Vorgeblättert

Karlsch / Stokes: Faktor Öl, Teil 1

18.03.2003.
5. Auf dem Weg zur Mineralölautarkie? 1934 - 1939
5.1 Das Reichsbohrprogramm

Am 10. Januar 1934 fand im Reichswirtschaftsministerium eine Sitzung mit den wichtigsten deutschen Erdölunternehmen statt.(1) Die Reichsregierung gab bekannt, dass sie Darlehen für die Aufschließung neuer Erdölgebiete zur Verfügung stellen werde. Sie erklärte sich bereit, im Rahmen eines von der Geologischen Landesanstalt auszuarbeitenden Plans - später Reichsbohrprogramm genannt - die Hälfte der reinen Bohrkosten zu übernehmen. Sofern eine Bohrung erfolgreich war, sollte dann das verantwortliche Unternehmen aus den Gewinnen das Reichsdarlehen zurückzahlen. 
      Das Reichsbohrprogramm bot den Anlass für einschneidende Veränderungen der Rechtsgrundlagen bei der Erdölgewinnung. Preußen führte Ende 1934 den Staatsvorbehalt bei Erdöl ein und schuf damit überhaupt erst die Möglichkeit zur Anwendung moderner Aufschlussmethoden. Die Erdölverordnung vom 13. Dezember 1934 brachte den generellen Staatsvorbehalt, wobei die bereits existierenden Grundeigentümerrechte nicht berührt wurden. Der bis dahin vorherrschende Grundeigentümerbergbau hatte zu einer Zersplitterung der Flächen geführt, so dass es für die Erdölunternehmen schwer war, zu geschlossenen Gerechtsnamenkomplexen zu gelangen. Die neuen Bestimmungen ermöglichten dem Staat, einheitliche, meist auf 5 Jahre befristete Konzessionsverträge zu vergeben. In dieser Zeit musste mindestens eine Bohrung erfolgen. Bei Fündigkeit bestand Anspruch auf die Streckung von zwei Maximalfeldern in Größe von ca. 300 ha. Der Abbau wurde dann für 30 Jahre gegen einen Förderzins von 5 Prozent gewährt.(2) Damit war ein einheitlicher Aufschluss der Lagerstätten möglich.
      Das Lagerstättengesetz vom 4. Dezember 1934 verpflichtete alle Firmen und geologischen Landesanstalten, ihre geologischen und geophysikalischen Unterlagen der Preußischen Geologischen Landesanstalt zuzuleiten. Bisher geheim gehaltenes Material wurde zur Zusammenstellung von Karten und für die weitere Erkundung nutzbar gemacht. Außerdem wurden die Grundeigentümer verpflichtet, geophysikalische Messungen auf ihrem Grund und Boden zu gestatten.
      Der Anstoß für das Reichsbohrprogramm war von den Debatten um den Neubau von Raffinerien zur Verarbeitung ausländischer Rohöle bzw. Erdölrückstände ausgegangen. Das hätte die Abhängigkeit Deutschlands von Ölimporten noch erhöht und lag nicht im Interesse der NSDAP und der deutschen Erdölunternehmen. Die Fachleute waren sich weitgehend darüber einig, dass eine "Ölautarkie" nicht zur Diskussion stand. Trotzdem wollte man die einheimische Erdölförderung soweit wie möglich anheben. Professor Alfred Bentz von der Geologischen Landesanstalt in Berlin hatte dazu bereits vor 1933 festgestellt: "Wie in vielen anderen Fragen muss das besiegte Deutschland auch in der Ölfrage in den Hintergrund der Weltbühne treten und ist darin in vollkommene Abhängigkeit vom Ausland geraten. Um so dringender erhebt sich für uns die Forderung, alle deutschen Erdölvorkommen unser schwer ringenden Volkswirtschaft nutzbar zu machen, um nicht unnötig Hunderte von Millionen des Volksvermögens ins Ausland fließen zu lassen, während in der Tiefe des deutschen Bodens noch ungehobene Schätze schlummern. Es herrscht vollkommene Klarheit darüber, dass Erdölfunde von so riesigem Ausmaß wie sie in Nordamerika, Mexiko, Rumänien gemacht werden, in Deutschland seinem ganzen geologischen Bau nach nicht in Frage kommen. ... Es besteht aber immerhin die Möglichkeit, die jetzige deutsche Förderung noch zu steigern und dadurch unsere Handelsbilanz zu stärken."(3) Ein weiteres, oft benutztes Argument war die konjunkturelle Wirkung eines Reichsbohrprogramms, dass einen (bescheidenen) Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten sollte.
      Eine Schlüsselfunktion für die Verteilung der Bohrdarlehen nahm die Geologische Landesanstalt mit dem bereits erwähnten Professor Alfred Bentz an der Spitze ein. Die Geologische Landesanstalt - aus der 1934 ein Institut für Erdölgeologie hervorging - suchte die Bohrungen aus, die die größten Chancen auf Fündigkeit boten. Sofern sich mehrere Firmen ein Aufschlussgebiet teilten, was häufig der Fall war, hafteten sie gemeinsam. Die geologischen Ergebnisse wurden jetzt unter den beteiligten Firmen ausgetauscht. Das Prinzip der Solidarhaftung veranlasste die Firmen zur Gründung von Aufschlussgemeinschaften, um die Zersplitterung des Konzessionsbesitzes auszugleichen.
Anfang 1937 befanden sich die Erdölkonzessionen in Händen von ca. 50 Unternehmen. 
Allerdings entfielen mehr als vier Fünftel aller konzessionierten Flächen auf sechs große Konzerne bzw. Unternehmensgruppen, wobei die Bayerische Mineralindustrie AG und die Vingerhoets-Gruppe, die zusammen fast die Hälfte aller Konzessionen hielten, diese wohl hauptsächlich zu spekulativen Zwecken erworben hatten und mit neuen Aufschlüssen kaum in Erscheinung traten. 
      Um die Aufschlüsselung der staatlichen Darlehen und die Fortsetzung des ambitionierten Programms kam es wiederholt zu heftigen Streitigkeiten und Verteilungskämpfen. Insbesondere die Unternehmensgruppe Vingerhoets versuchte mit abenteuerlichen Methoden umfangreiche Reichsdarlehen für Bohrungen in Westfalen zu erhalten.(4) Mit den Geschäftspraktiken von Vingerhoets befasste sich schließlich die Oberstaatsanwaltschaft Hannover. Er muss einflussreiche Gegner gehabt haben, denn diese traten über die Industrie- und Handelskammer Hannover an den Generalbevollmächtigten für den Vierjahresplan, Hermann Göring, mit dem Ansinnen heran, seiner Unternehmensgruppe jede weitere Aktivität im Rahmen des Reichsbohrplanes zu untersagen.(5) Auch Prof. Bentz hielt von den Aktivitäten der Vingerhoets Gruppe nichts. Trotzdem konnte Vingerhoets bis zum Kriegsbeginn weiter am Reichsbohrplan mitwirken. Als dann jedoch beim deutschen Einmarsch in Frankreich 1940 Dokumente erbeutet wurden, aus denen hervorging, das Vingerhoets mit dem französischen Kriegsministerium in Verbindung gestanden hatte, war dies das Ende seiner Unternehmensgruppe.

