Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juli 2015

In Grauwerte übersetzt

31.07.2015. Der Independent ahnt, warum die Briten Ai Weiwei nur ein 20-Tage-Visum gewährt haben: Damit der Besuch des chinesischen  Präsidenten Xi Jinping im Oktober nicht von einem aufmuckenden Künstler gestört wird. Die NZZ denkt über die Realität der Bilder im Zeitalter von Photoshop nach. Artechock stellt Cem Kayas Dokumentarfilm "Remake, Remix, Rip-Off" über das klassische türkische Genrekino vor. 40 Jahre nachdem sie den Bolero tanzte, ist FAZ immer noch hin und weg von Maja Plissezkaja.

Küsst mich auf den Mund. Dann stirbt er

30.07.2015. Der Freitag staunt über die Selbstironie moderner Protestkunst in der Türkei. Völlig ironiefrei war dagegen die Begründung britischer Behörden, warum Ai Weiwei nur ein 20-Tage-Visum fürs Königreich bekommt. Ben Kingsley erklärt der Welt: Wir brauchen mehr Regisseurinnen. Die Filmkritiker feiern die Wiederauferstehung des Western in Form von John Macleans "Slow West". Die Musikkritiker verdammen die umwerfende Nettigkeit von Sven-Eric Bechtolfs Salzburger Inszenierung des "Figaro".

Gedichte verlassen die Lauerstellung und schlagen

29.07.2015. Böse durchgefallen: Stephan Kimmigs Salzburger Inszenierung des "Clavigo". Die NZZ stellt neue Lyrikbände vor. Der Tagesspiegel bewundert die Algorithmen in Viktoria Binschtoks Kunst. Der Freitag möchte festhalten: Freiwild sind keine Rechtsrockband. Aber eine rechte Rockband.

Ganz auf Konsens ausgerichtet

28.07.2015. Die Kritiker feiern die radikale Verheutigung von Wolfgang Rihms Azteken-Oper "Die Eroberung von Mexiko" durch Ingo Metzmacher und Peter Konwitschny in Salzburg. In Italien protestieren Arbeiter gegen die Ausbeutungsmethoden hochbudgetierter Kunstveranstalter, berichtet die taz. In der NZZ am Sonntag beklagt Literaturkritiker Volker Weidermann die fehlende Streitlust in deutschen Feuilletons.

Dieses schattenhafte Hin und Her!

27.07.2015. "Tristan und Isolde" ist das Thema Nr. 1. Katharina Wagners Inszenierung wird mit hochgezogenen Augenbrauen aufgenommen: Zu staatstragend, finden die einen. Die anderen sehen interessante Ideen, die ausbaufähig sind. Unumstrittener Held in Bayreuth ist aber Christian Thielemann, dessen herzklopfende Dynamik die FAZ in die Knie zwang. Außerdem: Die taz liest Modeblogs für Dicke.

Europa war ein Grammofon mit Trichter

25.07.2015. In der Welt erklärt der bulgarische Autor Georgi Gospodinov das Wunder der Literatur. Und Laurence Kardish, Kinokurator des Moma, erklärt, warum das Filmesammeln immer teurer wird. in Parlons Piano spricht der Sieger des Tschaikowsky-Wettbewerbs, Lucas Debargue, über seine klavierlosen Jahre. Die NZZ lernt in der Lausanner Ausstellung "reGeneration", was ein gutes Foto ausmacht. In Bregenz amüsieren sich die Kritiker bei einer maximal mitreißenden Inszenierung von "Hoffmanns Erzählungen".

Vom Ambra der Abenddämmerung

24.07.2015. In der Berliner Zeitung träumt Mircea Cartarescu von seiner Zukunftsstadt. Gleich drei Isolden verspricht in der Welt Heldentenor Stephen Gould morgen in Bayreuth. Die NZZ sucht politisches Theater in Südafrika und ein kennerhaft kuratiertes Plattenregal. Slate erinnert an den Tag vor 50 Jahren, als Bob Dylan elektrisch wurde.

Es muss ein Film gewesen sein

23.07.2015. Der Standard genießt schamlos die Tanznummern in Gregory Jacobs' Stripperfilm "Magic Mike XXL". Die NZZ reist in ihrem Zimmer. In der Zeit erklärt Gary Shteyngart, warum es höchste Zeit für ihn war, seine Memoiren zu schreiben. In der Schirn denkt die taz, vor den Videos von Doug Aitkens auf einer Strandmatte lagernd, über die Unwirtlichkeit unserer Städte nach. Im Van-Magazine erklärt Ingo Metzmacher, warum er Schönbergs "Die Jakobsleiter" aufführen will.

Digitale Grüße aus einer vergangenen Epoche

22.07.2015. Die Filmkritiker feiern Jafar Panahis Film "Taxi" als heiteren Akt zivilen Ungehorsams, der einen guten Einblick in das Leben des modernen Teherans gibt. In der Welt sieht ein faszinierter Airen Googles Algorithmen beim freien Assoziieren zu. Die SZ findet Doug Aitken seit 2000 stark gealtert. Deutsche Indie-Musiker sind fett und faul, beschwert sich Zeit online. Die NZZ stellt eine fantastische neue Webseite für zeitgenössische Musik vor: Explore the Score.

