Vorgeblättert

Leseprobe zu Paul Leautaud: Kriegstagebuch 1939-1945. Teil 3

17.02.2011.
1943

Freitag, 31. Dezember. - Vorhin Besuch meines Bruders Maurice, der mir grauenvolle Dinge über die anglo-amerikanischen Bombenangriffe auf Deutschland erzählt (gestützt auf die Erlebnisse eines Angestellten seiner Firma bei dessen Reise zu ihrer Filiale in Berlin und in Hamburg), Bombenangriffe mit Phosphorbomben, die eine bestimmte Vorrichtung in ihrem Fall allmählich entzündet und die, wenn sie den Boden berühren, Feuersbrünste entfachen, die durch nichts gelöscht werden können, die sich im Gegenteil rasch ausbreiten.
In ganz Berlin, sagt er, zerbröckeln die Gehsteige unter den Füßen, alle Deutsche, denen man dort begegnet, ob Jung, Alt, Männer, Frauen, Kinder, haben so etwas wie einen starren, verstörten, entsetzten Blick. Was Hamburg angeht, soll es 240 000 Tote gegeben haben. Am Meer entlang verläuft eine mehrere (ich glaube, 12 oder 14) Kilometer lange breite Straße oder ein Kai mit Gehsteigen. Jeder Gehsteig voll aufeinandergehäufter Leichen. Die vom Gehsteig zum Meer hin sind ins Wasser geworfen, die vom Gehsteig gegenüber verbrannt worden, was sich nicht an einem Tage machen ließ, so dass ein Teil mehrere Tage lang liegen geblieben ist. Er erinnert mich daran, wie die drei Versuche der Deutschen, in England zu landen (zu Beginn des Krieges), ausgegangen sind, ihre erheblichen Verluste an Menschen, das grauenhafte Schicksal dieser Unglücklichen. Die Engländer hatten im Ärmelkanal (unter Wasser) ein Stacheldrahtsystem angebracht, in dem die deutschen Schiffe sich verfingen und aus dem sie sich nicht freimachen konnten. Die Wasseroberfläche war mit Naphtha bedeckt. Durch eine andere Vorrichtung steckten die Engländer das in Brand, ohne sich von der englischen Küste wegzurühren. Schiffe, Menschen, alles verbrannte an Ort und Stelle. Mehrere Tage hindurch spülte das Meer jedesmal verkohlte Leichen an die französische Küste. Angesichts solcher Greuel, solcher Schändlichkeiten fehlen einem die Worte.
     Wie Maurice mir weiter erzählt, halten sich an den englischen Küsten, die Frankreich gegenüberliegen, mehrere Millionen Männer (Engländer, Amerikaner) für eine Landung in Frankreich bereit. Desgleichen in Amerika, eine weitere beträchtliche Armee in Bereitschaft. Den Deutschen ist das bekannt.
     Außerdem erzählt er mir, daß die Erschießungen auf dem Mont Valerien anhalten. Auf dem Friedhof von Courbevoie, von Garenne ist eine große Grube, wo diese Toten beerdigt werden.
     Courbevoie ist heute früh stark bombardiert worden, dort befinden sich nicht wenige Rüstungsfabriken, vor allem eine bedeutende, deren Namen ich nicht behalten habe. Als er nach Neuilly ging, um die Metro nach Fontenay zu nehmen, hat er unten in Courbevoie, in der rue de Paris, ein fünfstöckiges Haus gesehen, das von oben nach unten durch eine Bombe buchstäblich zweigeteilt worden war. Bei einem früheren Bombenangriff, sagt er, habe er sich mit knapper Not vor der Feuersbrunst retten können: die beiden Häuser links und rechts neben dem, wo er wohnt, brannten.
     Heute früh machte ich in Fontenay meine Besorgungen, da gab es Luftalarm. In der rue Ledru-Rollin war ein Mann stehengeblieben und zählte die Flugzeuge am Himmel: 45.


1944


Donnerstag, 20. Januar. - Von Marcel Adema erfahren, welche Bestimmungen für den Fall einer Landung der Engländer und Amerikaner jetzt schon für Paris vorgesehen sind: alle Einwohner haben in ihrer Wohnung zu bleiben, absolutes Verkehrsverbot, Spezialgenehmigungen, die nur in Fällen absoluter Notwendigkeit erteilt werden, Einrichtung von Spezialrestaurants oder "Fahrküchen" für die Lebensmittelversorgung. Wie werden wir leben, wenn die Landung erfolgt und wenn die jetzt schon schriftlich festgelegten Bestimmungen in Kraft treten ? Wie soll ich meine Tiere ernähren ? Was ist dieser Krieg doch für ein ungeheures Ereignis mit seinen Entwicklungen und unvorhergesehenen Situationen.

