Vorworte

Stadt der Mörder, Stadt der Toten

Über Bücher, die kommen. Von Angela Schader
19.11.2023. "Die sieben Monde des Maali Almeida". Romantisch tönt das, märchenhaft. Bei den Werken des srilankischen Schriftstellers Shehan Karunatilaka sind die Titel allerdings mit Vorsicht zu genießen. Wer den genannten, mit dem letztjährigen Booker-Preis prämierten Roman erwirbt, hat das Ticket für einen Höllenritt gebucht. Doch die Reise lohnt sich.
Shehan Karunatilaka. Foto (c) Dominic Sansoni
Zwei Bücher. Vom selben Autor mit gleicher Verve geschrieben, beide mit namhaften Preisen gekrönt. Dennoch dürfte beim Sprung in andere Sprachräume die Latte für das eine deutlich höher liegen. Warum?

Ein Ansatz für des Rätsels Lösung liegt schon im vermeintlich simplen Titel des Werks, das mit einem Handicap ins Rennen geht. "Chinaman" heißt Shehan Karunatilakas 2011 erschienener Erstlingsroman, doch nach einem Chinesen sucht man auf den gut 400 Seiten umsonst. Dafür lernt man, dass auf Sri Lanka ein naiver, gutgläubiger Mensch als "konde bandapu cheena" oder eben "chinaman with a ponytail" bezeichnet wird. Womöglich noch kryptischer ist die zweite Lesart: "Chinaman" heißt im Cricket eine Wurftechnik, die auch als "left-arm unorthodox spin", "slow left-arm wrist-spin" oder "slow left-arm leg spin" bezeichnet werden kann.

Tja.

Den Bezug zu Sri Lanka könnten weltläufige Leser beim Blick aufs Cover zumindest anhand des melodiösen Autornamens erahnen. Dass es im Buch um Cricket geht, lässt sich dem Klappentext entnehmen - doch da werden außerhalb des angelsächsischen Raums die Assoziationen schon neblig. Grüner Rasen, weiße Outfits, hermetische Regeln, Matches, die sich über mehrere Tage hinziehen, irgendwie ziemlich Upper-class … war es das? Natürlich nicht. Denn ausgerechnet dieser mit dem Elitären assoziierte Sport ist in einstigen britischen Kolonien zur Volksleidenschaft avanciert. Das wies etwa der vierstündige Bollywood-Schinken "Lagaan" (2001) aufs Prächtigste aus; wesentlich tiefgründiger hatte Ian Buruma das Cricket-Motiv schon zehn Jahre zuvor in den Roman "Playing the Game" (dt. "Das Spiel des Maharadschas") eingebracht, dessen fürstliche Hauptfigur das Gefälle zwischen Kolonialherren und Kolonisierten buchstäblich, und auf hochprekäre Weise, zu überspielen versucht. So konnte dann auch "Chinaman" im eigenen kulturellen Umfeld mit einer Wertschätzung rechnen, die sich im Commonwealth Book Prize und dem DSC Prize for South Asian Literature niederschlug; die britische Buchhandelskette Waterstones listete den Roman unter den besten 2011 erschienenen Debütwerken.

Der Roman, mit dem Shehan Karunatilaka nun dem deutschsprachigen Publikum vorgestellt wird, hat zwar nur einen Preis erhalten, der aber hat Gewicht. "The Seven Moons of Maali Almeida" wurde 2022 mit dem Booker Prize ausgezeichnet und ist - da verzichten wir gern auf die terminologischen Feinheiten des Cricket - ganz einfach ein Wurf. Nachtschwarz das Thema, funkelnd die Verarbeitung, beißend und zärtlich zugleich. Es geht um die Gewaltgeschichte Sri Lankas, die ethnischen und politischen Konflikte, deren Ausläufer nicht zuletzt in der Schweiz bis heute wahrnehmbar sind. Der vor vierzig Jahren einsetzende Bürgerkrieg zwang zahlreiche Tamilen zur Flucht, die hier ein ganz eigenes Kapitel Migrationsgeschichte schrieben. Die dunkelhäutigen Fremden dekonstruierten still und beharrlich den einheimischen Mythos, dass Disziplin und Arbeitswille ein Alleinstellungsmerkmal der helvetischen Nation seien; mit rund 60'000 Personen beherbergt das Land heute eine große und gut integrierte tamilische Diaspora. In Deutschland ist die tamilische Präsenz proportional kleiner, aber sie kann allemal ein zusätzlicher Anstoß sein, sich auf die Schrecknisse einzulassen, die diese Menschen einst in den Norden trieben. Und wer in anderen Dimensionen denkt - sei's ichbezogen, sei's mit philosophischem Weitblick -, für den legt Karunatilaka gleich am Anfang einen dicken Lockbissen aus. "Du wachst auf mit der Antwort auf die Frage, die sich jeder stellt", eröffnet der Roman - nämlich diejenige, was uns nach dem Tod erwartet.

So unterschiedlich die beiden Romane des 1975 geborenen srilankischen Schriftstellers in punkto Themensetzung und Ausgriff sind, lassen sich doch Bezüge zwischen ihnen herstellen. Die zentralen Charaktere weisen Wesensverwandtschaften auf, zwei Nebenfiguren sind sogar vom ersten ins zweite Buch migriert, zudem beleuchtet Karunatilaka beiderorts das Thema Homosexualität. Sowohl in "Chinaman" wie in den "Seven Moons" sind die Ich-Erzähler Glücksspieler, der eine aus Not, der andere aus Lust an der Sache, doch beide mit dem Anspruch eines quasi-wissenschaftlichen Vorgehens beim Wetten oder beim Baccarat. Und über beiden hängt das Damoklesschwert einer gesetzten Frist, binnen welcher sie ihr Lebensziel erreichen müssen.