Wo es interessant wird

21.07.2015. Jaja, Abenteuer Internet, danke O2. Spät, aber doch noch: Für die Welt ist die Malerei der Jungen Wilden alles, aber keine Konzeptkunst. Im Standard erklärt der Comiczeichner Ben Katchor, warum er lieber kurze Geschichten zeichnet. Vergesst bei der Digitalisierung das Experimentelle nicht, ruft Kinemathek-Leiter Rainer Rother in der Berliner Zeitung. Die taz bleibt ungerührt von Abdullah Kenan Karacas "Romeo und Julia". Die NZZ geißelt den Krämergeist Bayreuths, der eine kritische Auseinandersetzung mit Richard Wagner verhindert.

Übersprung zur Praxis der Kritik

20.07.2015. Im Standard erklärt der Fotograf Joel Meyerowitz, warum immer bessere Bilder nicht das Ziel sind. Was soll noch kommen nach 13 Documentas, fragte sich ein Symposium in Kassel. Griechenland natürlich, antwortet laut Welt der neue Documenta-Leiter Adam Szymczyk. Die nachtkritik berichtet vom Theaterfestival in Avignon. In der Welt schildert Peter Wawerzinek ein Ereignis von Welt in Bad Doberan.

Augenöffner erster Klasse

18.07.2015. In Basel offenbart sich Marlene Dumas der FAZ als eine der bedeutendsten Künstlerinnen unserer Zeit. Der Regisseur Dietrich Brüggemann erklärt in der SZ, weshalb man dem NSU nicht mit konventionellem Drehbuchhandwerk begegnen kann. Mirna Funk erzählt in der Welt, wie sie den Gaza-Krieg unter dem israelischen Raketenabwehrschirm erlebte. Und der Tagesspiegel rät zur Opernreise nach Posen.

Umdeutung und Variation

17.07.2015. Die NZZ feiert Bob Dylan für seine Kunst der ständigen Erneuerung und den Architekten und radikalen Marxisten Hannes Meyer für seine vertikalen Brigaden. Die Autorin NoViolet Bulawayo erklärt in der Deutschen Welle, warum sie in Amerika verstummte. Die Nachtkritik fragt, warum alle über Rassismus auf deutschen Bühnen diskutieren, Sexismus aber immer durchgeht.

Depperl-Karussell

16.07.2015. Die Rezensenten grübeln, was Harper Lees lange verschollener Debütroman für ihren Zweitling, den Klassiker "Wer die Nachtigall stört" bedeutet. Der Freitag nimmt Le Corbusier gegen den Faschismusverdacht in Schutz. Dietrich Brüggemann beschert den Kritikern mit seiner Gesellschaftsgroteske "Heil" mehr Klamauk als Erkenntnis. Und die Zeit wird in Manchester Zeuge, wie Hélène Grimaud die Musik von allen albernen Konventionen befreit.

Zweite Liga des Kunstbetriebs

15.07.2015. In der NZZ bittet Christian Saehrendt die gestrengen Feuilleton-Gouvernanten von der SZ und FAZ zum Documenta-Tanz. Peter Urban-Halle stellt uns eine große Dichterin vor: die slowenische Lyrikerin Anja Golob. Die taz sieht Amys Absturz zu. Die FAZ bewundert den Bariton Lucile Richardots.

Alles war eine warme Decke

14.07.2015. Die Welt feiert Sion Sonos Hip-Hop-Filmmusical "Tokyo Tribe", auch auch wenn es diesmal keinen Tentakel-Sex gibt. In der Presse nimmt der Autor Aleksander Hemon die Selbstlügen der Amerikaner aufs Korn. Die taz amüsiert sich in Kopenhagen mit dem Noise des FE Denning Descension Orchestra. Die Berliner Zeitung wird vor den Bildern Dieter Kriegs blass über unseren Vergeudungswahn.

VOLLKOMMEN SINNLOS

13.07.2015. Antonio Fian entwirft im Standard eine Poetikvorlesung über Werner Kofler. Die SZ versinkt in einem kongolesischen Knall aus Farben, Kurven und Licht. Die Welt kommt auf den Hund. Die taz verlangt Neubauten-Sounds im ganzen Englischen Garten. Und Hermann Parzinger möchte keine Badehosen auf der Museumsinsel sehen.

Die Kisten leben

11.07.2015. Dichter in die Galerien, ruft Zeit online. Das Gedicht muss "sein Schweigen im Gelärm der Jetztzeit" behaupten, forderte dagegen laut NZZ der Dichter Henri Meschonnic. Viktor & Rolf hängen Haute Couture an die Wand. In Vice spielt Ai Weiwei mit seinen Überwachern. Die Welt verzweifelt an der Allzuständigkeit der allerneuesten Kunst. Die FR stellt die beste Fernsehserie vor, die niemand sieht. Die taz schildert die Lage von Musikern im Iran.

