Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

September 2016

Nicht schön genug für Hollywood

30.09.2016. Ausgerechnet analoge Wärme findet die taz auf dem Berliner Maschinenmusik-Festival "Wir sind die Roboter". Der Tagesspiegel lässt sich dagegen vom liebeskranken Roboter Bon Iver zu Tränen rühren. Alles in allem ziemlich retro finden die Kritiker Katie Mitchells Inszenierung von Elfriede Jelineks Stück "Schatten (Eurydike sagt)" an der Berliner Schaubühne. Norman Manea schildert in der Presse seine Exilerfahrung. Und die FR lernt auf der neuen Städel-Website den kunstpädagogischen Mehrwert effizient genutzter Museumswände schätzen.

Jene edle Fäulnis

29.09.2016. In der nachtkritik ruft Guillaume Paoli zur Gründung einer "wahren Volksbühne" auf. Die Ware Volksbühne will er Chris Dercon überlassen. SZ und NZZ denken über Wohnraum nach - in der Banlieue und in der Innenstadt. Ian McEwan und Julian Barnes langweilen sich mit kontinentaleuropäischer Literatur. Die NZZ besucht Steuerparadiese in Winterthur. In der FAZ plädiert die libanesische Band Mashrou' Leila für eine Diskussion über die toxische Maskulinität in Beirut. Viel Lob für Francois Ozons neuen Film "Frantz".

Aus dem Biedermeier hinausschießen

28.09.2016. Joël Pommerats "Ça ira (1). Fin de Louis" ist in Frankreich das Stück der Saison, weiß der Tagesspiegel und stürzt sich freudig in den Debattenlärm von 1789. Die Presse applaudiert dem neuen Wiener Alban Berg Ensemble, das Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen wiederbeleben will. Im Standard erklärt die Katalanin Alia Luque, warum sie so gern Grillparzer spielt. Die dunklen Nächte in der Malerei sind den Nordeuropäern zu verdanken, lernt der Guardian in Eastbourne.

Falsch feuernde Synapsen

27.09.2016. Schön verstörend findet der Guardian die Schau der Turner-Prize-Finalisten in der Tate Britain. Die FAZ bangt um das Filmerbe. Der Standard muss ohnmächtig zusehen, wie in Marlene Streeruwitz' neuem Roman "Yseut" männlicher Machtausübung der Sprachprozess gemacht wird. Im Tagesspiegel findet auch Thomas Ostermeier: Man kann nicht immer subtil sein, man muss auch mal provozieren.

Alles verharrt in Auflösung

26.09.2016. Am Wiener Burgtheater hat Martin Laberenz Goethes "Torquato Tasso" inszeniert: So viel Entschlossenheit zur Deklamationskunst hat der Standard schon lange nicht erlebt. Die Presse versank geradezu in Verlassenheit. Die SZ bwundert in der Wiener Albertina den stickenden Anarchismus der Pointillisten. Auf Critic.de fragt Dominik Graf, wozu Filmhochschule Heere von unfreien Regisseuren ausbilden .In der FAZ verabschiedet Jochen Vogt den Detektiv als letzten Individualisten der Literatur.

Die mörderischen Engel, die Nachtfalter, die Orchideen

24.09.2016. Die NZZ bewundert die prächtigen Frisuren auf den Frauenbildern Itô Shinsuis. Die Welt irrt durch eine jede Erklärung verweigernde Kai-Althoff-Ausstellung im Moma. Die FAZ feiert die Schauspielerin Ariane Labed als neue Charlotte Rampling. Feudalismus im Theater? In der SZ weist der Münchner Intendant Sebastian Huber alle Vorwürfe zurück und empfiehlt den Ensemble-Schauspielern: Seid froh, dass ihr nicht als Freie arbeiten müsst. Die NZZ rollt für ihren Architekturschwerpunkt ins neue Glass Art Museum in Toyama.

Choreografie des eigentlichen Nichtstuns

23.09.2016. Wehmütig, aber glücklich kommen die Kritiker aus Christoph Marthalers "Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter", das die letzte Castorf-Saison an der Berliner Volksbühne einläutet. Die SZ ist gespannt auf die neben dem Heizkraftwerk Charlottenburg entstehende Werkbundstadt. Antoine Fuquas multiethnisches Westernspektakel "Die glorreichen Sieben" spaltet die Kritik. Und die NZZ beobachtet besorgt den Besucherrückgang bei Frankreichs Museen.