Freitag, 21. Januar. - Die angenehmen Aussichten bestätigen sich. Als ich heute früh an der gare du Luxembourg auf Charles Leger wartete, habe ich auf dem boulevard Saint-Michel, vermutlich in Richtung Porte d?Orleans, mindestens fünfzehn deutsche Panzer vor beifahren sehen. Bei unserem Mittagessen im Restaurant, rue Dauphine, erfahren, daß den Besitzern bereits die Beschlagnahme angekündigt worden ist - mit der Auflage, soundsovielen Menschen täglich eine Mahlzeit zu liefern.
     In den Außenbezirken werden schon Häuser beschlagnahmt, in denen Flüchtlinge untergebracht werden sollen.

Dienstag, 25. Januar. -
Was man sich in Paris so erzählt, ist ungeheuerlich. Das 7. und ein Teil des 6. Arrondissements sollen geräumt, die Ämter beschlagnahmt und darin deutsche Ämter eingerichtet werden. In den Wandelgängen des Odeon meint der Oberministerialsekretär, die augenblicklich laufende Erfassung aller Männer zwischen 20 und 53 Jahren finde deshalb statt, weil man sie im Falle einer Landung der Anglo-Amerikaner in Konzentrationslager stecken wolle. Andere meinen, es sollten dadurch ganz einfach junge Leute gefunden werden, die sich der Zwangsarbeit in Deutschland widersetzt hätten, oder: es sollten neue Arbeiter nach Deutschland geschickt werden. In den Ämtern bereitet man sich darauf vor, dem Personal sein Gehalt zwei Monate im voraus zu zahlen, weil niemand mehr sein Haus verlassen oder sich frei wird bewegen können.
     Ich spreche nicht: von einer geheimen französischen Armee von 150 000 Mann in Bereitschaft (und man kann sich denken, daß die "Besatzer" davon erführen und sie in ihre Schranken verweisen würden), von einem Gespräch Ribbentrop - Stalin über einen Separatfrieden, von einer anglo-amerikanischen Landung im Norden, ganz sicher. Jeder verkündet seine Neuigkeiten mit Selbstgewißheit, mit Überzeugung, so als hätte er sie von der einen oder der anderen kriegführenden Partei.

Donnerstag, 27. Januar. - Ein Mann hat mir im Auftrag der Stadt zum Ausfüllen das Formular gebracht, auf dem ich die Anzahl der Zimmer angeben soll, die ich bewohne. Diese Aussicht, Leute in meinem Haus zu haben, meine Ruhe, meine Einsamkeit zu verlieren, ist für mich so gräßlich, daß ich nicht habe Mittag essen können.
     Ich habe meine Räume (so der Ausdruck auf dem Formular) für Arbeitsräume erklärt, was sie genau sind, was sie immer gewesen sind, und erst recht heute, wo ich nicht mehr beim Mercure angestellt bin. Wenn es tatsächlich dazu kommt, daß ich Flüchtlinge aufnehmen muß, werde ich zu erreichen versuchen, daß man mir keine Kinder schickt. Ich werde auch ein Vorhängeschloß an der Tür zu meiner Küche, an der Tür zu meinem Keller, wo mein Brennholz ist, und an der Tür zu meinem ersten Stockwerk anbringen.

Montag, 31. Januar. -
Heute früh Antwort von Charles Leger wegen meiner Hündin Barbette. Es ist abgemacht, seine Frau ist einverstanden, sie werden sie zu sich nehmen, falls sie bei meinem Tode noch lebt. Und falls sie beide zur gleichen Zeit dahingehen, würde ihre Tocher Christiane, der sie Bescheid geben werden, sie ihrerseits aufnehmen. Also die Barbette zu den Legers, die Meerkatze zur Schwester von Galtier-Boissiere, mein Kater Riquet zu Marie Dormoy. Bleibt die zuletzt Dazugekommene, die junge Katze Minette. Ich werde das Nötige dafür tun, daß sie mit der Barbette geht.

