Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Januar 2024

Person, die nur rückwärtsgeht

31.01.2024. Boykottaufrufe allerorten: Zeit Online ärgert sich darüber, dass reihenweise Musiker auf die antisemitischen Narrative von "Strike Germany" hereinfallen. Auch die Forderung, Israel vom Eurovision Song Contest auszuschließen, sorgt für Ärger. Wer auf der Suche nach einem Schutzengel ist, sollte das neue Album von Tractus hören, so die Welt. Die FR blickt begeistert auf Maria Lassnigs rabiat verbeulte Figuren. Im Wiener Theater am Werk werden Ionescos "Stühle" mit Witz und Grazie zu Rollstühlen umfunktioniert, freut sich der Standard.

Zwiespältige Apparate der Erkenntnis

30.01.2024. FAZ und VAN begeistern sich für Nikolai Rimski-Korsakows bitterböse Russland-Oper "Der goldene Hahn" in Berlin, die auch heute noch das Zeug hat, die Eliten zu erzürnen. Der deutschsprachige Filmnachwuchs zeigt wieder mehr Lust am Experiment, nimmt die taz als Erkenntnis vom Filmfestival Max Ophüls Preis mit. In der Musik von Myra Melford beobachtet sie das Licht beim Singen. In den Romanen von Sayaka Murata entdeckt sich Japans junge Generation als stille Nonkonformisten wieder, notiert die NZZ.

Hintergrund wird Vordergrund

29.01.2024. Die taz fiebert mit Katie Mitchells Inszenierung "Written on Skin" bei einer Liebesgeschichte mit furchtbarem Ausgang mit. Gianluca Valleros Kreuzberger Indiekomödie "The Woddafucka Thing" hat, was üppig mit Fördermitteln ausgestattete Filme oft missen lassen, jubelt sie außerdem: spontanen Witz und eine angenehme Lust am Verpeilten. Die FAZ bewundert in neuen Aufnahmen Bruckners existenzielle Zerrissenheit und Gesamt-Architektonik. Jungle World und Tagesspiegel lustwandeln mit dem Dokumentarfilm "Die Ausstattung der Welt" durch den Fundus der Filmrequisiten, die hier die eigentlichen Stars sind.

Regie über Himmel und Horizont

27.01.2024. Die FAZ durchstreift mit Alexander Sokurows Animationsfilm "Märchen" ein geisterhaftes Schattenreich, in dem Hitler, Stalin und Mussolini auf ihre Erlösung durch Christus warten. Die NZZ beklagt Annie Ernauxs Neigung, jeden offenen Briefen zu unterschreiben, der bei Drei nicht auf den Bäumen ist. Die Welt sieht auf Jeff Walls Fotos in der Fondation Beyerler Unsichtbares sichtbar werden. Die taz ist beeindruckt von der "trotzigen Gefasstheit" der Kunstszene Taiwans. Und die FAS erfährt bei Kim Armstrongs lebendig-farbigem Klavierspiel was menschliches Musizieren ausmacht.

Diskursiv inhalierter Ernst

26.01.2024. Die FAZ braucht gute Ohren und starke Nerven in Claudia Bossards Münchner Adaption von Thomas Manns "Zauberberg". Außerdem bewundert sie die neuen Synagogen in Dessau und Potsdam. SZ und Nachtkritik lassen sich von Stefan Kaegi daran erinnern, Taiwan nicht zu vergessen. Artechock schöpft beim Filmfestival Max Ophüls dank Bastian Gascho wieder Hoffnung für den deutschen Film. taz und Tagesspiegel fürchten mit dem Ende von pitchfork um die Zukunft des Musikjournalismus. Die Zeitungen trauern um den Künstler Carl Andre.

Nur bedingt kultiviert

25.01.2024. Uneins sind sich die Kritiker über Kilian Riedhofs filmisches Porträt der jüdischen Kollaborateurin Stella Goldschlag: Zu kitschig, winkt die FAZ ab, der Tagesspiegel sieht sich hingegen mit der Frage konfrontiert: Was hättest du getan? Auch Milo Raus Genfer Inszenierung "Justice" über ein Tanker-Unglück im Kongo teilt die Kritik in zwei Lager: Eine "visuelle Pornographie der Grässlichkeit", sieht die FAZ, die "Gelüste verwöhnter Kulinariker" werden vollauf befriedigt, meint der Standard. Der Guardian gruselt sich in London derweil vor Hauskatzen, die Teepartys feiern. Und die SZ denkt über die Zukunft von Beton nach.