So schöne wie schreckliche Weltfülle

10.07.2015. Die NZZ schwingt die Hüften zu karibischen Beats im Highlife. Die SZ beschwört den wohltuenden Einfluss halluzinogener Drogen auf Hip Hop. Die taz stellt eine Pionierin der elektronischen Musik vor, Daphne Oram. Die Welt zerschießt genussvoll Werke von Jeff Koons. Die FAZ freut sich über ein Hörspiel aus dem Nachlass von W.G. Sebald.

Klärende Wortgewitter

09.07.2015. Alle lieben Rainald Goetz: Ein Klassiker wäre er sowieso geworden, aber mit Büchner-Preis "fühlt es sich richtiger an". Niemand liebt den Terminator: Dass einzig Arnie sympathisch ist, sieht Daniel Kehlmann in der Zeit als größten Verrat an der Grundidee des Films. Für die Münchner Opernspiele hat Andreas Dresen die "Arabella" von Strauss gründlich entstaubt, freut sich die Welt. Die SZ beklagt die neue Unübersichtlichkeit in der Kunst. Die taz meint: Es gibt die von Wolfram Schütte geforderte Literaturzeitung Fahrenheit 451 schon. Und sie heißt Perlentaucher

Unberechenbare Künstler

08.07.2015. Die Welt porträtiert Marianna Salzmann, Dramatikerin und Leiterin des "Studios Ya" am Maxim-Gorki-Theater. Die New York Times porträtiert den Fotografen und Filmemacher Robert Frank. Die Filmkritiker wenden sich mit Grausen vom fünften Terminator ab. Ausgenommen die FAZ. Die SZ würde gern im Kupfergraben baden.

Ursonaten gurgeln

07.07.2015. Die NZZ kommt auf Hochtouren vor den Zeichnungen von Silvia Bächli in Besancon. In der FR erkennt der russische Theatermacher Iwan Wyrypajew, dass nicht nur in Russland das Traditionelle bevorzugt wird. Die FAZ kann dem mit Blick auf das Publikum für Neue Musik nur beipflichten. Im Dradio Kultur denkt Thorsten Jantschek über den Bedeutungswandel der Literaturkritik nach. Im Independent ist Dustin Hoffman sehr unzufrieden mit dem Zustand des amerikanischen Films.

Bin ich Fiktion oder Fatalität?

06.07.2015. Guter Jahrgang in Klagenfurt! Und die Entscheidung für Nora Gomringer als diesjährige Bachmann-Preisträgerin wird ebenfalls gut aufgenommen. Die NZZ besucht die Volksbühne, wo man sich gegen Chris Dercon einigelt. Warum nur müssen ältere Literaturkritiker Romane schreiben, fragt im Standard der Germanist Klaus Zeyringer. Außerdem bewundert der Standard die schwebende Melancholie der Fotografien Mario Giacomellis.

Sagt jemand 'Coolness', sagt jemand 'Dekadenz'

04.07.2015. In Klagefurt traf Ronja von Rönne auf eine enttäuschte Jury, die sich nicht einmal richtig provoziert fühlte. Viel interessanter fand Zeit Online ohnehin die Lesung von Monique Schwitter. Die taz erkundet, wann die Kreativität ihre Unschuld verlor. Die Welt picknickt mit Oper in Glyndebourne. Außerdem fragt sie seufzend, warum nur in Amerika Frauen aussehen können wie intellektuelle Statements. Die SZ erlebt beim Filmfest München mit dem Schauermärchen "Nachtmahr" einen heftigen Filmrausch.

Polyfones Spiel der Stimmen

03.07.2015. Klagenfurt hat einen ersten Favoriten: Nora Gomringer, die Nora Bossong als Journalistin einen Selbstmord recherchieren lässt. Die FAZ hätte sich mehr Sinnlichkeit in der "Homosexulität_en"-Ausstellung gewünscht. Die Hochkultur zeigt gerade mehr soziales Engagement als Pop, stellt Kurator Christoph Gurk in der taz fest. Die Jungle World feiert das Noise-Album von Helm. Die NZZ bewundert Barbara Hannigans Dirigierkunst.

Machtergreifung der Kunst

02.07.2015. Mutter, bist das du? Die Filmkritiker kommen nachhaltig beunruhigt aus Veronika Franz' und Severin Fialas Horrorfilm "Ich seh, ich seh". In der Zeit erklärt sich Regisseur Dietrich Brüggemann kurzerhand zur Gesundheitspolizei Deutschlands. Im Freitag erklärt Jonathan Meese en detail, was dem Bayreuther Publikum entgeht ohne ihn. Die NZZ sieht Musik mit Klee und Kandinsky. Die Welt hüpft mit einem Eichhörnchen durch Mahlers Dritte.

Humor im Tanz

01.07.2015. Rigoletto als liebster Sparring-Partner Gildas, so kann sich Verdi sehen lassen, applaudiert die FR Jossi Wielers Stuttgarter Inszenierung des "Rigoletto". Im Perlentaucher antworten Nikola Richter, Jörg Sundermeier und Tilman Winterling auf Wolfram Schüttes Vorschlag zur Gründung eines Online-Literaturmagazins. Die taz fragt sich anlässlich einer Berliner Tagung, warum man die architektonische Moderne der 60er Jahre aufwerten soll.