Vorgeblättert

Leseprobe zu Uta Ruge: Die Kühe, mein Neffe und ich

Leseprobe zu Uta Ruge: Die Kühe, mein Neffe und ich
6 Zuhause ist, wo die Tiere sind

Die im Stall zusammengedrängte, geballte Energie der Kühe, ihr winterliches Festgehaltensein durch Mauern und Ketten, empfand ich als Kind immer auch als eine Gefahr. Vielleicht lag es daran, dass ich körperlich klein war, ein Kind eben, und die Kühe so groß. Aber eigentlich ist mein Eindruck von ihrer überlegenen Größe und Kraft nie verschwunden.

Wenn die Kühe im Frühjahr endlich auf die Weide gelassen wurden, war das wirklich wie eine Explosion. Ich vermute, dass es immer am Wochenende geschah, also wenn wir Kinder schulfrei hatten. Wir wurden mit kräftigen Stöcken ausgestattet und dort an den Weg gestellt, wo die Kühe nach rechts oder links ausbrechen könnten. Der erste Lauf der frisch von ihren Ketten befreiten, aufgeregten Kühe ging direkt auf die Weide hinter dem Haus. Es waren Drähte gezogen und Balken vorgelegt worden, sodass es nur diesen Weg für sie gab.

Dass sie plötzlich aus der Dunkelheit des Stalles, aus Gestank und Bewegungslosigkeit hinauskamen in Licht, Luft und Bewegungsfreiheit, war anfangs und jedes Jahr wieder eine große Überwältigung. Manch eine trat mit Vorsicht und wie betäubt aus dem Stall hinaus, andere wurden schon durch die ersten Schritte weg vom Platz der Anbindung, wo es immer nur einen Meter nach rechts und einen nach links gegangen war, von einem übersprudelnden Drang erfüllt, sich zu bewegen. Sie eilten und stürmten zum Ausgang, drängelten die anderen weg und überholten was oder wer ihnen im Weg stand, sprangen, hüpften, hoben die Köpfe und Schwänze. Und rannten wie blind und taub los, und nur, wo jemand stand und mit dem Stock drohte oder sie anbrüllte, verstanden sie, dass dies nicht die Richtung war, drehten ab und rannten durch die einzig frei gelassene Gasse zur Weide, wo manche wieder hüpften und sprangen wie junge Kälber. Ihre mächtigen Leiber mit den großen Eutern daran bewegten sich auf eine, wie ich fand, fast unziemliche Weise. Sie waren wie betrunken von der körperlichen Freiheit, der Luft, dem Gras und der Helligkeit, in der sie sich nun befanden.

Andere Kühe gingen mit Vorsicht aus dem Stall, Schritt für Schritt prüften sie mit gesenkten Köpfen den Boden, schnupperten, hoben die Nasen nur halb so hoch wie die anderen, staksten breit- und stelzbeinig durch die Tür und gingen gemessenen Schrittes zur Weide. Anders als später im Jahr, wenn sie sich im täglichen Gang oft langer Wege ein gewisses Nicken zu eigen gemacht hatten, hielten sie anfangs den Kopf noch etwas starr, schwenkten ihn höchstens ein wenig nach rechts und links und legten dabei die Ohren an, als sei Gefahr im Verzug. Sie wichen den Sprüngen der anderen aus und machten sich, auf der Weide angekommen, gleich über das frische Grün her.

Tatsächlich zeigte jede ihren Charakter in dem, wie sie diesen ersten Weidetag beging, wild oder vorsichtig, übermütig oder gelassen.

Aber sowohl für die wild Hüpfenden als auch die ruhig Schreitenden kam an diesem Tag der Moment, an dem sie ihre Position in der Herde neu erringen oder die alte verteidigen mussten. Und wenn nicht an diesem Tag, dann am nächsten oder übernächsten. Es gab eine Hierarchie unter ihnen, an deren Spitze die Leitkuh, eine ältere, meistens ziemlich große Kuh, stand. Die Hierarchie reichte bis hinunter zu den jungen Kühen, die erst während des Winters das erste Mal gekalbt und schon bei den anderen im Stall gestanden hatten, deshalb aber noch nicht wirklich in die Herde eingeführt waren. Man sah an diesem Tag viele gesenkte Köpfe und hörte Stirnplatten aneinanderkrachen und fühlte mit, wenn spitze Hörner in Hinterbacken, weiche Flanken und Bäuche gerammt wurden. Deshalb mussten wir Kinder anfangs mehrere Stunden bei den Tieren auf der Weide bleiben und immer wieder dazwischengehen, wenn eine rangniedere Kuh derart bedrängt wurde, dass sie im Stacheldrahtzaun oder im Graben zu landen drohte. Wir mussten unseren ganzen Mut zusammennehmen und kräftig auf die angreifende Kuh draufhauen, bis sie aufgab und sich trollte. Das Austragen der Rangkämpfe zu verhindern war natürlich nicht unsere Aufgabe und es hätte auch nicht in unserer Macht gelegen. Jedes Jahr wieder wurde anhaltend um die Rangordnung gekämpft, wurde neu ausgehandelt, wer sich etwa beim Saufen anstellen musste und wer die vor ihr saufende Kuh ungestraft wegboxen durfte. Sobald diese Fragen in der Herde geklärt waren – neben der dominanten Kuh gab es ein, zwei Konkurrentinnen um den zweiten und dritten Platz, der Rest war einigermaßen gleichrangig –, existierte nur noch das Grasen, Saufen und Wiederkäuen.

