Vorgeblättert

Leseprobe zu Laszlo Vegel: Bekenntnisse eines Zuhälters. Teil 3

07.03.2011.
SAMSTAG
Ich berichtete Pud von meinem Erlebnis. Was für Aufgaben ein Privatsekretär habe, verstand er nicht ganz. Misstrauisch fragte er mich, ob der Ingenieur nicht schwul sei. Ich glaube nicht, sagte ich und erklärte ihm ausführlich, worin meine Arbeit in Zukunft bestand.
Ist nicht wahr, brummte er, nahm den Rasierer und befahl mir zu schwören, dass ich die Wahrheit gesagt hätte. Du fotografierst heimlich die Mädchen, wenn sie sich im Bett des Ingenieurs ausziehen?
Ja. Dann entwickle ich die Bilder, und so schnappen wir uns die Mädchen.
Das ist widerwärtig.
Ich finde nicht, dass es widerwärtig ist.
Du Idiot. Deinesgleichen zu erpressen und zu verkaufen. Leute, zu denen du gehörst.
Die interessieren mich nicht. Ich kriege mindestens dreißigtausend.
Ein ganz mieser Job, sagte Pud, er war wirklich nicht in der Lage, nüchtern zu denken. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren. Als ich wieder erwähnte, dass die Sache mit Olga langsam in Gang komme, beruhigte er sich. Ein hoffnungsloser Egoist, dieser Pud. Aber ich wollte ihn trotzdem nicht auflaufen lassen.
Mein Freund möchte dich gern kennenlernen, sagte ich Olga. Sie war noch bleicher als ein paar Tage zuvor, es war, als habe sie Gift genommen. Fast bereute ich schon mein Vorhaben, weil es doch Pud war, den ich ihr aufhalsen wollte, dann aber dachte ich, egal, sei es drum.
Mir soll’s recht sein, sagte Olga.
Für weitere Erklärungen hatte ich keine Zeit, ich musste ins Hotel Putnik. Der Ingenieur war pünktlich, und wir wurden uns schnell einig. Ich würde dreißigtausend bekommen, er gab mir einen Vorschuss, und ich sollte mit der Arbeit gleich am nächsten Tag anfangen. Ich verabschiedete mich und suchte Tornadosz auf. Meine zukünftige Arbeit gefiel ihm ungemein. Pud sagt, sagte ich, dass ich nun ein Spitzel geworden sei, ein Spitzel derer, die unsere Feinde waren.
Wenn die dir Geld dafür geben, dass sie diese kleinen Nutten in ihre Betten kriegen, warum denn nicht, sagte Tornadosz.
Tornadosz war wirklich ausgesprochen intelligent.


MONTAG
Ich begab mich in mein Versteck, um von dem großen blonden, nervösen Mädchen, das mein Arbeitgeber heute Abend in seine Wohnung gebracht hatte, Fotos zu machen. Mein Gott, der erste Auftrag meines Lebens. Der Wind trug scheußliche Frühlingsblumendüfte ins Zimmer. Auf Gerüche reagiere ich empfindlich, sie machen mich zappelig. Blumen! Das hatte gerade noch gefehlt.
Das Mädchen lächelte verlegen.
Lass uns was trinken, sagte der Ingenieur. Das Mädchen nickte. Musik? Magst du das Ave Maria?
Darüber kamen mir Hem und der Maria-Kult in den Sinn. Hem und ich hatten am Donauufer gestanden, und er erzählte, er habe große Scheu vor Mädchen, er bringe es nicht über sich, sie zu berühren, weil sie doch Engel seien. Wenn er es könnte, würde er über jedes Mädchen, das er kannte, ein Gedicht schreiben. Wenn sie Engel wären, hatte ich zu ihm gesagt, würden sie sich, wenn wir sie mit unseren Händen berühren, vor ihren Kleidern ekeln, sie würden sie vielleicht ins Feuer werfen. Und sich in ihre Zimmer einschließen und nackt herumgehen. Doch Hem blieb dabei. Es stimmte zwar, dass ich Tanja immer mal teure internationale Modeblätter aus der Hauptstadt mitbrachte, weil ich dachte, Hem könnte irgendwie recht haben. Doch Engel gab es für mich nur in den Modeblättern und nicht im wirklichen Leben. Hem war manchmal leichtgläubig, das war sein Problem.
