Vorgeblättert

Leseprobe zu Raul Argemi: Und der Engel spielt dein Lied. Teil 2

28.06.2010.
2

"Was für ein Stil, Polaco, gleich die Sechs wie von Zauberhand!"
Und der Polaco machte eine Geste bescheidenen Stolzes, als wollte er damit sagen, dass er mit Karten oder Spielsteinen noch immer besser schummeln konnte als jeder andere.
El Negro eröffnete mit der Doppelsechs, und der Polaco sagte: "Bring mir das Übliche, Wodka mit Zitrone und einem Schuss Soda."
"Ich nehm ein Bier, für etwas anderes ist es zu früh, bei der Hitze. Schön kalt soll es sein."
Serio ging die Getränke holen.
"Buenos Aires im Januar ist unerträglich. Wenigstens gibt es weniger Insekten und Mücken als im Norden. Manche halten das nicht aus, aber mir hats gefallen, ich muss ein halber Affe sein. Dir, Kleiner, ist es nicht schlecht ergangen ?"
"Ich habe, ehrlich gesagt, geglaubt, dass ich vor Hitze sterben werde. Und diese Feuchtigkeit, die ei-nen kaum atmen lässt! Ich habe den lieben langen Tag Eiswürfel gelutscht. Die Leute dort sind daran gewöhnt, aber sie sind ganz schön schießwütig ?"
"Ja, es gibt eine Menge Polen im Dreiländereck. Wodka, weil es kalt ist, Wodka, weil es heiß ist ? Polen auf dieser Seite und Deutsche auf der anderen ?"
"Sie wissen doch, dass wir die Ware problemlos hinübergeschafft haben. Ich war ziemlich orientierungslos, weil ich noch nie im Urwald gewesen bin, aber die Leute dort kennen die Gegend wie ihre Westentasche. Wir haben weiter unten am Fluss einen Übergang gefunden. Weiter oben sind ihnen kurz vorher noch die Kugeln um die Ohren geflogen. Ein paar brasilianische Polizisten, die mehr Schmiergeld wollten ?"
"Immer das gleiche Spiel. Die Leute sind gierig, zu gierig, und sie haben keinen Respekt. Überlass sie mir. Ich spreche mit ein paar Freunden, und sie werden sich vom Acker machen."
Als Serio die Getränke brachte, entstand eine kurze Stille, und nachdem er gegangen war, schob der Polaco einen Zettel mit ein paar Zeilen über den Tisch. "Sagt dir das was?"
"Ja", sagte El Negro. "Das ist ein Übergang nach Chile, dort in meiner Heimat im Süden. Aber wer der Mann ist, weiß ich nicht, der Name ist mir kein Begriff."
"Besser so ?" Der Polaco nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Glas und schnalzte genüsslich mit der Zunge. "Besser, wenn man ihn nicht kennt", sagte er, "der wird uns nämlich die Grenze öffnen; auch von der chilenischen Seite."
"Und was bringen wir hinüber, wenn man das erfahren darf?"
Er hielt einen Moment inne, als suchte er nach Worten. "Ich muss dich um einen Gefallen bitten. Und ich werde dir nicht die Schuld geben, wenn die Sache schiefläuft."
"Du willst mir wohl Angst machen, Polaco", scherzte El Negro selbstgewiss.
"Ich muss dir nicht erzählen, dass die Zeiten hart sind. Wenn die Polizei sich das Geschäft nicht unter den Nagel reißt, übergibt sie dich gefesselt und geknebelt den Militärs, um sich mit ihnen gutzustellen. Eine echte Schweinerei ist das. Also muss man irgendeine Vereinbarung treffen. Als ob wir Politiker wären. Aber das ist ein Geschäft der Militärs. Wir machen nur den Laufburschen, kapiert?"
"Mehr oder weniger ?"
"Du musst öfter Zeitung lesen, Kleiner, und Augen und Ohren aufsperren. Die Guerilla ist erledigt, aber den Militärs schmeckt der Kuchen, und sie geben keinem ein Stück davon ab. Sie kontrollieren die Banken, die Entführungen, den Schmuggel gestohlener Fahrzeuge ? und jetzt haben sie ihre Finger auch noch im Drogengeschäft."
"Scheiße! Schaffen wir etwa für das Militär Drogen über die Grenze?"
Der Polaco zuckte die Schultern, als handelte es sich um eine unabänderliche Tatsache. "Das ist ein multinationaler Laden, Negro. Einen Fuß haben sie hier drin, einen in Chile, einen weiteren in Bolivien und einen in Paraguay ? Sie sind überall."
"Und wozu brauchen sie dann noch uns?"
"Wozu wohl? Weil sie sich gegenseitig beklauen. Wozu sonst! Das sind Banditen", sagte der Polaco, und sie lachten, bis ihnen die Tränen kamen.
"Hör dir diesen Schwachsinn an! Banditen sollen das sein!"
Als sie sich wieder gefangen hatten, zeigte der Polaco mit ausgestrecktem Finger auf den Zettel. "Dieser Typ ist Kommandeur an der Grenze, doch aus einem mir nicht bekannten Grund haben wir nur einen Tag, um die Ware hinüberzuschaffen. An dem Tag werden die Chilenen in die andere Richtung schauen, verstehst du?"
"Mit Lastwagen?"
"Nein, vier Autos, die Warnes präpariert hat. Sie stehen schon beladen am Schrottplatz. In den Türen und am Unterboden sind gute Verstecke, versiegelt, damit die Hunde den Stoff nicht riechen. Das Problem ist nämlich nicht die Grenze, sondern es bis in diese verschlafene Region zu schaffen, ohne von einer Kontrolle der Verkehrsbullerei geschnappt zu werden. Dafür brauche ich dich. Damit du die Fahrt organisierst."
"Nicht einfach."
"Ich weiß. Glaub nicht, dass mir das gefällt. Aber ich konnte nicht Nein sagen, das wäre uns schlecht bekommen."
"Wenn wir alle vier am gleichen Tag rüberbringen wollen, müssen sie als Konvoi fahren und auf einer viel befahrenen Strecke, um nicht aufzufallen."
"Das habe ich mir auch überlegt. Wir mussten schon einmal so etwas machen. Damals haben wir ein paar Kontrollpunkte eingerichtet, die sie nacheinander ansteuern mussten. Dort haben wir ihnen die Richtung und den nächsten Kontrollpunkt genannt."
"Das ist eine gute Idee. Wenn irgendeiner unterwegs geschnappt wird, kann er nicht ausplaudern, wohin die anderen fahren."
"Genau. Gefällt mir, dass du schnell von Begriff bist. Irgendeine Idee, welche Strecke sie nehmen sollen?"
"Es müsste die Nacional 3 sein, die dann auf die 22 trifft ? weiter durch Neuquen, und bei Zapala oben müssten sie abfahren, glaube ich. Wir vereinbaren einen Kontrollpunkt, wo man den Colorado überqueren muss, einen bei Choele Choel und einen zur Sicherheit bei Cipolletti, bevor sie nach Neuquen hineinfahren."
"Einverstanden", sagte der Polaco, streckte eine Hand aus und legte sie auf den Zettel. Als er sie wieder hob, lag an der Stelle ein anderer mit einer Telefonnummer. "Wenn es bei Cipolletti Probleme gibt, rufst du hier an und sagst, dass der Lastwagen liegen geblieben ist und man dich abholen soll. Und du sagst, wo du bist. Wir können nicht alles auf eine Karte setzen. Die Verstärkung wird sich dann um die Sache kümmern. Und wenn wir an dem Tag nicht nach Chile rüberkönnen, Pech gehabt. Wir finden schon eine Lösung."
"Ich brauche einen schnellen Wagen."
"Das regelst du mit Warnes."
"Und die besten Fahrer. Auch Papiere für die Autos ?"
"Papiere für die Autos sind vorhanden, keine Sorge. Die Fahrer besorgt dir der Turco, aber sei nicht zu anspruchsvoll, du weißt doch, dass diese Typen nie zur ersten Garde gehören. Die machen das für ein paar Kröten."
"Es genügt mir, wenn sie als Besitzer der Wagen glaubhaft sind und nicht wie Diebe aussehen", sagte El Negro und lachte über seinen eigenen Witz. "Geht das in Ordnung, wenn ich Sapo bitte, dass er mir zur Hand geht?"
"Frag ihn ruhig. Ich habe nichts dagegen."