Nach ein paar Stunden wurden die Tiere wieder hereingeholt, damit sie sich nicht überfraßen und an der gefährlichen Pansenübersäuerung oder Weidetetanie erkrankten. Also trieb man sie nach Hause und warf ihnen Stroh vor, damit sie sich mit genügend Raufutter kauend aus der Gefahr der Aufblähung herausbegeben konnten.

In diesen ersten Tagen fanden wir häufig abgestoßene Hörner im Gras, jene leeren, oft noch mit Blut beschmierten Umhüllungen aus Horn. An ihren Rillen zählten wir ab, wie viele Kälber die Kuh geboren hatte, denn während jeder Trächtigkeit gibt eine Kuh so viele Nährstoffe an das Kalb, dass ihr Hornwachstum etwas geringer ausfällt und eine Einkerbung entsteht, die rund um den Hornstamm läuft. Nachdem die Kuh es abgestoßen hatte, stand nur mehr der Kernknochen am Kopf heraus, wo zuvor ihr Horn schützend darüber-gewachsen war. Tagelang lief sie dann mit dem von geronnenem Blut pelzig überzogenen Knochen umher, manchmal begann das Blut wieder zu fließen, wenn sie sich weiter mit ihren Konkurrentinnen herumstieß. Das im Gerinnen schnell schwarz werdende Blut tropfte so einer Kämpferin die Schläfen entlang Richtung Auge, und das konnte sehr lästig werden, wenn sich nämlich Insekten darum sammelten und der Kuh mit ihrem Summen und Brummen auf die Nerven gingen. Aber als Kind ihr helfen zu wollen, die Fliegen zu verscheuchen, war auch keine gute Idee. Das verstand die nervöse Kuh nur als zusätzliche Belästigung und reagierte mit einem unwilligen, heftigen Kopfschütteln und Ausweichen.

Später am Tag stellte sich dann eine schöne, fast glückliche Ruhe ein, wenn endlich fast alle Kühe, egal in welcher Position in der Herdenhierarchie, auf der Weide lagen und damit beschäftigt waren, das Gras batzenweise wieder hochzurülpsen, um es noch einmal zu kauen.

So lernte ich beim ersten Weidegang des Jahres voller Staunen und nicht nur an den abgestoßenen Hörnern, dass Kühe sowohl kräftig als auch verletzlich waren. Dass dieses Zuviel an frischem Frühlingsgras eine Gefahr darstellen sollte, von der man sie regelrecht wegprügeln musste, wollte man sie nicht mit dem geblähten Bauch einer Eiweißvergiftung und kurz vorm Erstickungstod mit schaumiger Gärung des Panseninhalts im Gras liegend finden, beeindruckte mich besonders. Dann konnte nur noch der schnellstmögliche Eingriff des Tierarztes sie noch retten. Der immer beruhigende und lösende Auftritt und Eingriff unseres Tierarztes begeisterte mich so sehr, dass ich zwölfjährig als zweite Fremdsprache Latein wählte und nicht Französisch. Denn für ein Veterinärmedizinstudium, so hieß es, würde ich das große Latinum brauchen.

Noch stand ich nur fasziniert daneben, wenn der Tierarzt, ein großer Mann mit grüner Gummischürze, sich an einer Kuh zu schaffen machte. Wenn er in eiternde Beulen schnitt, geronnenes Blut aus Hämatomen ausspülte oder einen Fremdkörper aus einem der vielen Mägen der Kuh holte, wenn er nähte und verband, Medizin verabreichte per Spritze und Tropf oder auch mit einer Flasche in den Schlund der Kuh gesteckt, wenn er ein falsch liegendes Kalb im Mutterleib drehte oder es, wenn es halb ertrunken geboren war, zusammen mit meinem Vater an den Beinen hochriss, ihm Salz in den Schlund steckte und mir befahl, schnell einen Eimer eiskaltes Wasser zu holen, mit dem das Kalb übergossen wurde, auf dass dieser Schock es ins Leben und zum Atmen brachte.

Manchmal war am Ende trotzdem ein Kalb tot. Die vorher noch besorgten, aber offenen, nicht selten sogar lachenden Gesichter der Erwachsenen verschlossen sich. Wortkarg zog man den toten Körper zur Seite, konnte jetzt nur noch den Abdecker anrufen, der das, was gerade noch ein Tier gewesen und jetzt ein Kadaver geworden war, später abholen würde. Natürlich war ein totes Tier immer auch ein materieller Verlust. Aber dass man es nicht geschafft hatte, ein Leben zu retten, wog in diesem Moment schwerer.

