Vorgeblättert

Joseph J. Ellis: Seine Exzellenz George Washington. Teil 2

08.08.2005.
Im Oktober 1775 entrichtete die in Afrika geborene Sklavin und Dichterin Phillis Wheatley Washington ihren poetischen Tribut, der mit den Worten schloß: "Dein seien Krone, Schloß und Thron / Von lautrem Golde, Washington!" (Washington antwortete ihr dankend; es war der einzige Fall in seiner Korrespondenz, in dem er sich direkt an einen Sklaven oder eine Sklavin wandte.) Die öffentliche Absage an Georg III., die Tom Paine im Januar 1776 mit seiner Schrift Common Sense einleitete und die Thomas Jefferson dann im Juli dieses Jahres mit der Unabhängigkeitserklärung in eine offizielle Form brachte, beseitigte Georg III. als singuläres Autoritätssymbol für amerikanische Untertanen im British Empire. Der naheliegende, ja der einzige persönliche Ersatz als neues Autoritätssymbol für amerikanische Bürger in der im Entstehen begriffenen, noch namenlosen Nation war Washington. Anders als bei europäischen Monarchen hatte seine Autorität weder eine biologische noch eine spirituelle (auf göttliches Recht zurückgehende) Quelle, sondern sie beruhte auf der Reinheit seiner revolutionären Qualifikation. Er war kein Zufall des Blutes; er hatte gewählt und war gewählt worden. Als General Gage die Legitimität seines Ranges in Zweifel zog, antwortete Washington in einem Brief, der in der amerikanischen Presse weite Verbreitung fand: "Sie geben vor, Sir, allen Rang zu verachten, der nicht derselben Quelle entstammt wie der Ihre. Ich kann mir keinen ehrenhafteren vorstellen als denjenigen, welcher der unkorrumpierten Wahl eines tapferen und freien Volkes entspringt - dem reinsten Quell und Ursprung aller Macht."
     Dieser neue halbkönigliche Status paßte zu seiner Persönlichkeitsstruktur und erwies sich als bleibender Aktivposten, der politisch ebenso wichtig war wie die ökonomische Basis durch das Custis- Erbe. Der Mann, der von Kontrolle besessen war, war jetzt der designierte Souverän der Amerikanischen Revolution. Dem Mann, der es nicht ertragen konnte, daß man seine Motive oder seine persönliche Integrität in Zweifel zog, wurde versichert, daß er mehr Vertrauen genieße als jeder andere lebende Amerikaner. Die Briten sollten ihre befehlshabenden Generäle viermal austauschen; Washington war auf Dauer da. Gewisse Mängel seines Charakters - Unnahbarkeit, eine Förmlichkeit, die Vertraulichkeit faktisch ausschloß - wurden jetzt als unentbehrliche Nebenprodukte seines besonderen Status, ja als Ausdrucksformen der ihm angeborenen Würde angesehen. Und der Mann, der sich über die hochnäsige Herablassung britischer Offiziere und Beamter geärgert hatte, gebot jetzt über den militärischen Apparat, der die britische Armee und sämtliche Spuren britischer Macht in Nordamerika austilgen sollte. Mit einem Wort, sein neuer Status als "Seine Exzellenz" verlieh ihm die Starrolle in einem historischen Drama, das ihm auf den Leib geschrieben zu sein schien.