Ich habe den Verhältnissen gekündigt

24.01.2024. Die Oscarnominierungen sind raus - nominiert sind neben Barbenheimer unter anderem Sandra Hüller sowie Filme von İlker Çatak und Wim Wenders. Die FR kann sich gut vorstellen, dass Hüller am Ende gewinnt. Die NZZ amüsiert sich in Basel mit Ariane Kochs "Kranken Hunden". Die FAZ begutachtet wulstige Stirnpartien französischer Politiker in der Daumier-Ausstellung im Frankfurter Städel. Uwe Eric Laufenburg verlässt das Staatstheater Wiesbaden, meldet die FR. Außerdem trauern die Feuilletons um die Lyrikerin Elke Erb, den Filmregisseur Norman Jewison und den Popproduzenten Frank Farian.

Modegötter und eine leibhaftige Königin

23.01.2024. Die Doppelspitze der Berlinale hat ihren letzten Festivaljahrgang vorgestellt - und der kann sich sehen lassen, findet der Filmdienst. Der Tagesspiegel schaut zurück auf die "glücklose Amtszeit" der Berlinale-Leitung. Die Welt feiert mit Herbert Fritschs Inszenierung von "Das Portal" in Stuttgart den gehobenen Trash. Schade, dass die Disneyserie über Modedesigner Cristóbal Balenciaga so erdenschwer geraten ist, findet der Tagesanzeiger: Seine Kleider schwebten doch!

Sofa-Savanne und Weg-Champagner

22.01.2024. Die Nachtkritik sieht bei Claudia Bauers Adaption von Luis Buñuels "Der Würgeengel" in Frankfurt die Moralfassade der Gesellschaft bröckeln. Die Jungle World ist begeistert, wie Wes Anderson mit seinen neuen Kurzfilmen den Erzähler Roald Dahl vor sich selbst rettet. Die FAZ berichtet von Marienikonen in russischen Schützengräben. Und die FAS stapft mit der Musik von Maximilian Hecker durch verschneite Großstadtnächte.

Intellektuelles Labyrinth der Hipness-Ebenen

20.01.2024. Die FAZ überlegt, ob ohne White Cube die Kunst wieder etwas rumpeliger, individueller würde. Die SZ durchleidet Luk Percevals Adaption von Hans Falladas Roman "Wolf unter Wölfen" am Hamburger Thalia-Theater, die nachtkritik erfreut sich dagegen an den weißen Billardkugeln von Bühnenbildnerin Annette Kurz. Die begeisterte taz entdeckt die 1966 bei einem Verkehrsunfall mit 23 Jahren gestorbene Autorin Diane Oliver. Zeit online trauert um das Musikmagazin Pitchfork, die SZ um Frank Z, den Sänger der Punkband "Abwärts".

Kirchentag auf Rum-Cola

19.01.2024. Die Inszenierung der Correctiv-Recherche am Berliner Ensemble beherrscht die Feuilletons: taz und Tagesspiegel halten die Fahne des politischen Theaters hoch, die Welt befürchtet, dass die AfD von diesem "Akt des Kulturkampfs" profitiert, die SZ entdeckt die Komik der rechten Runde. Das neue Green Day-Album spaltet: Die Zeit schwelgt im High-School-Lebensgefühl, für den Standard ist die Band zu Normies geworden. Der Tagesspiegel erforscht die Geschichte des Stilllebens in der Dresdner Gemäldegalerie. Die FAZ lauscht dem Dialog der Eremiten Michail Pletnjow und Martha Argerich.

Das könnte empören

18.01.2024. "Strike Germany" unterstützen, aber ihre Romane dürfen gern weiter von deutschen Bühnen adaptiert werden - was ist bloß in Annie Ernaux gefahren, fragen sich die Feuilletons: Hat sie überhaupt begriffen, was sie da unterschrieben hat, möchte die Zeit wissen. Die Welt fragt sich derweil, ob die Sensation und die moralische Empörung, die die Correctiv-Recherche auf der Bühne des Berliner Ensembles auslöst, der Sache wirklich dienlich ist. In Paris erlebt sie noch einmal, wie Mike Kelley den amerikanischen Katholizismus aufmischte. Jenseits von Venedig macht Roman Polanskis "The Palace" richtig Spaß, versichert die SZ.

Mit Licht geworfen

17.01.2024. Die Schriftstellerin Lana Bastašić hat den S. Fischer Verlag wegen dessen Israelsolidarität verlassen: Die Feuilletons beklagen den einseitigen Gesprächsabbruch. Die Welt fragt sich, ob Yael Bartana und Ersan Mondtag mit ihren kommenden Biennale-Beiträgen die deutsche Staatsräson verteidigen werden. Elfriede Jelinek sehnt sich in ihrer Huldigung Einar Schleefs nach einer Sprache zum Anfassen. Einer FAZ-Kritikerin wird auf einem Inklusions-Theaterfestival an den Münchner Kammerspielen der Notizblock entrissen. In Yorgos Lanthimos' neuem Film "Poor Things" wird eine Steampunk-Welt in Grund und Boden gevögelt, freut sich die FAZ.