Hinter den Kühen hergehen war die Bewegungsform des Sommers. Zu ihnen auf die Weide spazieren – oder auch eilen –, allein oder mit einem Hund, Gatter öffnen, rufen, sich zu manchen einzeln hinbegeben, sie aufjagen, falls sie immer noch nicht aufgestanden waren, dann zur nächsten. Sie einsammeln für ihren Gang in den Stall zum Melken, im Blickfeld dabei Himmel und Weiden, darin die Zäune, Grabenränder und ihre Verläufe gekennzeichnet durch buschigen Bewuchs von dunklerem Grün, die Weide mit den Kühen, das von ihnen kurz abgefressene Gras und jene Stellen, an denen sie säuberlich um Disteln, Brennnesseln und Ampfer herumgefressen hatten. Im Gehen mit nackten oder bestiefelten Füßen vermied man die Dungscheiben, die sich aus dem Kuhmist am Boden geformt hatten, die frisch-grünen ebenso wie die, deren obere Haut bereits pappeartig oder schon ledrig getrocknet war. Manchmal hüpften Frösche durchs Gras von mir fort, es waren kleine braune Frösche, grüne habe ich lange gar nicht gekannt.

Und wenn es nicht regnete, summten Mücken und sangen Vögel. Auch Bremsen waren in der Luft, aber die gaben keinen Ton von sich, setzten sich nur still und tückisch um Augen und Nasen der Tiere, an den Hals, und mir auf die nackten Arme und in den Nacken, senkten ihren Saugrüssel ein und saugten. Warum merkte man es nur so spät? War es ihr Speichel, der brannte? Die Kühe trotteten vor mir den Weg zum Stall. Um sich von der Plage der Mücken, Fliegen und Bremsen zu befreien, wedelten sie mit den Ohren. Um diese Fähigkeit beneidete ich sie sehr! Sie wischten und schlugen die Schwanzquaste zum rechten, dann zum linken Hüftknochen hinauf, und immer so weiter, rechts, links, rechts, links, unaufhörlich. Die älteren taten es methodisch und gleichmäßig, die jüngeren in wütender Schnelligkeit, bis sie den Schwanz eine kleine Weile resigniert oder auch einfach nur müde hängen ließen. Manchmal hob eine Kuh ein Hinterbein und kratzte sich mit der hornigen Klaue fein am Gesicht, etwa im Augenwinkel oder am Hornansatz, sich währenddessen auf drei Beinen balancierend und wegen des nach vorne gehobenen Fußes auf dieser Seite ganz kurz machend, und mit auf der anderen Seite Bauch und Brustkorb nach außen gebeult, wo sie sich fast zu Boden senkten. Mehr als sonst war dann das Euter zu sehen, bei den jungen Tieren noch heimlich zwischen den Hinterbeinen versteckt, bei den älteren stark nach unten hängend, und so sah ich genau hin, wie es sich vom Bauch her dehnte und in Richtung Vulva zwischen den Hinterbeinen hochstreckte, manchmal stark behaart, dann wieder ganz nackt. Am Bauch schlängelten sich unter dem Fell fingerdicke Adern entlang, denen ich lange zutraute, mit Milch gefüllt zu sein. Das Euter war mit vier kurzen oder langen Zitzen besetzt, die wir Striche nannten und die mal weit auseinander, mal nah beieinander standen. Im Rhythmus der Kratzbewegung schaukelte das Euter ein wenig mit. Sobald die Kuh das Bein absetzte und wieder auf allen vieren stand, waren die Ansatzstellen des Euters wieder aus dem Blick verschwunden und es pendelte weiter sanft im wieder aufgenommenen Gangrhythmus des Tieres. Manchmal schüttelte die Kuh nach dieser erstaunlichen Gymnastik ein wenig den Kopf, bevor sie sich wieder in Bewegung setzte. Und manchmal tat sie, wenn sie eine der jüngeren war, dazu ein paar erstaunliche, geradezu kind- oder vielmehr kalbhafte Sprünge. Als könnten Kopfschütteln und Springen den Juckreiz an Auge oder Hornansatz besser bekämpfen. Ich vermutete aus eigener Erfahrung mit dem Kratzen von Insektenstichen, Flechten oder vom Stacheldraht aufgerissener Haut, die juckend heilte, dass das Kratzen über den Moment hinaus nur wenig oder gar nicht geholfen hatte. Umso mehr bewunderte ich das autonome Zucken der Haut, das man unter dem Fell beobachten konnte, schnelle, kräftige Wellen, mit denen sie Störungen zu beseitigen suchten. Und natürlich leckten sie sich, wo immer sie hinreichten mit biegsamem Hals und langer Zunge, hoben mal dieses, dann das andere Hinterbein, schoben und zogen Hintern und Rücken zum Kopf und den Kopf zu Hintern und Rücken. Manchmal leckten sie sich gegenseitig, aber das war weniger gezielt auf juckende Stellen gerichtet als auf eine soziale Nähe, mit der sich die Herdentiere vor allem ihre Gleichrangigkeit bestätigten. Nur selten kam es vor, dass eine rangniedrigere Kuh es wagte, eine ranghöhere zu lecken – bis zu dem Tag, an dem sie gnädigerweise nicht fortgejagt wurde, und dies war dann vielleicht der Tag ihrer Rangerhöhung. Aber beim morgendlichen oder abendlichen Gang zum Stall, mit schweren, vollen Eutern, blieben sie alle ohnehin selten stehen, was sie für das gegenseitige Lecken am Kopf oder Brustkorb – ihre bevorzugten Stellen, da sie selbst mit ihren Zungen nicht hinreichten – hätten tun müssen.