Die Blonde zog sich aus. Ich stellte die Linse ein. Auf dem Foto würde sie schon ein richtiges Engelsgesicht haben.
Nicht, nicht, flüsterte das große blonde, nervöse Mädchen. Ich will mich nicht nackt ausziehen. Nur den Slip.
Plötzlich begann ich zu schwitzen, ich litt fürchterlich. Das banale schnellere Atmen des Ingenieurs konnte ich trotzdem deutlich hören. Er war sichtlich bemüht, den starken Mann herauszukehren. Ich liebe dich, ich liebe dich, wiederholte er. Das Mädchen starrte zur Zimmerdecke. Sicher?, fragte sie. Sicher, sagte der Mann. Gekonnt zog er sie aus, nur mit ihrer Unterwäsche bekam er Probleme. Dann machte sie die Beine breit, starrte aber immer noch zur Decke. Sie hatte große, tote Kuhaugen. Nicht einmal ihre Wimpern bewegten sich, als der Ingenieur in sie eindrang.
Es sind ihre Augen, die ich im Bild festhalten müsse, dachte ich und richtete die Linse behutsam auf sie. Tatsächlich waren es Augen wie die einer toten Kuh.
Sie gab kurze Schreie von sich. Schön, schön, wiederholte sie mit matter Stimme, so mag ich es. Sie spreizte ihre Zehen. Ich drückte den Auslöser, während sich ihre Muskeln in den Beinen spannten.
Der Körper des Ingenieurs lag jetzt ruhig da. War’s schön?, fragte er das Mädchen und streichelte ihr einmal über die Haare. Ja, sagte sie.
Dann schwieg sie. Auch der Mann schwieg. Es war so still, als wäre irgendwo eine dünne Ader geplatzt. Nun - ich habe den Menschen gesehen. Er spannt seine Muskeln, seine Augen sind an die Zimmerdecke gerichtet, er ist glücklich, zufrieden und er schweigt. So muss es schon immer gewesen sein, nur konnten wir es nicht beweisen. Ein Bild hält aber alles fest für immer. Das ist der Beweis, und er ist wichtig, sonst würde man uns unterstellen, dass wir verrückt seien. Ihr sollt Beweise sammeln und den dritten Weltkrieg beginnen, oder aber geht ins Bett und sucht dort nach Beweisen. Und so weiter.
Plötzlich lachte das Mädchen auf. Ich habe schreckliche Gewissensbisse, sagte sie.
Es hat so sein müssen, sagte er.
Ich beschmutze mich, sagte sie und schüttelte den Kopf.
Frauen beschmutzen sich, sagte er.
Das meine ich nicht, sagte sie nervös. Ich finde es sogar sehr angenehm, verstehst du nicht?
Der Mann zündete sich eine Zigarette an.
Blut macht mir keine Angst. Als ich sagte, dass ich es genau so mag, da habe ich gelogen.
Der Mann lächelte. Er legte noch einmal das Ave Maria auf. Ich wusste, dass du lügst, sagte er. Ich habe auch gelogen. Na und? Was zum Teufel hätte ich denn anderes tun sollen? Jeder lügt. Jeder, ohne Ausnahme. Man gibt es bloß nicht zu. Weil es ungeschickt wäre. Ich hab jetzt nicht die Zeit, dir das zu erklären. Du wirst schon noch lernen, was ungeschickt ist und was nicht.