Dienstag, 1. Februar. -
Die jetzige Literatur hat nichts Großes. Sie ist eine kleine Literatur. Die letzten großen französischen Schriftsteller - es geht hier nicht um meinen Geschmack - sind Flaubert, Gourmont und Zola gewesen.
     Wir sind weit vom 17. und 18. Jahrhundert entfernt. Frankreich scheint in allem klein geworden zu sein: die Literatur klein, die Politik klein, die Politiker klein, die Künste klein (Leute wie der Bildhauer Maillol, wie der Maler Matisse, die so hochgelobt werden), klein die Gesellschaft, klein das Volk, klein die Lebensgewohnheiten - die Provinz Europas, wie ich mehr als einmal schon gesagt habe.

Sonntag, 6. Februar. -
Heute früh haben wir dreimal hintereinander Luftalarm gehabt, die zwei ersten Male ernstzunehmenden. Wie ich habe erzählen hören, sind an verschiedenen Stellen Bomben gefallen.

Mittwoch, 16. Februar. -
Als ich heute früh aufstand, war nachts Schnee gefallen. Der ganze Garten dicht bedeckt. Bei dem Wetter in die avenue Malakoff fahren! Ich habe sogleich Paulhan angerufen, daß ich nicht käme, daß er mich bei dieser Frau Florence Gould entschuldigen und G? gegenüber mein Bedauern ausdrücken möge.

Dienstag, 22. Februar. -
Heute früh Brief von Paulhan. Neue Einladung zu Frau Florence Gould für Donnerstag, den 2. März. Falls das Wetter gar zu schlecht sei, werde man mich mit dem Auto abholen. Ich antworte Paulhan, ich könne nicht annehmen, daß man sich meinetwegen derartige Umstände mache; das schlechte Wetter - Glatteis - werde sicherlich überstanden sein, und ich würde mit eigenen Kräften kommen.

Donnerstag, 2. März. - Ein weiteres Mittagessen bei Frau Florence Gould. Neulich habe ich gefehlt. Diesmal hat G? gefehlt. Wie L? sagt, den ich heute wiedergesehen habe, wie immer reizend und voll Ehrerbietung, sind die Bombenangriffe auf Deutschland so schwer, daß der Zugverkehr dadurch stark beeinträchtigt wird. Der Zug, der G? herbringen sollte, hat eine Verspätung von 16 Stunden gehabt, fast einen ganzen Tag, daher sein Fehlen bei diesem Essen. Ein anderes wird organisiert werden, damit wir einander endlich kennenlernen können. Ich befand mich heute in so schlechter geistiger Verfassung, daß ich über diesen Aufschub fast glücklich war.
     Jouhandeau, der neben mir sitzt, erkundigt sich nach meinen Tieren. Ich sage, was der Wahrheit entspricht, meine beiden Katzen hätten seit drei Tagen nicht gefressen, lehnten Teigwaren, zerstoßene Erbsen, Kartoffeln ab. Frau Gould: "Ich mache Ihnen gleich ein Paket." Tatsächlich, beim Abschied, ein wohlverschnürtes Paket. Zu Hause angekommen, es geöffnet: das ganze restliche Roastbeef vom Mittagessen, nahezu ein Pfund, dazu mindestens ein Pfund grüner Kaffee und zwei Päckchen Kommißzigaretten.
     Jean Prevost fragt uns, ob wir von der Hinrichtung Victor Baschs und seiner Frau erfahren hätten, des früheren Präsidenten der Menschenrechtsliga (Ligue des droits de l?homme), er 81, sie 77 Jahre alt. Als ich frage, wer sie erschossen habe: die P. P. F. (die Partei von Doriot, glaube ich). Er fügt hinzu: "Victor Basch hatte Krebs. Mit 81 Jahren erschossen zu werden, wenn man Krebs hat, ist eher ein Glücksfall."
     Paulhan teilt uns mit, Max Jacob sei entlassen worden (er war also verhaftet worden ?), Benjamin Cremieux sei gerade nach Metz verschickt worden. Für Juden, die mit einer Arierin verheiratet sind, gibt es anscheinend Erleichterungen.
     Das Milieu der NRF ist seltsam. Es hat moralisch, physisch und gesellschaftlich etwas Zweideutiges. Leute wie Daumal, Audiberti gelten dort (zumindest bei Paulhan, was aber entscheidend ist, da er die Zeitschrift herausgibt) als höchst interessante Schriftsteller. Wenn ich meinen Eindruck zusammenfassen will, sage ich immer - und habe es auch schon Paulhan gegenüber geäußert, der nie ein Hehl daraus macht, daß er mich gerne unter den Mitarbeitern sähe: "Aber, mein Lieber, inmitten all Ihrer glanzvollen Erscheinungen nähme ich mich doch wie ein Krämer aus."