Die Trift war eine Welt für sich, und diese Welt war immer eine andere, je nachdem, ob es Morgen oder Abend war, spätes Frühjahr, hoher Sommer oder sich neigender Herbst. Als ich Kind war, wurden die Kühe im späten Frühjahr auf die Weide gelassen. Da waren die Wege noch matschig und weich, und unter den Birken und Erlen beziehungsweise an den Grabenrändern, von denen sie gesäumt waren, wuchs zwar schon viel Kraut, aber erst im hellen Mai und dann im Sommer würde alles hoch wachsen, blühen und aussamen, an erster Stelle die Gräser – Rispen-, Zitter- und Knäuelgras, Fuchsschwanz und Quecke, darin dann auch Gundermann und Kleine Braunelle, ein bisschen Gewöhnlicher Natternkopf und nicht zu knapp Saat-Luzerne und Taubnesseln. Die Einzigen, deren Namen ich damals schon kannte, waren Brennnessel, Farn und Moos.
Aber es kam auch nicht darauf an. Das Leben bestand für mich aus den Sorgen eines Kindes, das die Sorgen der Erwachsenen aufmerksam wahrnahm, wie das so ist. Im Gehen und im Blick auf die gehenden Kühe, auf ihre Füße mit den delikaten Klauen, die aussahen, als ob sie auf Zehenspitzen oder Stöckelschuhen liefen, verwandelten sich Besorgnisse in Wahrnehmungen, in Gedanken, in Träume. Neben mir trottete der dreibeinige Hund Nicky, den es immer reizte, wenn eine Kuh stehen blieb. Er wusste, er sollte sie nicht beißen, aber er hatte große Lust dazu. Also tat er es manchmal, wurde von mir beschimpft, legte die Ohren an und wedelte verlegen mit dem Schwanz. Dann blieb er ein wenig hinter mir zurück, arbeitete sich wieder vor und probierte es bald noch einmal. Oder es sprang irgendwo ein Hase auf und er rannte hinterher, ohne jede Chance, ihn einzuholen. Den Verlust eines Hinterbeines, das eigentlich noch da, aber ohne Pfote war, verdankte Nicky einem Mähbalken, dem er zu nahe gekommen war. Wir Kinder mochten ihn, glaube ich, umso lieber. Später gab es andere Hunde auf dem Hof, aber ihr Verhältnis zu den Kühen war fast immer dasselbe, nämlich dass sie gerne nach ihnen schnappten, auch nach ihren neugierigen Nasen. Aber eigentlich war und blieb es ihnen wie ja auch uns streng verboten, die Kühe zu ängstigen.

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Wieder einmal holte ich an einem späten Nachmittag die Kühe zum Melken von der Weide. Ich war an diesem Tag alleine zu Hause, warum es so war, weiß ich nicht mehr, vielleicht waren die Eltern mit beiden Geschwistern unterwegs zu einem Einkauf oder einem Besuch, aber alle würden zum Melken wieder da sein. Ich musste nur rechtzeitig losgehen, damit die Kühe im Stall stünden und das Melken gleich anfangen könnte. Natürlich hatte ich, bevor ich aufbrach, alle Balken und Drähte so vorgezogen und gespannt, dass die Kühe, wenn sie auf dem Hof ankamen, nur in den Stall gehen konnten.

Als ich an der Weide angekommen das Gatter öffnete, kam keine Kuh zum Ausgang getrottet, keine hatte es eilig, sich auf den Weg zu machen. Vielleicht war ich ein bisschen zu früh hier. Sie ließen sich fast alle einzeln holen und gingen höchstens los, wenn ich schon sehr nahe bei ihnen war. Manche hüpften sogar beim Losgehen ein bisschen übermütig, als wollten sie deutlich machen, wie viel Spaß es ihnen machte, mich diese Wege machen zu lassen. Auch Julchen, eine kurzbeinige, dunkle und ein wenig hängebäuchige Kuh, blieb stur am Rande der Weide stehen, so viel ich auch rief. Sie sah zwar zu mir her, rührte sich aber nicht, also musste ich mich zu ihr begeben – und sah erst spät, dass neben ihr ein neugeborenes Kalb lag. Sein schwarzes Fell klebte ihm nicht mehr am Körper, es war im Gegenteil gesträubt wie ein kleiner Pelz. Das habe ich auch später, als es schon eine Kuh war, immer in Zusammenhang mit dem Regen gebracht, der bei seiner Geburt gefallen war.