Das Mädchen setzte sich im Bett auf, sie wirkte jetzt frech und aufmüpfig, schlug die Beine übereinander. Ihre Schenkel waren genauso muskulös wie die der Kellnerin, die neulich vom Chefredakteur einer Zeitung abgeschleppt worden war. Sie hatte, während sie den Wodka auf den Tisch stellte, ihren Rock hochgehoben, dass man sogar ihren Slip sehen konnte. Der Chefredakteur blinzelte und gab ihr ein ordentliches Trinkgeld. Nach Feierabend folgte sie ihm wie ein kleiner Hund. Mein Vater liest gelegentlich die Artikel des Chefredakteurs und wundert sich jedes Mal, warum er so viel lügt. Wäre er kein Lügner, würde auch die Kellnerin ihren Rock nicht bis zum Slip hochziehen, und fertig.
Aber wenn doch …, das Mädchen fuhr sich nachdenklich mit der Hand über den Schenkel. Plötzlich verstummte sie. Sie drückte ihr Gesicht in das Kissen, liebkoste ihren eigenen Körper. Und wenn doch.
Wenn was?
Wenn es doch die Wahrheit gewesen wäre?
Der Mann trat ans Fenster. Was weiß ich. Woher soll ich das wissen? Kann schon sein. Das wird sich noch herausstellen. Wir könnten es darauf ankommen lassen. Wir können es ja versuchen. Viele versuchen es. Aber geh du einstweilen ins Badezimmer, Ofelia. Nach seinem letzten Satz lachte er laut auf, als hätte er einen guten Witz erzählt.
Die junge Frau erhob sich. Jetzt erst sah ich, wie schön sie war. Schlank und schön. Sie hielt ihren Busen mit den Händen bedeckt und sah aus wie eine Statue. Ich griff nach dem Fotoapparat. Doch dann überlegte ich es mir anders. Das wäre schon ziemlich unverschämt gewesen.
Ich legte den Apparat weg und flüchtete hinaus an die frische Luft. Ich wünschte mir, Tanja zu treffen. Wo könnte ich sie jetzt finden? Viele Menschen waren unterwegs. Es tat mir gut, in die Nacht einzutauchen, zu verschwinden. Die dunkle Nacht, würde ein Klugscheißer sagen. Eine Zeitlang streifte ich durch die engen Seitenstraßen, erspähte Liebespaare aus dem Augenwinkel. In den belebten Straßen würden sie nicht so ohne weiteres herumknutschen. Aber hier in diesen schmalen Gassen wisperten sie, flüsterten, ächzten, gurrten. Ich kann gar nicht sagen, wie idiotisch ich mich dabei fühlte. Da kam mir eine gute Idee, ich dachte, ich könnte Csicsi besuchen. Wir könnten die ganze Nacht reden. Vielleicht. Ich durchstöberte die Cafes, die Gartenlokale, aber ich fand sie nirgends. Dann stand ich vor ihrer Wohnungstür, aber auch zu Hause war sie nicht. Ich setzte mich auf die Treppe und wartete. Ein Typ begleitete ein Mädchen nach Hause, sie blieben an der Ecke stehen, direkt vor meiner Nase. Magst du mit heraufkommen, hörte ich sie sagen, mein Alter ist auf einer Besprechung, seine Partei ist ständig auf Achse, du verstehst, und hinterher fährt er noch zu seinem Chef in die Vojvodina, um ihm in den Arsch zu kriechen. Vor eins kommt er nicht nach Hause. Und deine Mutter? Sie schläft wie ein Stein. Finde ich gut, dass dein Vater ein Parteifritze ist und sich für die Zukunft abrackert, sagte er. Zukunft? Gute Idee, sagte sie, lass uns gehen. Sie schmiegte sich eng an den Mann. Sie schafften es kaum die Treppe hinauf.
Bald darauf kam Csicsi, sie schritt daher wie ein kleines Mädchen. Ja.
Da bin ich, sagte sie und setzte sich neben mich auf die Treppe. Sie steckte sich eine Zigarette an.
Hast du getrunken?
Ja. Mein Typ hat mich zum Abendessen nach Cortanovci eingeladen. Und ich höre, sagte sie lachend, dass wir jetzt in derselben Branche sind. Mehr oder weniger, stimmt’s?
Ich nickte.
Jetzt hast du’s auch geschafft, bist voll dabei.