 
III

"Bestell irgendetwas", forderte er ihn auf, als sein Mann lautlos wie ein Schatten durch die Tür glitt.
Serio war noch immer derselbe. Vielleicht ein wenig dünner und vertrockneter. Doch er hatte noch immer diesen Blick. Als würde er einem zwischen die Augen zielen.
"Mineralwasser, ohne Kohlensäure", sagte ich und berührte meinen Bauch am Mageneingang.
Der Polaco nickte ein paarmal, als würde er aus meiner Entscheidung gegen etwas Alkoholisches sonst etwas herauslesen. Sollte er doch denken, was er wollte.
Die Wahrheit, über die ich nicht weiter nachdenken wollte, war, dass der Zwischenfall im Süden eine Warnung war, dass mir der Wind ins Gesicht blies. Ein Fingerzeig, dass mir derzeit nichts anderes übrig blieb, als den Seiltänzer ohne Netz zu geben.
Ich musste verdammt auf der Hut sein. Im Süden hatte es zu viele Tote gegeben, und zwar für jedermanns Geschmack. So etwas blieb nicht folgenlos.
Außerdem stumpft der Schatten der Gitterstäbe viele Reflexe ab, verfeinert jedoch den Geruchssinn eines Verfolgten. Und irgendetwas roch faul, seit ich wieder in Buenos Aires war. Als wäre ich in Ungnade gefallen.
"Wir hatten noch keine Gelegenheit zu reden, seit du wieder draußen bist ?", sagte der Polaco, und in den blauen Gläsern seiner Brille spiegelten sich verzerrt die Punkte der Spielsteine. "Wir hätten reden müssen. Was bedeutet schon eine Frau für die Freundschaft zweier Männer? Nichts. Wir hätten uns dieses Problem erspart ?"
Warum nur erwähnte er die Paraguaya? Kam er mir etwa mit Sentimentalitäten?
Serio stellte die Getränke und ein Tellerchen mit salzigen Nüssen auf den Tisch und blieb dann in der Tür stehen.
Ich spürte, wie mich ein kalter Schauer überlief. Es hatte mir noch nie gefallen, Leute im Rücken zu haben, und schon gar nicht Serio.

Teil 3
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