Freitag, 10. März. - Frau Florence Gould will einen literarischen Salon haben. Außerdem hat sie vor, Luxusausgaben in sehr kleinen Auflagen herauszubringen.

Montag, 13. März. - Der Kater Grison ist gestorben. Der letzte Überlebende aus der Schar von Katzen, dich ich noch zu Beginn des Krieges hatte. Aufgenommen im Jahre 1934, als er ein, vielleicht anderthalb Jahre alt war. Er war also etwa ein Dutzend Jahre alt. Höchstwahrscheinlich Angina pectoris. Noch eine Lücke für den einsamen Mann, der ich bin, noch ein Lebensgefährte, der mir fehlt. Wenigstens habe ich ihn sehr verwöhnt, liebkost und umsorgt. In ihm liebte ich all die letzten, zu denen er gehörte und die ich verloren habe. Ihm und der Katze Minette, die ich vergangenes Jahr aufgenommen habe, den beiden habe ich oft meine Fleischration gegeben, seit alles so knapp geworden ist.
     Die Meerkatze hat ihn den ganzen Tag über in allen Zimmern gesucht.


1945

Sonntag, 4. März. - Für die ganze Soldateska, der man zur Zeit in Paris begegnet, habe ich nur Ekel übrig. Mit allen Kräften hasse ich alles Militärische und Kriegerische, Regiments- oder Vaterlandslieder oder -fanfaren, allen voran die Marseillaise, ein wahres Lied für den Pöbel und für Gemetzel.
     Und der Krieg! Was für ein Stumpfsinn, was für ein Schwindel, was für ein Schmierenstück.

Samstag, 17. März. -
Heute früh im Combat der Tod Drieu La Rochelles. Vom Gas erstickt, nach der Einnahme von Gift, ist er in der Küche einer Wohnung in der rue Saint-Ferdinand 23 aufgefunden worden. Der Unglückliche. Er muß diesen Entschluß gefaßt haben, als ihm ein Haftbefehl vom Untersuchungsrichter angekündigt worden war.
     Dieser Tod hat etwas vom Tode Chamforts: lieber Tod als Gefängnis.

Dienstag, 20. März. -
Man stellt sich den letzten Abend vor, die Einnahme der Mittel, vermutlich Gifte und Schlafmittel zum Neutralisieren jeder Reaktionsregung; dann hat er sich bei geöffnetem Gashahn auf einen Stuhl gesetzt oder sich ganz einfach auf den Boden gestreckt.
     Die Beharrlichkeit des Entschlusses, sich den Tod zu geben.
Vorhin Beisetzung Drieu La Rochelles, um drei Uhr. Die rue Saint-Ferdinand 23 ist ein altes, nur einstöckiges Haus; oben an der Fassade steht PRODUITS ALIMENTAIRES. Als ich ankam, trat ein junger Mann, den ich schon einmal irgendwo getroffen habe, auf mich zu, und von ihm erfuhr ich, daß Drieu erst drei Tage in diesem Haus gewesen war, als er Selbstmord beging. Ich frage ihn, wie alt er geworden sei. Dreiundfünfzig Jahre.
     Ein Zeremonienmeister läßt uns in den Salon ein, in dem viele Leute sind; ich kenne von ihnen nur Gaston Gallimard, seinen Sohn Claude und Parain.
     Insgesamt waren wir an die vierzig Personen, alle ernst, besonnen, gar nichts von dem sonst üblichen Geplapper. Jeder war aus Sympathie, aus Freundschaft, aus Mitleid, aus Hochschätzung gekommen - und einige, darunter ich, vielleicht sogar aus Pflichtgefühl, und dieses Wort besagt hier sehr viel.

Donnerstag, 22. März. - Malakoff-Essen. Tischgäste: der so liebenswerte, so joviale Bankier, Doktor Vernes und seine Frau, Robert de Thomasson und Marcel Jouhandeau.
     Mit Jouhandeau über Drieu La Rochelles Tod und Beisetzung gesprochen. Zunächst hatte Drieu La Rochelle sich bei Malraux versteckt. Jouhandeau weiter: es war Drieu La Rochelle, der Paulhan aus den Händen der Deutschen freibekommen hat. Ohne ihn wäre Paulhan mit Sicherheit hingerichtet worden.