     Andererseits machten die politischen und selbst psychischen Konsequenzen seiner öffentlichen Rolle durchaus gewisse persönliche Anpassungen erforderlich. Im August 1775 äußerte er sich mehrfach kritisch über Disziplinlosigkeit in den Milizeinheiten aus Neuengland, die er befehligte, und er nannte die Neuengländer generell "ein außerordentlich schmutziges und garstiges Volk". Bei einem Mann, der nicht mehr als ein virginischer Pflanzer war, wären solche Äußerungen regionaler Vorurteile nichts Besonderes gewesen. Da er aber symbolisch der Sprecher für die "Vereinigten Kolonien" war, wie sie sich immer noch nannten, führten diese Bemerkungen sowohl in der Gesetzgebenden Versammlung von Massachusetts als auch im Kontinentalkongreß zu politischen Turbulenzen. Als Joseph Reed, ein Rechtsanwalt aus Philadelphia, der kurze Zeit als Washingtons getreuester Adjutant amtiert hatte, ihn von der feindseligen Reaktion in Kenntnis setzte, brachte Washington sein Bedauern über diese Unbedachtheit zum Ausdruck: "Ich will mich um Besserung bemühen, da ich Ihnen versichern kann, mein lieber Reed, daß ich mich an eine solche Linie halten möchte, wie sie zur allgemeinsten Zufriedenheit ausfällt." Von Natur aus ein zurückhaltender und in sich ruhender Mensch, stellte Washington jetzt fest, daß seine neue öffentliche Verpflichtung, allen Menschen alles zusein, von ihm verlangte, auch den kleinsten Rest privater Meinungen zu unterdrücken, der ruchbar werden könnte. Mehrere Monate später, als Reed berichtete, daß aus den Gerüchteküchen im Kontinentalkongreß weiterhin Behauptungen über regionale Vorurteile gegenüber Neuengland in Umlauf gebracht wurden, gelobte Washington erneut, "durchgängig mein Verhalten mit den Wünschen der Menschen zusammenfallen zu lassen, soweit ich es vermag". Doch es war auch für ihn nicht leicht, seine persönlichen Gedanken und Gefühle völlig auszulöschen. "Oft habe ich daran gedacht", klagte er Reed, "um wieviel glücklicher ich gewesen wäre, wenn ich, anstatt unter derartigen Umständen ein Kommando zu übernehmen, meine Muskete auf die Schulter genommen und mich als einfacher Soldat verpflichtet oder ? mich ins Hinterland zurückgezogen und in einem Wigwam gelebt hätte."
     Selbst in seiner "Familie", wie er sie nannte, mußte Washington vorsichtig bleiben, denn seine Familie waren der Stab und die Adjutanten in seinem Hauptquartier. Wir wissen, daß Billy Lee, sein Mulattensklave, ihn zu Fuß und im Sattel ständig begleitete, ihm jeden Morgen das Haar bürstete und es zu einem Zopf flocht, aber es sind keine Aufzeichnungen über ihre Gespräche erhalten. Wir wissen, daß Martha im Januar 1776 in Cambridge zu ihm stieß, wie sie es dann während der Winterpause in allen darauffolgenden Feldzügen tat, aber der Briefwechsel zwischen den Ehegatten, der fast mit Sicherheit die vollständigsten Äußerungen persönlicher Ansichten enthielt, die Washington sich gestattete, wurde eben deshalb nach seinem Tode vernichtet. Der größte Teil seiner Korrespondenz während der Kriegsjahre, die vom Umfang her so gewaltig und vom Ton her so übereifrig ist, daß heutige Leser Gefahr laufen, bei der Lektüre in geistige Paralyse zu verfallen, wurde von seinen Adjutanten geschrieben. Es handelt sich dabei also um den Ausdruck einer offiziellen, zusammengesetzten Persönlichkeit, die sich gewöhnlich in revolutionärer Rhetorik voller Platitüden ergeht. Hier beispielsweise der Armeebefehl für den 27. Februar 1776, als Washington einen Überraschungsangriff auf die britischen Verteidigungsstellungen erwog: "Es ist eine edle Sache, die wir auf uns genommen haben, es ist die Sache der Tugend und der Menschheit, jeder weltliche Vorteil und Nutzen für uns und unsere Nachkommen hängt von der Stärke unserer Anstrengungen ab; kurz, Freiheit oder Sklaverei müssen das Ergebnis unseres Betragens sein, daher kann es keinen größeren Anreiz für Männer geben, sich gut zu benehmen." Die aufgeblähte Rhetorik schloß mit der freimütigeren Warnung, jeder, der sich zurückzuziehen oder zu desertieren versuche, werde "unverzüglich niedergeschossen werden".