Wie Wasserballett mit Jelinek

22.09.2016. In Lens Culture erklärt der Fotograf Vladimir Vyatkin, warum die Kunst zu lügen wesentliche Voraussetzung für einen Fotografen ist. Das Art Magazin lernt in Mannheim, dass der Barock kein Dekadenzphänomen war. Sorry, aber Laura Poitras konnte es besser, meinen die Filmkritiker über Oliver Stones "Snowden"-Film. Die FAZ begutachtet in Zürich thermalen Widerstand mit Unwellness und Unheilfasten. Die taz nimmt einen Schluck zu viel aus Elgars Überklangfülle.

Da die Architektur noch frivol sein durfte

21.09.2016. Eher murrend nehmen die Kritiker die Shortlist für den Deutschen Buchpreis auf: ZeitOnline sieht vor allem die Träume alter Herren bedient. Die Welt schlägt dem Leser von Philipp Winklers "Hool" den Grauburgunder aus der Hand. Die Tell Review diskutiert, wie zirzensisch Literaturkitik sein darf. Der Freitag untersucht die Untiefen deutscher Kinderkultur. Die NZZ besichtigt die Höhen mondäner Architektur in den Schweizer Alpen. Die Nachtkritik empfiehlt Claus Peymann für eine Intendanz bei der Commerzbank.

Zusatz von Handlungsstoffen

20.09.2016. In der FAZ schlagen Ilija Trojanow und José Oliver Alarm: Der Adelbert-von-Chamisso-Preis soll abgeschafft werden. Die SZ feiert den narrativen Tanz. Im Tagesspiegel wünscht sich der neue dffb-Leiter Ben Gibson mehr Autorenfilmer auf dem Markt. Die Welt lernt in Berlin von Anne Imhof das Fürchten. Der Standard begeistert sich in Wien für junge Chemiker, die Punkte aufhäufen. Und die NZZ erinnert an Paul Parin, der bei den Dogon das orale Paradies entdeckte.

Der Winter kommt

19.09.2016. Nur durch den Uterus der Finsternis kamen die Zuschauer bei der Ruhrtriennale in Susanne Kennedys "Medea.Matrix". Die SZ windet sich noch immer in Wehenschmerzen, die taz vermisst echte Gefühle. Die NZZ erlebt in Zürich den Schauspieler Bernd Grawert als großen Sprech-Kannibalen. Wenigstens im Black Cinema selbst gibt es jetzt ein etwas repräsentative Vielfalt, freut sich der Standard beim Filmfestival in Toronto. Im Merkur-Blog spricht César Aira über sein Schreiben. Die Welt beobachtet Rudolf Thome beim Schneeglöckchenverpflanzen.

Vorbereitung feurigerer Stimmungen

17.09.2016. Im Berliner Ensemble lädt Claus Peymann mit Achim Freyer zum "Abschiedsball": Die FAZ erkennt auf selbt gewollte Agonie. Die FR findet den Abend irgendwie "angeschafft". Mit Roger Vontobels "Gilgamesh"-Inszenierung genießt die SZ im Düsseldorfer Zirkuszelt dagegen echtes Jungs-Theater. Warum müssen italienische Autoren immer irgenwo dazugehören?, fragt Tim Parks im Blog der NYRB. Die Welt geht noch einmal vor John Coltrane auf die Knie.

Noch halbwegs bei Trost

16.09.2016. Die SZ ist gespannt, ob die New Yorker Stadtbaukunst durch die monumentale Treppenskulptur "The Vessel" eher eine Renaissance oder eine Rosskur erfährt. Überwiegend fasziniert zeigt sich die Kritik von Rick Alversons Anti-Komödie "Enterntainment". Nach seinem Ausschluss von der Yinchaun Biennale in China beklagt Ai Weiwei die mangelnde Solidarität unter seinen Kollegen. Beim Berliner Gastspiel von Kirill Petrenko und dem Bayerischen Staatsorchester lassen sich FAZ und Tagesspiegel jeder Räum- und Zeitlichkeit entrücken.

