwedische Akademie der Wissenschaften. Die lässt sich grundsätzlich von den Preisträgern das Recht einräumen, über die bei der Preisverleihung gehaltenen Reden nach eigenem Gutdünken zu verfügen. Das ist außergewöhnlich, aber dafür ist der Nobelpreis auch ganz gut dotiert. Auf diese Weise sichert die Stiftung sich die Möglichkeit, die Nobelpreisreden umfänglich zu verbreiten und sie jedermann kostenfrei zugänglich zu machen - tatsächlich sind sie auch auf der Homepage der Nobelstiftung jederzeit nachzulesen.

Die Justiziarin der Stiftung, Erika Lanner, schreibt uns in einer Mail: "Das Verfahren, das Sie erwähnen, in dem eine Zeitung die Veröffentlichung einer copyright-geschützten Nobelpreisrede bei dritten Parteien in Rechnung stellt, ist vom Copyright-Inhaber, der Nobel-Stiftung, nicht genehmigt."

Auch andere in der FAZ abgedruckte Texte von Günter Grass lassen sich im FAZ-Archiv "kaufen". Etwa die Rede mit dem passenden Titel "Wir Urheber" von 2005, deren Veröffentlichungsrecht für einen Monat die FAZ dem Perlentaucher ebenfalls für 265 Euro einräumte. "Wir Urheber kommen in der Öffentlichkeit nur mit Hilfe einer chronisch schmalbrüstigen Lobby zu Wort", sagt Grass da über dem Copyrightvermerk der FAZ.

Kann das rechtens sein? Dürfen Zeitungen Artikel ihrer Autoren an andere Medien weiterverkaufen, ohne sie zu informieren, sie zu beteiligen, und das sogar, wenn keine entsprechende Vereinbaung vorliegt? "Wir geben grundsätzlich keine Genehmigung dafür, dass Zeitungen Veröffentlichungsrechte an Texten von Günter Grass weitervertreiben", sagt Grass' persönliche Assistentin Hilke Ohsoling. "Diese Praxis entspricht nicht dem, was wir für richtig halten. Herr Grass und sein Verlag Steidl in Göttingen haben die Prüfung dieser Frage einem Anwalt übergeben."

Wir verzichten auf eine Veröffentlichung der Grass-Reden.

Thierry Chervel
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