Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Dezember 2017

Mit Muff, Pelz und Stilettos

30.12.2017. Der Musiker Christopher von Deylen dreht im Iran am Jubelknöpfchen, lesen wir in der FR. Chinesischstämmige Koreaner möchten auch gern mal die Rolle des Filmhelden spielen, erzählt die NZZ. Die taz staunt über den Literaturkritiker Thomas Gottschalk und begutachtet das von identitärem Tribalismus gezeichnete Superkunstjahr 2017. Und der Perlentaucher wünscht allen Lesern einen guten Rutsch!

Als könne die Kunst die Religion ersetzen

29.12.2017. Die SZ besucht die Tretjakow Galerie, zu deren Ausstellungen übereifrige Besucher schon mal die Tür eintreten. Die NZZ ist verschnupft über Gerhard Richter, der etwas zu unverblümt die Überlegenheit der Naturwissenschaften über den Altar feiert. Ufa-Filmoperetten sind nicht unschuldig, schreibt die SZ Christian Thielemann ins Stammbuch. Außerdem eröffnet die SZ eine neue Textreihe über Heimat mit einem Text des Schriftstellers Senthuran Varatharajah.

Ultimativ herzlos

28.12.2017. Die Welt wirft zwei Blicke in das Laboratorium der Moderne, bevor Verwertungsindustrie und Kuratoren sich über die Künstler setzten. Die Filmkritiker frösteln in Yorgos Lanthimos' Filmdrama "The Killing of a Sacred Deer" und wärmen sich an den Farben van Goghs im Animationsfilm "Loving Vincent". Im Freitext-Blog schildert Norbert Niemann seine Eindrücke von New York. Die NZZ feiert den Illustrator Celestino Piatti. Und Zeit online aalt sich im Eklektizismus des Musikproduzenten Jack Antonof.

Gibt es eine Bundesprüfstelle für Bundesprüfstellen?

27.12.2017. Die NZZ steht Kopf vor Daniel Schwartz' Gletscherbildern. Der Tagesspiegel erkennt im Wuppertaler Heydt-Museum: Das Gegenteil des Impressionismus ist Edouard Manet. Auf ZeitOnline ruft Thomas Glavinic: Zensur gefährdet die Jugend mehr, als es die finsteren Texte der Metalband Eisregen je könnten. Ridley Scott hält sich in der SZ an die ökonomischen Aspekte von #MeToo. In der Welt spricht Renzo Piano über die Macht der Schönheit und die Zugänglichkeit von Museen. Und Célines Witwe gibt mit ihren 105 Jahren die antisemitischen Pamphlete des Autors frei, berichtet die FAZ.

Wer ist der Typ, der so malt wie ich?

23.12.2017. Milan Peschel bringt als "Hauptmann von Köpenick" ein wenig Volksbühnen-Spirit ans Deutsche Theater, freuen sich die Kritiker. Die Amoralität des Marktes hat für die Kunst auch Vorteile, stellt Wolfgang Ullrich im Perlentaucher fest. Der Guardian entdeckt Werke vergessener Renaissance-Künstlerinnen auf florentinischen Dachböden. In der taz will sich Bernd Begemann nicht von Influencern manipulieren lassen.  Und die FAZ ärgert sich über die lieblosen Märchenfilm-Neuproduktionen der Öffentlichen-Rechtlichen.

Wir machen aggressiven Humanismus

22.12.2017. "Wir sind nicht links", protestiert Phillip Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit im Interview mit der NZZ. Das Art Magazin porträtiert die Künstlerin Helene von Taussig, deren Karriere von den Nazis beendet wurde. Die FAZ feiert Dušan David Pařízeks Inszenierung von Ewald Palmetshofers modernisiertem Hauptmannstück "Vor Sonnenaufgang" am Wiener Akademietheater. Die SZ betrachtet die Trailer von Filmen als Industrie und Kunstform.

Ausgerechnet in Wiesbaden

21.12.2017. Die FAZ diagnostiziert einen Streamingkrieg der Serien. Der Standard porträtiert die R'n'B-Sängerin Kelela als interessanteste des Jahres 2017. Der Tagesspiegel entdeckt in einer Surrealistinnen-Ausstellung die giftig grünen Schlangen Marie Ermínovás. Die Spex erinnert an das Musikalbum "Kebab- und andere Träume", das 1987 die Möglichkeiten eines melting pots beschrieb.

Am liebsten Robert Mitchum sein

20.12.2017. In der NZZ erklärt Ai Weiwei: Nur ein schlechter Künstler ist kein Aktivist. Die SZ erlebt Freiheit, Vereinsamung und Langeweile im tschechoslowakischen Plattenbau. Critic.de resümiert das Filmjahr. Pitchfork informiert, wie Streamingdienste künftig die Beliebtheit von Popsongs messen wollen. Und die Welt verabschiedet den Borsalino mit einem Fingertipp an der Hutkrempe.