Sonntag, 25. März. - Heute im Combat die Nachricht von der Verhaftung Jacques Bernards, auf Anordnung des Untersuchungsrichters.

Samstag, 30. Juni. - Ich sage es oft: wir kennen General de Gaulle nicht. Er führt so einiges im Schilde. Auf bestimmte Fragen antwortet er, ohne eine Antwort zu geben. Ein Demokrat ist er vielleicht, auch wenn ich dessen nicht so sicher bin, er ist kein Demagoge, weit entfernt, vor allem ist er kein "Revolutionär", wie sie heutzutage Mode sind. Wer auf ihn setzt, wird noch Überraschungen erleben.

Samstag, 7. Juli. - Dieses Tagebuch? ? Es erfordert nicht unbedingt Talent. Es ist die Arbeit eines Protokollanten, eines Registrators von Tatsachen und Aussprüchen, die Arbeit eines Gazettenmachers, eines Novellisten. Gutes Gedächtnis, Beobachtungsgabe, einen geordneten Geist - mehr erfordert es kaum.

Mittwoch, 11. Juli. - Heute früh ein eingeschriebener Brief vom Bureau des Huissiers auditeurs beim Appellationsgerichtshof, in dem ich darauf hingewiesen werde, daß im Gemeindeamt von Fontenay ein für mich bestimmtes Schriftstück hinterlegt worden sei ? Ich gehe zum Gemeindeamt, um das Schriftstück abzuholen - kann mir schon denken, was es ist. Vorladung als Zeuge im Prozeß gegen Jacques Bernard, Montag, den 16. Juli, ein Uhr, in der 10. Strafkammer im Justizpalast. Eine unangenehme Pflicht.

Sonntag, 19. August. - Die Academie française hat den Sitz von Marschall Petain für frei erklärt.

Sonntag, 7. Oktober. - Es fällt auf, wieviel Geld die französische Regierung für Subventionen, Mieten, finanzielle Unterstützungen aller Art und großzügige Spenden zum Fenster hinauswirft, trotz des finanziellen Engpasses und trotz der zahlreichen Geldverluste des Landes. Frankreich macht den Eindruck eines Landes, das kurz vorm Bankrott steht und sich sagt: "Ach was, auf ein bißchen mehr oder weniger kommt es auch nicht an! ?" Inzwischen steigen die Preise für den Lebensunterhalt! Die Steuern werden erhöht! Und neue Steuern kommen auf uns zu.

Dienstag, 9. Oktober. - Von Anfang an denke ich es, habe es gesagt und wiederholt und schreibe es auch: die sogenannte Befreiungsjustiz ist eine Schande für Frankreich.

Montag, 15. Oktober, 7 Uhr abends. - Im Geiste trete ich, da ich mehr nicht tun kann, als Franzose ab.

Donnerstag, 25. Oktober. -
Heute früh fielen mir die Worte von Gaston Paris bei der Kriegserklärung 1870 ein (er hielt eine Vorlesung an einer Schweizer Universität, Fribourg oder Lausanne): Er erhob sich von seinem Stuhl und wandte sich an seine Zuhörer: "Meine Herren, die Wissenschaft steht über diesen Dingen."

Samstag, 17. November. - Frankreich befindet sich zur Zeit nicht nur in einem Zustand der Barbarei, sondern auch in einem Zustand der Dummheit.

Dienstag, 20. November. - Drei Kartoffeln zum Mittagessen, drei Kartoffeln zum Abendessen, das sind meine Mahlzeiten. Teigwaren kann ich einfach nicht mehr essen, sie sind eine Zumutung, zumal, wenn ich sie selber zubereitet habe.
     Ich werde sicherlich keinen Hund wieder aufnehmen. Je weniger Tiere ich in meinem Alter hinterlasse, desto besser. Ich habe nur noch meine Katze Minette, ihren Sohn "le Chinois" und meine Meer katze. Wo ist mein Tierbestand aus der Zeit der Mobilmachung von 1914 geblieben: 38 Katzen, 22 Hunde, 1 Ziege, 1 Gans.

                                                   *

Mit freundlicher Genehmigung des Berenberg Verlages
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