Julchen wollte jedenfalls nicht mitgehen, nicht mit der Herde und nicht mit mir. Was ich tun musste, war klar. Ich musste das Kalb irgendwie dazu bringen, auf eigenen Beinen vorauszugehen, denn tragen konnte ich es nicht, ein neugeborenes Kalb wiegt manchmal schon einen ganzen Zentner. Weil aber Rinder Nestflüchter sind und schon wenige Stunden nach der Geburt mit der Herde mitziehen können, funktionierte es. Ich brachte das Kalb zum Aufstehen und drängte es mit einer Mischung aus ständigem Ziehen und Schieben dazu, sich auf den Weg zu machen. Julchen trottete neben uns her. Erst als wir auf die Herde trafen, die sich am Ausgang der Weide zur Trift etwas staute, wurde es komplizierter. Eine der anderen Kühe fing nämlich an, mich vom Kalb wegzudrängen, als wollte sie es vor mir schützen. Dabei drängte sie auch Julchen von ihrem Kalb ab, die auf unserem gemeinsamen Gang bisher mit mir und dem Kalb eine einigermaßen gemütliche Einheit gebildet hatte. Dadurch wurde nun auch sie ein bisschen aufgeregt und versuchte, die andere Kuh wegzustoßen. Es entstand ein Handgemenge, vielmehr ein Horn-, Bein- und Bauchgemenge um das Kalb und mich herum. Für einen Moment trat ich beiseite, ließ die beiden Kühe sich um das Kalb gruppieren, eine dritte war noch hinzugekommen, alle waren jetzt ein bisschen aufgeregt. Nachdem weitere Kühe das Kalb ausführlich beschnuppert hatten, ging ich wieder in das Knäuel hinein, scheuchte mit Stock und kräftigen Klapsen die Kühe aus dem Weg – und auf den Weg nach Hause. Dann zog und schob ich das stolpernde Kalb hinter den Kühen her, ich auf der einen, Julchen auf der anderen Seite des Kalbes. Manchmal drehte sich eine der anderen Kühe zu uns um und muhte – vorwurfsvoll, wehmütig, lockend, ich weiß es nicht. Jedenfalls aber gingen wir immer weiter dem Hof entgegen, auch wenn sich auf dem langen Gang die eine oder andere aufgeregte Kuh noch einmal umdrehte, zurückkam und uns noch ein- oder zweimal umkreiste.

So kamen wir auf dem Hof an genau in dem Moment, in dem auch das Auto der Eltern vorfuhr. Sie freuten sich, als ich ihnen verkünden konnte, dass das Neue ein Kuhkalb war. Denn in jeder Milchherde, die man aus der eigenen Nachzucht regenerieren will, war das weibliche natürlich das beliebtere Geschlecht, vor allem von einer guten Milchgeberin, und das war Julchen.

Das Kalb wurde Jette genannt, es musste einen Namen mit dem Anfangsbuchstaben seiner Mutter haben. Julchen war die Tochter von Jolanthe gewesen, und Jettes Tochter sollte später Janne heißen. So war die Reihe – Jolanthe, Julchen, Jette und Janne – und ging nach meiner Zeit auf dem Hof noch eine Weile weiter.  

Es gab auf unserem Hof die Urkühe mit ihren Urnamen, Jolanthe gehörte dazu. War auch Goliathe schon dabei? Sie war eine sehr große Kuh, wie sich denken lässt. Von ihr stammten Gerda, Gesa, Gitte und Gisela, alle waren sehr helle Kühe – und alle gehörten sie meiner Schwester. Wir Kinder teilten nämlich die gesamte Herde unter uns auf und erklärten fiktive Eigentümerschaften. Was die eigentlich bedeuteten, weiß ich nicht mehr. Vielleicht bekam die fiktive Besitzerin dann die eine Mark sogenanntes Schwanzgeld, wenn ein Bullenkalb – das übrigens ohne Namen blieb – verkauft wurde und nach einer oder zwei Wochen den Hof verließ. Oder wir durften jeweils den Namen des neugeborenen Kuhkalbes bestimmen. Jedenfalls war es eine zusätzliche Einübung in die besondere Beziehung zu den Tieren des Hofes. Meine Abstammungslinie waren vor allem die Kühe mit dem Anfangsbuchstaben B. Die Urkuh hieß Beate, ihr folgten Bella, Bianca und Biene. Bei manchen Kühen fällt mir nur noch ein einzelner Tochternamen ein. Es gab Hanna und Henny, es gab Maxi, die Zwillinge bekam, Mia und Ria. Wie hießen die Töchter von Linda und Wilma, wie die von Dora, Thea und Queke? Ich weiß es nicht mehr. Aber es waren diese Kühe, die die Herde ausmachten. Und ich erinnere mich an einige ihrer Geschichten. Da war z. B. Julchen, die einmal ein Stück Stacheldraht geschluckt hatte, das ihr vom Tierarzt herausoperiert wurde. Die Narbe am Bauch, an deren Wulst das Fell immer einen kleinen Kamm aufstellte, wurde von uns ihr Reißverschluss genannt. Die arme Linda, eine ewig magere, knochige Kuh, hatte sich einen bösen Bluterguss am Hintern zugezogen, eine Beule, die mächtig anschwoll. Wir tippten darauf, dass sie von einer ranghöheren Kuh irgendwo gegengestoßen worden war. Jedenfalls musste auch hier der Tierarzt zurate gezogen werden. Er öffnete die Beule, ließ den Eiter abfließen und drückte mir eine Gerätschaft in die Hand, die aussah wie ein Messbecher mit Schlauch und Einlaufstab. In den Becher kam warmes Wasser, in das ich ein Pulver rührte, dann spülte ich wochenlang die große Wunde mit dem Stab aus, eine stinkende Angelegenheit.