Dieses Viech ist die Zukunft

19.12.2017. Warum will eigentlich auf einmal jeder Museumsdirektor einen Erweiterungsbau?, fragt die NZZ. Die Welt erlebt mit William Forsythe in Paris die Schönheit und Anmut tanzender Industrieroboter. Der Guardian preist die imaginative Kraft des schottischen Malers Peter Doig. Und die SZ findet Eminems neues Album sträflich am Zeitgeist vorbei produziert.

Quietschfidel in den knisternden Polyesterkleidern

18.12.2017. Der Standard lässt sich mit Begeisterung am Wiener Volkstheater von Stephan Kimmig in die moralische Wüste des Krzysztof Kieslowski führen. "Glotz nicht so romantisch!", schallt es der taz in den Münchner Kammerspielen entgegen. Die SZ erliegt der Heiterkeit in den den Fotografien von Joel Meyerowitz. Die NZZ reist mit Ovid ans Schwarze Meer. Und nur Pitchfork verübelt Pharell Williams den Aktivisten-Chic auf seinem neuen Album "No_One Ever Really Dies"

Aus dem Bauhaus ausgebüxt

16.12.2017. In der taz verrät die iranische Musiklehrerin Charuk Revan, wie sie sich mit Black Metal emanzipiert hat. Die FAZ sehnt sich nach einer neuen Künstlergruppe, die der Kunst zur Emanzipation vom Markt verhilft. Die Kritiker werfen mit Regisseur Ersan Mondtag einen düsteren Blick in die Altenpflege. Welt und Deutschlandfunk Kultur erproben neue Wohnmöglichkeiten. Und die Literarische Welt fragt: Was bleibt übrig von Heinrich Böll?

Platinum hüllt diese Welten in Samt

15.12.2017. Die Berliner Zeitung stöbert durch den Nachlass von Gabriel García Márquez und findet eine wunderbare Filmidee. Der Tagesspiegel stellt den chinesischen Künstler Hua Yong vor, der sein Engagment für die Wanderarbeiter gerade mit drohender Haft bezahlt. Sehr kühl reagieren die Theaterkritiker auf Mette Ingvartsens noch kühlere Choreografie "21 pornographies" an der Volksbühne. Tausend trockene Trap-Beats, zu denen Neonazis verdroschen werden, hört Zeit online mit Pharrell Williams.

Dinge, Dinge, Säge, Säge, Glöckchen, Glöckchen

14.12.2017. Die taz prüft die neue Betriebstemperatur des Liebeslebens von Juliette Binoche. Die Zeit gerät bei einem Konzert des Trios "The Necks" in der Elbphilharmonie in eine Identitätskrise.  Die FAZ kostet Revolutions-Borschtsch in Krasnojarsk. Im Standard feiert Johan Simons den Schriftsteller des Heimwehs, Joseph Roth.

Die Rücksichtslosigkeit

13.12.2017. Die FAZ beobachtet das Werden einer Schreckenssiedlung nördlich der A5. Die NZZ sieht die USA mit der Debatte um Balthus zwischen Prüderie, Pornografie und Hysterie taumeln. Die FR folgt Yves Tanguy ins "Reich der Misteldruiden". Die SZ besucht in Saarbrücken einen Museumsneubau, dem die eigene Beliebtheit eingeschrieben ist. Und die Filmkritik folgt den Sternenflottenstreber des achten Star-Wars-Films an den Rand des Burn-outs.

Ein Leben lang erfolgreich nachgedacht

12.12.2017. Die SZ lernt im neuen Außenministerium in Den Haag, dass die Holländer weder Pathos noch Abstand mögen. Die FAZ lernt im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, Affen zu lieben. Die Welt macht sich keine Sorgen mehr ums Deutsche. Und in der taz gratuliert Stephan Wackwitz dem unverändert coolen Giwi Margwelaschwili zum Neunzigsten.

Eine Klangwelt wie eine Gummizelle

11.12.2017. Im Bolschoi-Theater wurde nun doch noch Kirill Serebrennikows Nurejew-Ballett aufgeführt: Selbst unter den dicken Moskauer Schichten von Macht, Pelz und Botox ist niemand in Ohnmacht gefallen, berichtet die SZ. Die Welt fragt, wie die Berliner Staatsoper mit ihrer Rentnerregieriege internationalen Anspruch erheben will. Nach der Verleihung des Europäischen Filmpreis an Ruben Östlunds Kunstbetriebssatire "The Square" hadern FR und taz mit dem europäischen Konsens. Im Guardian stellt Jonathan Jones klar: Ein Bild ist kein Angriff.