Ein unglaublicher Sturschädel

16.01.2024. Nur zu gerne gruseln sich die Filmkritiker mit der vierten Staffel von "True Detective" an der Seite von Jodie Foster in der dunklen Polarnacht Alaskas. Die FAZ erfährt in Weimar, dass Goethes Wohnhaus gar nicht so authentisch ist, wie den Besuchern bisher weisgemacht wurde. Die Feuilletons trauern um die Schauspielerin Elisabeth Trissenaar.

Echo sagt: Peace!

15.01.2024. Die Kritiker verfallen in Dortmund der starken femme fatale in Augusta Holmès lang vergessener Oper "La montagne noire". Filme wie "Saltburn" oder "Triangle of Sadness" leisten in ihrer moralischen Empörung allenfalls verkürzte Kapitalismuskritik, kritisiert Zeit Online. Das Wohnen der Zukunft wird weich und gepolstert, glaubt die SZ. Und die Feuilletons trauern um den russischen Dichter und Putingegner Lew Rubinstein, der den Folgen eines Verkehrsunfalls erlegen ist.

Selbst diese Müdigkeit hat was Heroisches

13.01.2024. Die FAZ erkennt in Rom im Werk von Max Peiffer Watenphul den William Turner des Bauhaus. Die taz lässt sich von Maren Wurster erklären, wie man über die eigene Familie schreibt, ohne sie bloßzustellen. Die SZ blickt am Staatstheater in Wiesbaden in ein "tiefes schwarzes Jammertal". Zum deutschen Liedermacher der Stunde kürt sie Tristan Brusch, den sie irgendwo zwischen Kunstliedkünstler und Pophansel verortet. Und der Tagesspiegel fragt sich mit Thomas Cailleys Fantasyfilm "Animalia", wie Zusammenleben nach dem Rücktritt des Menschen funktioniert.

Mit dem Ethos eines Schwerarbeiters

12.01.2024. Die Welt fragt, warum die Homosexualität von Künstlern so oft verschwiegen wird. Die Zerrissenheit der Mütter zeigt sich der Berliner Zeitung eindrucksvoll im Haus am Lützowplatz. Artechock kritisiert den "Brandbrief" zur Filmförderung an Claudia Roth und fragt sich, ob eine hohe Gewinnmarge wirklich der geeignete Maßstab ist, um die Qualität eines Filmes zu beurteilen. Mehr junge Dirigentinnen wünscht sich die SZ: Dass in Bayreuth erstmals mehr Frauen als Männer dirigieren, sei ein guter Start. Die FAZ kritisiert die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, die kein Geld mehr für die Internationalen Messiaen-Tage in Görlitz bereitstellt..

Blasphemisch und schamgrenzenbefreit

11.01.2024. Die Filmkritiker lassen sich von Catherine Breillats jungem Faun in ein Reich des Begehrens führen. Ist Elsa von Freytag-Loringhoven, die mit Vogelkäfig auf dem Kopf und Warnleuchten auf der Hüfte die Bourgeoisie veralberte, die eigentliche Urheberin von Duchamps Fountain, fragt die Zeit. Die taz erinnert sich mit Theu Boermans an die ermordeten jüdischen KünstlerInnen der Wiener Volksoper. Die NZZ versteht dank Juli Zeh und Michel Houellebecq die Proteste der Bauern besser. Außerdem testet sie in Peter Haimerls Waben das Wohnen der Zukunft.

Das Wunder von Bamako

10.01.2024. Die taz feiert C. J. Obasis nigerianischen schwarz-weiß-Thriller "Mami Wata" und hört sich begeistert durch die zehn Alben von John Zorns "Masada". Die Welt besucht ein Theaterfestival in Mali, wo Staatsstreiche zu 50 Franc verhökert werden. Die griechischen Götter sind schön, aber sind sie auch tugendhaft? Das fragt man sich in Indien, lernt die FAZ in einer Ausstellung in Mumbai. Die SZ blättert durch neue Kinderbücher, die ihr zeigen, wie man gegen den Klimawandel protestiert.