Wir alle wussten von der besonderen Freundschaft zwischen Bella und Julchen. Sie waren beide eher kleine Kühe, ziemlich rund, die eine hell, die andere dunkel, und es war immer ein Drama, wenn eine von ihnen trockengestellt und aus der Herde der melkenden Kühe für sechs Wochen herausgenommen wurde. Falls die täglich zum Melken getriebene Herde an der Weide mit den trockenstehenden Kühen vorbeikam, lief die eine von jenseits zum Zaun und die andere blieb diesseits so lange ihr gegenüber stehen, bis sie weitergetrieben wurde. Großes Muhen hin und her. Und große Freude herrschte, wenn sie wieder in einer Herde vereint waren, sie gingen dann erst recht nebeneinander her, und die eine legte sich in die Nähe der anderen. Übrigens kann jeder alte Bauer und jede alte Bäuerin Geschichten über Tierfreundschaften erzählen, auch über die Arten hinweg. Manchmal waren Hund und Katze oder auch Hund und Pferd die Protagonisten, und durch Bella und Julchen weiß ich, dass diese Erzählungen vollkommen glaubwürdig sind – auch wenn sie vielleicht nicht immer stimmen.

An dem Tag, an dem das Kalb geboren wurde, war unser aller Zugehörigkeit bestärkt worden. Die uns aufgeregt umkreisenden Kühe hatten das Kalb in die Herde geholt, Julchens Anfangsbuchstabe seinen Namen bestimmt – und ich hatte sie nach Hause gebracht.



14 Was mit heiligen Kühen geschieht

Kühe sind in Indien heilig und dürfen nicht geschlachtet werden. Wie ist das historisch zustande gekommen – und wie ist die Situation heute?

Auch Hinduismus und Buddhismus werden zu den Denkansätzen der Achsenzeit gerechnet. Im Hinduismus wurde das Rind selbst heilig und zum Sitz der Götter. Die Achsentugend des Mitleids drückt sich hier seit dem Mittelalter im Schlachttabu gegenüber den Rindern beziehungsweise den Zeburindern aus, und dieses Schlachttabu ist bis heute in Kraft.

In der Vorgeschichte des Industals sind, wie in den anderen Zentren der Weltkulturen, auch Rinder domestiziert worden, und zwar in einer Region, die im heutigen Pakistan und Nordwesten des heutigen Indien liegt. Es waren zwei Arten, die dort zum Aufbau einer produktiven Landwirtschaft genutzt wurden, nämlich Büffel und Zebu. Aus dem zweiten Jahrtausend v. d. Z. hat man an Fundorten wie Harrappa, heute Pakistan, eine aus Bronzeguss gefertigte Darstellung eines Ochsengespanns gefunden – zusammen mit Nachweisen einer Handelsbeziehung zu den Sumerern. Als 1.500 Jahre v. d. Z. die Indo-Iraner, ein nomadisches Volk, auch Arier genannt, mit ihren Viehherden dort einwanderten und sesshaft wurden, war die Indus-Kultur bereits untergegangen. Peter Jaeggi schreibt in seinem Buch »Die heilige Kuh. Eine kleine indische Kulturgeschichte«, dass die Indo-Iraner Stiere opferten und Rindfleisch aßen. Der Legende nach ließ ihr König Rantideva sogar täglich 2.000 Kühe opfern, um dadurch Ruhm und einen sicheren Platz im Himmel zu erlangen.