     Da sich Washington der Grenzen seiner formalen Bildung bewußt war, suchte er sich als Adjutanten Collegeabsolventen, "Männer der Feder", aus, deren sprachliches Geschick sicherstellte, daß die Grammatik und die Syntax der Briefe, die er schrieb, "Seiner Exzellenz" würdig waren. Seine getreuesten Adjutanten - der erste war Joseph Reed, dem dann in späteren Phasen des Krieges Alexander Hamilton und John Laurens folgten - wurden zu Ersatzsöhnen, die bei Zusammenkünfte nach dem Dinner, bei denen Washington gern zum Gespräch ermunterte, während er Nüsse aß und ein Glas Madeira trank, direkten Zugang zum General hatten. Diese Lieblingsadjutanten, teils Großfamilie und teils Hofstaat, tauschten Einfluß gegen totale Loyalität ein. "Es ist daher absolut erforderlich, daß ich Menschen habe", erklärte Washington, "die für mich denken und die auch Befehle ausführen können." Der Preis für sein "schrankenloses Vertrauen ", wie er es nannte, war ihr ebenso schrankenloser Dienst an seinem Ruhm. Es war Ehrensache, daß sie nach dem Kriege keine enthüllenden Memoiren schreiben würden, und keiner von ihnen hat das getan.
     Seine andere "Familie" war das Ensemble von höheren Offizieren, die sich während der Belagerung von Boston um ihn scharten. 28 Generäle dienten schließlich im Laufe des Krieges unter Washington in der Kontinentalarmee. Fast die Hälfte von ihnen war in den Jahren 1775-76 in Cambridge zugegen. Eine umfassende Darstellung selbst dieser kleineren Gruppe würde uns, so interessant sie sein mag, auf verschlungene Seitenwege führen und von unserem eigentlichen Gegenstand ablenken. Vier von Washingtons obersten Stellvertretern - Charles Lee, Horatio Gates, Nathanael Greene und Henry Knox - lassen die Kontur der vorherrschenden Muster erkennen, die seinen Umgang mit ranghohen Untergebenen prägen sollten.
     Lee und Gates waren beide Offiziere in der britischen Armee gewesen und hatten größere Berufserfahrung als Washington. Charles Lee war ein schillernder Exzentriker. Die Mohawks hatten ihm wegen seines hitzigen Temperaments den Namen "Kochendes Wasser" gegeben, und das äußerte sich in Cambridge dann so, daß er damit drohte, alle Deserteure in Schußweite britischer Vorposten als Zielscheiben auf einen Hügel zu stellen. Lee erlaubte sich mit Washington größere Freiheiten als andere Generäle und redete ihn nicht mit "Eure Exzellenz" sondern mit "Mein lieber General" an. Er hatte auch Zweifel an der von Washington bevorzugten Strategie, regulären britischen Truppen zu deren Bedingungen in einem Krieg europäischen Stils entgegenzutreten, und war mehr für den Einsatz von Guerillataktik und stärkeren Rückgriff auf Milizen. Lee stellte auch gern seine Respektlosigkeit gegenüber militärischer Etikette zur Schau, er kam stets ungepflegt daher, und oft sah man ihn, wie er sich mit seiner ständig präsenten Hundemeute unterhielt, wiederum das genaue Gegenteil von Washingtons würdevoller Förmlichkeit.
     Horatio Gates wurde wegen seines hohen Alters (er war 50) und der Drahtgestell-Brille, die ihm schief auf der Nase saß, "Oma Gates" genannt. Er pflegte größere Vertrautheit mit seinen Mannschaften, als Washington für angemessen hielt, und ebenso wie Lee war er für einen stärkeren Rückgriff auf Milizen. Gates war der Ansicht, Washingtons Plan eines Angriffs auf die britische Garnison in Boston sei reiner Wahnsinn, und angesichts seiner Erfahrung fühlte er sich frei genug, sich mehrfach beim Kriegsrat für eine defensivere Strategie auszusprechen. Sowohl Lee als auch Gates gerieten in späteren Stadien des Krieges in Widerspruch zu Washington und wurden damit zu frühen Beispielen für das oberste politische Prinzip der Revolutionsära: Stelle dich Washington entgegen, und du riskierst den Untergang.
     Greene und Knox waren unerfahrene Amateure, die ihr enthusiastisches Eintreten für die amerikanische Unabhängigkeit in den Militärdienst geführt hatte. Nathanael Greene war ein Quäker aus Rhode Island, den man dann den "kämpfenden Quäker" nannte; aus der Gesellschaft der Freunde wurde er wegen seiner Unterstützung für den Krieg verstoßen. Er meldete sich freiwillig und diente in einer örtlichen Milizkompanie, den Kentish Guards, als einfacher Soldat, stieg aber auf Grund seiner offenkundigen Intelligenz und seines disziplinierten Engagements innerhalb eines Jahres zum Brigadegeneral auf. Gegen Ende des Krieges, besonders in den Carolina-Feldzügen, bewies er strategische und taktische Brillanz; er war Washingtons Kandidat als Nachfolger, falls der große Mann in der Schlacht fallen sollte. In Cambridge jedoch wurde Greene als "das roheste, das ungebildetste Wesen" beschrieben, und er unterstellte sich als aufstrebender General uneingeschränkt der Autorität Washingtons.