Alternative zum Duckmäusertum

09.01.2024. Zeit Online reitet durch die Frühgeschichte der Micky Maus und findet eine Kultur der Aneignung. Die FAZ tanzt mit den Figuren aus Simon Stephens neuem Stück am Kammertheater Stuttgart über die Dunkelheit hinweg. Die NZZ geht im Petit Palais in Paris auf einen Streifzug durch die Avantgarde. Der Schriftsteller Reinhard Kaiser-Mühlecker versteht in der SZ die Verzweiflung der Landwirte - weil er selbst einer ist.

Ein großes Stück aus der Welt beißen

08.01.2024. Die taz beobachtet begeistert, wie Nikolaus Habjan und Neville Tranter ihre Puppen am Deutschen Theater Berlin zum Leben erwecken. Einen Golden Globe hat Sandra Hüller zwar doch nicht gewonnen, aber umso inbrünstiger geht die Zeit vor der Schauspielerin auf die Knie: In ihrem Spiel zeigt sich die Verzweiflung dieser Tage. Die FAZ ist gespannt, ob die "Film Philharmonie" nach einem großen Deal mit den Morricone-Erben auch die avantgardistischen Arbeiten des Komponisten würdigen wird. Die NZZ bewundert in einer Retrospektive in Zürich, wie Margrit Linck die Keramik neu erfand. Und Errol Morris plaudert mit der Zeit über John le Carré, über den er einen Dokumentarfilm gedreht hat.

Dabei sind wir so süß

06.01.2024. Die FAS lernt im Moma, wie man als Architekt auch mit der zerstörten Umwelt umgehen kann: Indem man sich einen Stadtteil mit eingebauter heiler Natur errichtet. Die nachtkritik begutachtet den Trend zur Umschreibung klassischer Stücke an deutschen Bühnen. Die FAZ berichtet über den Erfolg der russischen Serie "Slowo Pazana" in Osteuropa: Es geht um Jugendbanden in der Sowjetunion Ende der Achtziger. Der NZZ graut es vor der neuen Lust am Grau.

Nicht jammern, Clubs gründen

05.01.2024. Schöne Bilderrücken können auch entzücken, lernt die FAZ im Madrider Prado unter anderem beim Blick auf das entblößte Hinterteil einer Nonne. Gottfried Helnwein hingegen kann die NZZ in der Albertina nicht mehr so schockieren wie früher. Katharina Mückstein prangert in der taz Ausschlussprozesse im Kulturbetrieb an: Wer kein "wohlhabender Hetero-Mann" ist, hat wenig Chancen. Die SZ glaubt nicht an die Kassandrarufe, die das große Clubsterben prophezeihen. Und sie erfreut sich an dem neusten It-Boy.

Grandios kolorierte Sittiche

04.01.2024. Die Filmkritiker verlieren sich in der symbolistischen Wunderwelt von Hayao Miyazakis Anime "Der Junge und der Reiher". Mit Sofia Coppolas "Priscilla" warten sie im goldenen Käfig darauf, dass der Funke überspringt. Die taz berichtet, wie die Rechercheagentur Forensic Architecture mit Falschmeldungen Stimmung gegen Israel macht. Aufatmen kann derweil die polnische Kunstwelt, freuen sich SZ und Monopol: Mit dem Regierungswechsel wurde auch der rechte Künstler Ignacy Czwartos von der Biennale in Venedig abgezogen. Schön, dass Claudia Roth das Publikum in Bayreuth jünger und diverser machen möchte, nur von welchem Geld, fragt die SZ.

Heiliger lieber Vater, der Duce ist gut

03.01.2024. Die Welt möchte keine Documenta, zu der man nur mit zionistischem Leumundszeugnis und unter Absingen postkolonialer Reverenzformeln Zutritt erhält. Die FAZ präsentiert einen verblüffenden Archivfund, einen Brief Else Lasker-Schülers an Papst Pius zur Rettung Mussolinis. Der Rias-Kammerchor hat Händels "Israel in Ägypten" abgesetzt und setzt bei seinem Neujahrskonzert dennoch auf dröhnendes Erz und lärmende Pauke, moniert ebenfalls die FAZ. Lawrence Lessig feiert die urheberrechtsbefreite Micky Maus mit einem lustigen Remix.

Ein gewisser Way of Life

02.01.2024. Die FAZ begegnet in einer Ausstellung in Stuttgart typischen Vertretern der Weimarer Republik und fühlt die Zerrissenheit der modernen Frau. Außerdem blickt sie skeptisch auf die französischen Solidaritätsbekundungen für Gérard Depardieu. Andreas Spechtl will mit dem neuen Album seiner Band "Ja, Panik" die Klassenfrage zurück in den Pop tragen, erzählt er der FR. Und die Popkritiker trauern um Torsun Burkhardt, der mit seiner Band Egotronic der antideutschen Linken das Feiern beigebracht hat.