Die Ursprungsgeschichten aller Kulturen sind komplex und widersprüchlich. In Indien verkomplizieren sich die Dinge durch das für Europäer schwer durchschaubare Kastenwesen, das ursprünglich entstand aus ethnischen und anderen Gruppenzugehörigkeiten, innerhalb derer Heiraten erlaubt waren. Kastenzugehörigkeiten hängen auch zusammen mit der Vorstellung spiritueller Reinheit und verschiedener Reinheitsgrade von Nahrungsmitteln, Tätigkeiten und Menschen. Verallgemeinernd kann man wohl sagen, wer körperlich schwer arbeitet, möglicherweise sogar mit organischer Materie und Schmutz aller Art in Berührung kommt, ist im Zweifelsfall Mitglied einer unteren Kaste und erfährt sozial wenig Achtung. Dagegen waren es Mitglieder der höchsten Kaste, der Brahmanen, die im Mittelalter von Schlachtopfern für die Götter zunehmend absahen und die zur Besänftigung der Götter nur noch die heiligen Opferformeln, die Mantras, benutzten. Es existieren widersprüchliche Zeugnisse darüber, wie alt das Gebot der Gewaltlosigkeit ist, das ein Tötungsverbot für Tiere einschließt. Jedenfalls haben Historiker etwa im 7. Jahrhundert v. d. Z. eine zunehmende Ächtung des Schlachtens festgestellt: Fleisch konnte zwar noch straflos gegessen werden, aber man durfte an die Tiere nicht selbst Hand anlegen und bald nicht einmal mehr mit dem Schlachter sprechen. Zunehmend sollten nur noch von Menschen niederer Kasten Tiere geschlachtet werden, am Ende ausschließlich von Andersgläubigen, etwa Angehörigen der indigenen Völker Indiens, den Adivasi, oder auch Christen und Muslimen.
Gleichzeitig wuchs die symbolische und konkrete Bedeutung der Kuh, so scheint es. In heiligen Schriften wird die Kuh 1.500 Jahre v. d. Z. als Mutter, der Bulle als Vater des Menschen bezeichnet, und es gibt auch hier zahlreiche Ursprungsmythen mit der Kuh als Mutter des Universums, als Lebensgeberin, Mutter aller Wesen. So werden die Kühe Indiens von gläubigen Hindus verehrt, weil sie den Göttern und Göttinnen als Wohnung dienen. Es gibt unterschiedliche Auffassungen davon, welcher Gott und welche Göttin ihre Wohnstätte in der Kuh haben, manche Texte, so Peter Jaeggi, sprechen von 33 Millionen, andere von 280 Millionen Göttern. Eine dieser Göttinnen soll jedenfalls Lakshmi sein, die Göttin des Glücks, des Wohlstands und der Schönheit. Deshalb wird eine Kuh von einem gläubigen Hindu gerne mit der Hand berührt, die er dann zur Stirn führt.

Wer sich in Museen indischer Kunst umsieht, entdeckt viele illuminierte Manuskripte, Bilder und Skulpturen aus Mittelalter und Neuzeit mit dem Motiv der weißen Zebukuh und ihres Kalbes. Diese oft anrührend schönen Kuh-Darstellungen stammen in der Regel aus Illustrationen der Krishna-Erzählung. Man begegnet Krishna, einem dunkelhäutigen, bis heute überaus beliebten indischen Gott, in der heiligen Schrift des Hinduismus, der Bhagavata. Der Legende nach wuchs er unter Kühen auf, hatte Tausende Liebesabenteuer mit Kuhhirtinnen, war selbst Kuhhirt und spielte Flöte. Daneben gibt es viele Standbilder des Nandi, des Stiers, auf dem der Gott Shiva reitet und der als Wächter am Eingang seiner Tempel liegt. Der Stier hat es in einigen dieser Erzählungen selbst zum Gott gebracht, nämlich zum Schutzgott aller Vierbeiner – und der vier Ecken der Welt! –, und seine Mutter ist die Urkuh Surabhi.

Wie steht es heute um die heiligen Kühe im Land des Hinduismus?

Indien hat, so lese ich, knapp 1,4 Milliarden Einwohner, von ihnen sind gut achtzig Prozent Hindus, etwa 13 Prozent Muslime und 1,5 Prozent Christen; hinzu kommen je ein paar wenige Prozente Buddhisten, Sikhs und andere.

Indien ist der größte Milchproduzent weltweit, 105 Millionen Liter Milch werden hier jährlich produziert, mehr als die Hälfte der Milch stammt von Büffelkühen, die nicht als heilig gelten, aber auch die Zebukühe werden gemolken. Die Haltung von Zebu- und Büffelochsen als Gespanntiere ist im Land weit verbreitet, man gebraucht sie sowohl zum Pflügen als auch als Last- und Zugtiere. Siebzig Prozent der indischen Agrarflächen sind kleiner als zwei Hektar, die meisten Bauern sind sehr arm und nutzen deshalb Rinder zum Pflügen und für Bewässerungs- und Transportarbeiten. Ihr Mist wird sowohl zur Düngung der Böden als auch als Baumaterial benutzt – und als Medizin.