Ich sagte, sie solle den Mund halten. Ich nähme die Sache ernst. Immerhin gehe es um ein gutes Geschäft. Doch sogleich bereute ich den schroffen Ton.
Wir sind noch Kinder, nicht, Csicsi? Stimmt doch, oder? Unsere Väter leben noch und sie bewundern uns. Sie überschütten uns mit Lob. Ich hab in der Zeitung gelesen, dass wir ein kleiner Haufen Lügen und ein großer Haufen Wahrheit seien. Das hat einer geschrieben, der als besonders ehrlich gilt. Und im Übrigen habe alles keinen Sinn, schrieb er noch.
Ich will nur sauber bleiben, was anderes ist mir nicht wichtig, sagte Csicsi zögernd.
Bei diesem Wort lief es mir kalt den Rücken hinunter, sauber sein wollen, was für eine Banalität! Vom bloßen Gedanken daran kriegt man Schüttelfrost.
Frierst du?
Nein.
Doch, du frierst.
Nein, sagte ich.
Aber ich sehe es doch.
Ich schwieg. Sie zog ihren Mantel aus und legte ihn mir über die Schulter.
Keine Sorge, ich hab einen Pullover an, sagte sie. Jetzt siehst du aus wie ein kleines Mädchen.
Das macht nichts, sagte ich, und du siehst aus wie ein kleiner Junge.
Ich denke oft, dass wir Kinder sind. Als wir uns damals Geld besorgen wollten … Erinnerst du dich?
Ja, ich erinnere mich. Es war zu der Zeit, als ich Tanja kennengelernt habe. Ich wollte mit ihr einen Ausflug machen, nach Kamenica. Hatte aber nicht genug Geld.
Und da bin ich zum Schuldirektor hinaufgegangen, er hat mich ausgezogen, hat mich auf die Schenkel geküsst und dazwischen. Dabei wiederholte er ständig, was ich für ein tolles Mädchen sei.
Und dann hast du mir das Geld gebracht. Ich stand vor dem Hauseingang und wartete auf dich und das Geld. Wir haben mit Tanja Riesling getrunken, Forelle gegessen, sind richtig herumgekommen. Aber lassen wir das. Es war zu verrückt. Und wir haben uns alles nur vorgemacht, Csicsi, jetzt weiß ich es.
Bitte verschon mich damit.
Wir sind dumm, und wir sind naiv.
Das macht uns nicht zu Ausnahmen, sagte sie.
Damit wollte ich mich nicht zufriedengeben. Eines schönen Tages würden wir hier verschwinden, sagte ich zu ihr. Wenn alles untergehen wird, werden wir nicht untergehen. Wir sind wie abgetretene Fußmatten. Es kann nur besser werden. Ja.
Ich will schlafen gehen, sagte sie.
Ich behüte deinen Schlaf, sagte ich zum Trost.
Du bist richtig gut, sagte sie.
Ich fragte sie, ob der Typ wirklich glücklich sei, den sie für Geld quäle, ob es ihm wirklich so großartig gehe. Ja, unbedingt, sagte sie. Irgendwie wollte es mir nicht in den Kopf.
Ich würde ihn gern kennenlernen.
Ich werde ihn dir vorstellen. Er ist sehr bekannt, steht oft ihn in den Zeitungen.
Zum Abschied streichelte ich ihr über den Arm, dann trennten wir uns. Weil ich keine Lust hatte, in den Klub zurückzukehren, ging ich nach Hause. Ich hatte zu nichts Lust. Es war heute so viel passiert. Arme Csicsi! Als ich die Zimmertür öffnete, erblickte ich Pud, seine behaarte Brust, er trommelte sich triumphierend auf den Bauch. Er sei auch gerade erst nach Hause gekommen, sagte er. Und dass Olga wirklich eine ganz scharfe Frau sei. Er nannte mich einen echten Kumpel, der ihn mit einer so tollen Frau zusammengebracht habe. Pud war sehr zufrieden.
*

Mit freundlicher Genehmigung von Matthes & Seitz Berlin
(Copyright Matthes & Seitz)


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