Als wär's ein Witz

15.09.2016. In der FAZ spricht Dirigent Andris Nelsons über Schostakowitschs Neunte. Die SZ erlebt bei Antonio Pappanos "Norma" in London ein Dirigentenwunder. Der Tagesspiegel versinkt bereits in den Licht- und Klangwogen der Elbphilharmonie. In der taz erzählt Regisseurin Serpil Turhan von ihrem Besuch bei Rudolf Thome seinem Brandenburger Bauernhof. In der NZZ geißelt Ivan Vladislavic die Ironie in der Gegenwartskunst. Und auch Claus Peymann enttäuscht die Theaterkritiker nicht und liefert ihnen einen schönen Wutausbruch.

Ergebnis geglückter Arbeit

14.09.2016. Ganz hingerissen sind die Feuilletons von Fatih Akins "Tschick"-Verfilmung, besonders beeindruckt ist die FAZ vom jungen Anand Batbileg und seiner coolen Frisur. Die NZZ wünscht sich mehr Kunst im öffentlichen Raum. Auf wenig Verständnis stößt der Widerstand des Berliner Staatsballetts gegen Sasha Waltz als neue Leiterin: Die SZ attestiert dem Ensemble einen antiquierten Ballettbegriff, auch die taz begrüßt den Abschied von gut getanzten Nettigkeiten. Der Tagesspiegel bedauert allerdings, dass die Berliner Kulturpolitik nicht auch im Ensemble etwas Lust am Aufbruch verbreitet hat.

Schöne Irritationspotenziale

13.09.2016. Revolte beim Berliner Staatsballett: Dort ist man höchst unzufrieden mit der neuen Co-Leiterin Sasha Waltz. Kaleidoskopische Kunst oder unverständliches Blah - das ist die Frage bei der von Maria Lind kuratierte Gwangju Biennale in Südkorea. Der Tagesanzeiger freut sich über viele Dirigentinnen und Komponistinnen beim Luzern Festival. Der Guardian fragt, warum die Ars Electronica in 29 Jahren nur einmal eine Künstlerin mit dem Goldenen Nica ausgezeichnet hat. Die NZZ staunt über die Visionen des Blauen Reiters. Die SZ grübelt über Baumarkt-Ästhetik und Pop.

Eine Erfahrung in verdichteter Poesie

12.09.2016. Benedikt von Peters Luzerner Antrittsinszenierung mit Luigi Nonos "Prometeo" lässt die Kritiker beglückt auf die Matrazen im Theater zurücksinken. Die Welt besucht den von Frank Gehry entworfenen neuen Boulez-Saal der Barenboim-Said-Akademie. Zeit online fragt, warum der Brutalismus neuerdings wieder in Mode ist. Und die Filmkritiker sind durch die Bank weg einverstanden mit dem Goldenen Löwen für Lav Diaz.

Was die Köpfe unbedingt brauchen

10.09.2016. Die Welt will in diesem Jahr keinen goldenen Löwen in Venedig verleihen. Olga Martynova denkt in der NZZ über Literatur und Religion nach. Die Jungle World analysiert ideologiekritisch den Makabrismus des Roald Dahl. Die Welt bewundert in Wien den leichthändig zwischen Kunst und Kommerz changierenden Franz von Stuck. Die Musikkritiker hören Nick Cave.

Staunen führt weiter

09.09.2016. Die SZ untersucht die Sprache Elena Ferrantes. Dorothea Studthoff liefert im Logbuch Suhrkamp einen Essay über das Synchronschwimmen. In der NZZ erklärt Hugh Grant, warum er nur schlechten Kritiken glaubt. Die Jungle World lotet mit Musikerin Mykki Blanco ihre Kontingenzempfangsbereitschaft aus. Die NZZ porträtiert den Architekten Friedrich Kiesler.