»Die Kuh ist ein mobiles Spital«, schrieb ein früher Autor der dreitausendjährigen ayurvedischen Lehre. In der ayurvedischen Medizin werden sowohl Milch als auch Urin und Mist der Kuh in Medikamente eingearbeitet, außerdem in Zahnreinigungspulver, Massageöl und Räucherstäbchen; mit Wasser verdünnter Mist wird als Reinigungsmittel für Fußböden genutzt, weil man ihm eine antiseptische Wirkung zuschreibt. Es gibt zeremonielle Räucherungen, die aus einer Mischung jener fünf »Geschenke der Kuh« bestehen, Milch, ausgelassene Butter namens Ghee, Joghurt, Dung und Urin. Der Rauch reinigt, so die Vorstellung, die Luft und sogar »das Wasser in den Wolken«.

Reinigung und Reinheit sind ein großes Thema im Hinduismus, sie werden materiell und spirituell verstanden – und nicht selten hochprofessionell vermarktet. Es gibt nicht nur ayurvedische Kliniken, sondern auch gut ausgestattete »ayurvedische Kuhställe«, die in eine höchst profitable Verarbeitung von Kuhprodukten für ayurvedische Mittel eingestiegen sind.

Aber die überwältigende Mehrheit der Kuhhalter Indiens sind arme Leute, und Tierschutz für Rinder existiert in Indien nicht. Das Vieh lebt in engen Innenhöfen, angebunden an kurzen Stricken mit wenig Bewegungsfreiheit, und wird dort gemolken. Die Zugtiere werden bei der Arbeit oft geschlagen. Jene heiligen Kühe, die überall im Land und in den Städten auf den Straßen frei umherspazieren, sind von ihren Besitzern freigelassen worden, weil sie krank und unfruchtbar sind und keine Milch mehr geben. Sie ernähren sich von Abfall, nicht selten verenden sie am Plastikmüll, der kiloweise in ihren Mägen gefunden wird.

Muslimische Viehhändler gehen durch die Dörfer und auch gläubige Hindus verkaufen trotz schlechten Gewissens ihre alten Kühe. Die Armut zwingt sie dazu. Natürlich werden diese Kühe geschlachtet und es gibt Tausende Schlachthöfe in Indien, meist von Muslimen geführt. Das traurigste Kapitel in der Gegenwart der Kuhverehrung ist ihre politische Instrumentalisierung durch rechts-nationalistische Hindu-Organisationen. Schon im Unabhängigkeitskampf Indiens wurde die Kuhverehrung von nationalistischen Kreisen stark propagiert und als Element im antikolonialen Widerstand benutzt. Seit Hindu-Nationalisten das Land regieren, wird die Verehrung der Kühe zunehmend für antimuslimische Hetze benutzt – auf die muslimische Organisationen vermehrt mit Bombenanschlägen reagierten. Regelmäßig werden seither irgendwo in diesem riesigen Land Kampagnen angezettelt zum Verbot der Kuhschlachtung. Demonstrationen von Tausenden aufgehetzter Teilnehmer werden durch die Straßen geführt, Moscheen angegriffen und Befreiungsaktionen in Schlachthöfen inszeniert. Anschließend übergibt man die ›geretteten‹ Tiere in politischem Triumph an Tierasyle, sogenannte Goshalas. In diesen Asylen, in die oft auch verletzte, von Autos und Mopeds angefahrene oder von hungrigen Hunden angefallene Straßenkühe gebracht werden, wird die Arbeit mit den Kühen als religiöser Dienst verstanden, sie werden gefüttert, getränkt und gestriegelt. Tote Kühe werden am Ende mit religiösen Riten begraben, nicht selten aber auch nur außerhalb der Dörfer abgelegt. Um sie kümmern sich traditionell die Geier. Einige wenige Goshalas werden durch sogenannte Kuhpatenschaften in Europa auskömmlich finanziert, ein Akt gönnerhaften Tierschutzes, scheint mir, der im schlimmsten Fall der hinduistischen Rechten und ihren antimuslimischen und zunehmend auch militant antichristlichen Kampagnen in die Hände spielt.

Die meisten Asyle aber können ihre Rinder nur schlecht versorgen. Es fehlt den Tieren – wie einem großen Teil der Menschen in Indien auch – vor allem an sauberem Wasser. So werden Mensch und Tier von Parasiten und Giften gequält, die aus verunreinigtem Wasser stammen.

Trotz allem ist der Rindfleischverzehr in Indien überraschend weit verbreitet, heißt es, besonders bei den immerhin fast 104 Millionen Adivasi. In Südindien findet man Rindfleisch auf den Speisekarten teurer Restaurants, und selbst die Hindu-Mittel- und -Oberschicht isst zunehmend Rindfleisch, wenn auch keiner der gut verdienenden Businessmänner seiner Frau zumuten würde, Rindfleisch im eigenen Haus zuzubereiten.

Erinnern wir uns: Auch die alten Erd- und Feuergötter der frühen Entstehungsmythen verlangten Fleisch als Speisung. Selbst der jüdisch-christliche Gott zog noch den Hirten Abel vor, der ihm Lammfleisch opferte, während er dem Ackerbauern Kain und seinen Pflanzenopfern nicht gnädig war. Eine fatale Entscheidung, die in der Bibel den ersten Brudermord motivierte.

Uta Ruge