Konzessionsbesitz ausgewählter Unternehmen 1937 (6):


























Im Rahmen des Reichsbohrprogramms entwickelten die Gewerkschaft Elwerath, DEA, Preussag, die Wintershall AG und die Itag die größten Aktivitäten. Auf die genannten Gesellschaften entfielen ca. drei Viertel aller Bohrleistungen und der größte Teil der ausgereichten Bohrdarlehen. (7)
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(1) Vgl. Bericht über die geplanten Reichsdarlehen für Erdölaufschlüsse, Archiv der BGR, Nr. 58293. Teilnehmer der Sitzung waren: DEA (Bergassessor Schlicht), Thyssen Schachtbau AG (Direktor Härle und Dr. Dittmann), Wintershall AG (Direktor Beil), Burbach AG (Generaldirektor Albrecht), Gewerkschaft Elwerath (Dr. Schunk), Ebag (Direktor Rautenkranz), Verband der Hannoverschen Erdölindustrie (Direktor Grosse), Preussag (Generaldirektor Wisselmann und Direktor Rössling), Geologische Landesanstalt (Dr. Bentz), Preußisches Ministerium für Wirtschaft und Arbeit (Ministerialrat Klewitz), Reichswirtschaftsministerium (Geheimrat Pasel).
(2) Vgl. Hanns-Heinz Kaspar, Die Erdölgewinnung Deutschlands, Dissertation Bergakademie Freiburg 1977, S. 317.
(3) Vgl. Alfred Bentz, Die deutschen Erdöllagerstätten, Archiv der BGR Hannover, Nr. 87993.
(4) Vgl. Schreiben des Geologischen Landesamtes an den Reichswirtschaftsminister vom März 1935, Archiv der BGR, Nr. 86424.
(5) Vgl. Schreiben der IHK Hannover an Göring vom 13. Juli 1937, Archiv der BGR Hannover, Nr. 104629.
(6) Zusammengestellt nach: Archiv der BGR Hannover, Nr. 0088394, Nr. 0086439 und Nr. 0086424.
(7) Vgl. Der Anteil der einzelnen Erdölfirmen an den vergebenen Reichszuschüssen 1934-1944, Archiv der BGR Hannover, Nr. 0088394.


Teil 2
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