So penetrant, wie es nur geht

08.09.2016. Die NZZ staunt über bunte, hinreißend moderne Berber-Teppiche. Tages-Anzeiger und NZZ wenden sich entnervt von Elke Heidenreich ab. Sasha Waltz wird als eierlegende Wollmilchsau künftig ihre eigene Compagnie betreuen und als neue Leiterin des Berliner Staatsballetts moderne Stücke kreieren sowie die Pflege des klassischen Erbes organisieren, berichten leicht skeptisch die Feuilletons. In der Zeit erklärt Oliver Stone, was er von Edward Snowden gelernt hat.

Pracht und Attacke

07.09.2016. Die NZZ feiert die irisierende Schönheit von Muranoglas, dem die Münchner Pinakothek der Moderne eine Ausstellung widmet. Die FR erlebt in Venedig David Lynch als bildenden Künstler. In der SZ warnt Amelie Deufland die Volksbühne, sich von falschen Freunden  zum Stadttheater machen zu lassen. Der FAZ kommen bei den Köthener Bachtagen die Zähren.

Ein Stand der Unschuld

06.09.2016. In der NZZ erklärt Theatermann Milo Rau, was ein Kollektiv künstlerisch interessant macht. In Venedig ließ Cargo mit Freude eine Arche des Sex an sich vorüberziehen. Die FAZ  trotzte bei der Ruhrtiennale Pferdekadavern und tollwütigen Hunden. Beim Berliner Musikfest wappnet sich die SZ mit Luigi Nono gegen Wolfgang Rihms klingende Ungetüme. Die taz genoss beim Tanz im August die Erweiterung platonischer Körper.

Das absolute Bei-sich-Sein

05.09.2016. Im Standard spricht Mathias Enard über seinen Roman "Kompass" und empfiehlt Orient-Liebhabern die Literatur gegen eventuelle Reisekrankheiten. In der Welt spaziert Marcel Beyer durch eine literarische Anspielung. Bei den Filmfestspielen in Venedig stößt Francois Ozons Liebesgeschichte "Frantz" auf ein geteiltes Kritikerecho. Die FAZ empfiehlt den Freunden von Kirchen-Couture Paolo Sorrentinos "The Young Pope". Außerdem rühmt sie die diamantharten Novellen der Cynthia Ozick. Nicht recht überzeugt sind die Kritiker von Johan Simons Kamel-Daoud-Adaption "Die Fremden" bei der Ruhrtriennale.

Emotionskaraoke

03.09.2016. In der Kunst von heute ist die Puppe das Ideal, stellt die SZ fest. Ian Bostridge erklärt in der Welt, was in Schwarzenberg wirklich passierte. NZZ und Nachtkritk feiern in Zürich den Abschluss von Milo Raus "Europa-Trilogie". In Venedig kann Tom Fords Thriller "Nocturnal Animals" die Kritiker nicht überzeugen. In der NZZ denkt Martin R. Dean über die Rolle von Schriftstellern im öffentlichen Diskurs nach. Und die Welt erkundet in Berlin die atemberaubende Architektur der Animes.

Eine Welt hinter Glas

02.09.2016. Die FAZ ärgert sich über Literaturkritik als Dauerwerbung, aktueller Fall: Christian Kracht. Die Feuilletons reisen nach Venedig und schauen Wim Wenders in 3D.  In der SZ will der Autor Kamel Daoud junge Heranwachsende mit Kultur vor radikalen Fundamentalisten schützen. Die taz kommt beim Pop Kultur Festival in Berlin nicht in Feierlaune. Und die Welt bewundert Farbholzschnitte in Frankfurt.

Die verschrobene Art der gelehrten Präsentation

01.09.2016. Die Feuilletons umjubeln Eiichi Yamamotos restaurierten Animationsfilm "Die Tragödie der Belladonna": Die FAZ tanzt zwischen Erotik und Ausgezehrtheit zu unirdischen Stimmen, die Welt feiert den stilistischen Exzess und zählt Phallussymbole und die taz ist bei so viel Sex und Gewalt ganz verstört. Das Logbuch Suhrkamp liest postdigitale Gegenwartsliteratur und bemerkt: Die digitale Revolution ist vorbei. nachtkritik reist zur Wiesbadener Biennale und sucht das "Asyl des müden Europäers". In der taz will Punk-Urgestein Richard Hell nicht über "Jewishness" sprechen. Und die Zeit befragt Christian Kracht zum "kulturell Eigenen".