Misanthropisch verstimmte Design-Hölle

09.12.2017. Kino oder Theater? In Apichatpong Weerasethakuls "Fever Room" wird diese Frage immerhin interessant gestellt, freut sich die taz. War doch alles transparent, wehrt Bono in der SZ alle Vorwürfe wegen seiner Steuervermeidungstricks ab. Die Franzosen begleiten heute Johnny Hallyday auf seinem letzten Weg über die Champs-Elysées, meldet France Bleu. Die NZZ langweilt sich in der Scala.

Unerschrocken pathetisch

08.12.2017. Die NZZ geißelt den Schmus des Authentischen in der Literatur. Nichts steht einem Geist so gut, wie ein übergeworfenes Bettlaken, lernt der Tagesspiegel in David Lowerys "A Ghost Story". Die taz hätte sich mehr Mut beim "Rework" von George Clintons Funkadelic gewünscht. Und sie besucht Palermo, wo demnächst die Kunstbiennale "Manifesta" stattfinden soll.

Lichtgestalt des Röck en Röll

07.12.2017. Die taz bewundert das Timing für Transplantation, Skalpell, Säge, Nadel, Faden, schlagendes und nicht mehr schlagendes Herz in Katell Quillévérés Film "Die Lebenden reparieren". Der Standard beobachtet das Verschwinden der Gletscher in einer Ausstellung des Fotografen Michel Comte. Die NZZ besucht eine Ausstellung der Dame en noir Christa de Carouge, Schweizer Schwester im Geiste von Rei Kawakubo und Yohji Yamamoto. Die Musikkritiker sind baff, mit welcher Intensität die Franzosen um Johnny Hallyday trauern.

Manifestation eines seltsamen musikalischen Syndroms

06.12.2017. Die 63-jährige Künstlerin Lubaina Himid bekommt in diesem Jahr den Turner-Preis. Der Guardian reagiert mit verhaltener Freude. Auf Zeit Online erzählt Ann Cotten von ihrer Reise nach China. Die FAZ erlebt am Krakauer Stary Teatr eine Stimmung wie unter General Jaruzelski. Die Zukunft der Berlinale liefert weiter Diskussionsstoff: Die SZ träumt schon den Albtraum der hausgemachten Lösung. Und Frankreich unter Schock: Der eigentlich unsterbliche Johnny Hallyday, größter Rockstar der Welt, ist tot.

Die Sprache der Versöhnung

05.12.2017. Die NZZ hält den Atem an, wenn Medea in Peter Konwitschnys Inszenierung an der Stuttgarter Oper auf die Knie gehen muss. Die SZ erlebt in Paris mit Wajdi Mouawad Romeo und Julia in der Nahost-Version. Der Freitag berichtet von einer Diskussion zur Zukunft der Berlinale und lernt von Christian Hochhäusler: Beißhemmung ist kein Frieden. Beim Festival in Baden-Baden blickte die FAZ in den Abgrund des deutschen Fersehfilms.

Die kubanische Faust aufs französische Auge

04.12.2017. Siebeneinhalb Stunden gingen die Kritiker mit Frank Castorfs "Les Misérables" am BE durch die Kloaken von Paris: Die SZ genoss den Abend als mittleres Erdbeben auf der Castorfschen Voodoo-Skala. Die Berliner Zeitung liebt einfach diese Dreckfressen auf der Bühne. Nur der Tagesspiegel winkt ab: Peinlicher Altmännerstil! Die taz huldigt dem Glamrock. Der Standard trifft sich mit Peter Handkes Einkaufsberaterin. Und die SZ trauert um den Fassbinder-Schauspieler und Regisseur Ulli Lommel.

Alles gehört abgeschafft

02.12.2017. In der Volksbühne hatte Susanne Kennedys "Women in Trouble" große Premiere. Die Nachtkritik feiert mit ihr eine "Messe der Oberflächlichkeit". Die NZZ jubelt. Der Merkur erlebte ein Theater der Affektvernichtung. Die Welt findet das Stück dagegen so stromlinienförmig und heimatlos, wie es Chris Dercons Kritiker befürchtet haben. Die Berliner Zeitung betrachtet die Bilder Jürgen Hohmuths und fragt sich noch einmal, wie fröhlich die Ostzone war. Die taz unterhält sich mit der iranischen die Schriftstellerin Négar Djavadi. Die SZ ruft mit dem Frankfurter Architekturmuseum zur Rettung der Betomonster auf.

Schwarze Technologie des Wassers

01.12.2017. Rem Koolhaas erklärt im Interview mit der NZZ, warum das Land für einen Architekten heute interessanter ist als die Stadt. Die FR feiert Jürgen Vogel als Ötzi. Die Musikkritiker beugen sich über neue Alben von U2, Neil Young und Errorsmith. Die SZ besucht eine Ausstellung über Afrofuturismus. Die Sopranistin Agneta Eichenholz findet im Interview mit dem Standard Bergs Lulu ganz real. Die taz bringt einen Nachruf auf Verena Stefan.