     Henry Knox war ebenfalls ein begabter Amateur, ein Buchhändler aus Boston, der viel über Ingenieurwesen gelesen hatte und den sich Washington aus den Reihen der Mannschaften holte, um ihm die Führung eines Artillerieregiments zu übertragen. Er bewies im Dezember 1775 dadurch seine Findigkeit, daß er die in Ticonderoga erbeuteten britischen Kanonen auf 40 Schlitten, die von 80 Joch Ochsen gezogen wurden, über Eis und Schnee in das Feldlager von Cambridge transportierte. Ebenso wie Greene betete er den Boden an, über den Washington schritt. Sowohl Greene als auch Knox wurden später mit Lorbeer überschüttet, und Knox erlebte es dann noch, daß er in den 1790er Jahren Washingtons Kriegssekretär wurde.10
     Damit ist einigermaßen klar: Washington holte sich militärische Talente, wo immer er sie finden konnte, und er besaß das Geschick, Begabung an unwahrscheinlichen Orten ausfindig zu machen und es ihr dann zu gestatten, mit ihm die historische Welle zu besteigen, auf der er ins amerikanische Pantheon ritt. Er war jedoch außerordentlich auf den Schutz seiner Autorität bedacht. Schmeichler ermutigte er zwar nicht, aber wenn Abweichler je ihre Kritik an die Öffentlichkeit trugen, wie es sowohl Lee als auch Gates schließlich taten, konnte er das gewöhnlich nicht verzeihen. Man könnte mit guten Gründen die Auffassung vertreten, und das haben mehrere Forscher auch getan, daß Washingtons Beharren auf persönlicher Loyalität in seiner Unsicherheit angesichts der überlegenen militärischen Qualifikationen von Lee und Gates wurzelte. Doch die überzeugendere Erklärung lautet, daß er instinktiv erkannte, wie Macht funktioniert, und daß sein quasi-monarchischer Status unentbehrlich war, um einer äußerst gefährdeten Sache Auftrieb zu geben. Überdies war, wie sich herausstellte, sein Hauptmangel als Militärstratege nicht sein Unterlegenheitsgefühl, sondern das genaue Gegenteil davon. Sein besonderer Status als "Seine Exzellenz" paßte ihm besser als irgendeiner seiner alten Anzüge, und er war entschlossen, diesen Status davor zu bewahren, daß irgendjemand ihn zerriß oder zerfetzte. Genau wie das stehende Heer, das er zu schaffen suchte, im Widerspruch zu den politischen Grundsätzen stand, für die es angeblich kämpfte, stand Washingtons königsgleicher Status im Widerspruch zum machtvollen antimonarchischen Ethos der revolutionären Ideologie. In beiden Fällen gestand Washington die Ungereimtheit ein, aber ihm war der Sieg wichtiger als die Widerspruchsfreiheit.
     Von Anfang an legte er jedoch Wert darauf zu betonen, daß sein weitreichendes Mandat vom Willen der amerikanischen Bürgerschaft, wie er sich im Kontinentalkongreß ausdrückte, abhängig und diesem Willen untergeordnet war. Seine Briefe an John Hancock, den ersten Präsidenten des Kongresses, nahmen immer die Form von Bitten und nicht von Forderungen an. Und dieselbe Haltung offizieller Ergebenheit nahm er gegenüber den Gouverneuren und den Provinzregierungen der Neuengland-Staaten ein, die für seine Armee Soldaten zur Verfügung stellten. Washington gebrauchte nicht den Begriff "Zivilkontrolle", aber er sah peinlich auf den Umstand, daß seine Autorität auf der Macht der gewählten Vertreter im Kongreß ruhte. Wenn es zwei Institutionen gab, welche die im Werden begriffene Nation verkörperten, die dann den Namen Vereinigte Staaten tragen sollte - die Kontinentalarmee und den Kontinentalkongreß -, dann beharrte er darauf, daß die erstere dem letzteren untergeordnet war.

Teil 3