So wird im Erstlingsroman beim pensionierten Sportjournalisten W. G. Karunasena eine fortgeschrittene Leberzirrhose diagnostiziert. Ein, zwei Jahre bleiben ihm, um nach einer ziemlich verpfuschten Existenz doch noch ein Monument zu hinterlassen - in Form einer Biografie, die der rätselhaften Schattengestalt eines so genialen wie unbekannten srilankischen Cricketspielers Kontur und Gewicht geben soll. Doch jedes Glas Arrak, das Karunasena kippt, um sein Forschen und Schreiben zu befeuern, mindert zugleich die noch verfügbare Lebenszeit.

Jene ein, zwei Jahre allerdings sind nachgerade opulent im Vergleich zu den sieben Monden, die dem Fotografen Maali Almeida nach seinem gewaltsamen Tod zugebilligt werden, um die Mission zu vollenden, auf die er im Leben hingearbeitet hat: Seine an Brennpunkten des srilankischen Bürgerkriegs entstandenen Aufnahmen sollen publik gemacht werden und die Bevölkerung über die blutigen Ränkespiele der Machthaber ins Bild setzen. Aber mit Monden, so muss sich der frisch im Jenseits angekommene Maali belehren lassen, sind nicht etwa Monate gemeint, sondern Nächte. Eine Woche also.

Maali war zu Lebzeiten allerdings nicht der mutige Aufklärer, den sein Vorhaben vermuten lässt. Eher ein ausgebuffter Zyniker, der allen Herren diente: der singhalesischen Regierungspartei und deren willigen Vollstreckern in der Armee ebenso wie den Liberation Tigers of Tamil Eelam; aber auch ausländischen Journalisten oder einer als humanitäres Hilfswerk getarnten Organisation mit finsteren Racheplänen. Gefragt, auf wessen Seite er denn eigentlich stehe, entgegnet Maali einmal: "Auf der, die mich bezahlt." Im Umgang mit der Liebe ist er ähnlich flexibel: Eine feste und tiefe Bindung und das Treueversprechen gegenüber dem Partner hindern ihn nicht daran, bei sich bietender Gelegenheit andere junge Männer zu vernaschen. An nüchterner Selbsteinsicht fehlt es ihm dabei nicht: "Du hast jeden abserviert, der dich jemals nackt gesehen hat. Jede Sache aufgegeben, für die du jemals gekämpft hast. Und viel getan, wovon du niemals jemandem erzählen kannst."

W. G. Karunasenas Lebensbilanz tönt karger - und trauriger: "Could have. Would have. Did not." Das zielt auf die vertane Berufslaufbahn wie auch auf die Nebenrolle, die er Frau und Sohn in seinem Leben zuwies; der bitter-zärtliche Brief, den die Gattin Jahre nach seinem Tod an ihn richtet, lässt ahnen, welche Schätze in dieser Liebe zu heben gewesen wären.

Dass Maali politisch auf allen Hochzeiten tanzt, passt auch zu seiner Abstammung: Der Vater Singhalese, die Mutter halb Tamilin, halb Burgher, d.h. Nachfahrin europäischer Einwanderer. Die gemischte Abkunft und ebenso die in seiner zuvor zitierten Selbstbeschreibung aufscheinenden Charaktereigenschaften rücken Maali wiederum in die Nähe des zweiten Protagonisten von "Chinaman": jenes obskuren, meisterlichen Cricketspielers, dessen Lebensspur im Lauf des Romans sichtbar wird. Geboren als Sohn eines Tamilen und einer singhalesischen Mutter trug er zunächst den Namen Pradeepan Sivanathan, der ihn als Angehörigen der diskriminierten tamilischen Minderheit kenntlich machte. Die hatte im Sri Lanka der siebziger Jahre an den Colleges, wo die künftige Cricket-Elite des Landes herangezogen wurde, wenig zu suchen; hingegen war man an solchen Instituten sehr wohl auf herausragende Sporttalente erpicht. So durfte der Junge, der über eine stupende Palette von Wurftechniken verfügte und obendrein mit dem linken Arm genauso gut bowlte wie mit dem rechten, mit den College-Teams antreten; allerdings immer hübsch im Schatten der anderen und unter dem neutralisierten Namen Pradeep Mathew, der ihn auch vor rassistischen Schikanen der Mitschüler schützen sollte. So wächst Pradeep zum erratisch agierenden Einzelgänger heran, der sich durch seine arrogante, auffahrende Art nur Gegner macht und dessen Rekordleistungen mal deswegen, mal durch widrige Umstände jeweils umgehend aus den Annalen des srilankischen Cricket getilgt werden. Und es sind dies just die Annalen der Jahre, in denen Sri Lanka aus dem Off der Provinzmannschaften an die Weltspitze stürmt: 1996 - das ist aus der Realität gegriffen - erringt das Nationalteam zum ersten und bis dato einzigen Mal den Weltmeistertitel. Pradeep Mathew aber steht nicht auf dem Spielfeld.

Der ethnische Konflikt wirft da einen Schatten, dort ein Wetterleuchten über "Chinaman", bleibt insgesamt aber im Hintergrund; das Herzblut wie auch die scharfe Feder hat Shehan Karunatilaka ans Cricket gewendet. Er preist die Kunst der Werfer, die auf kleinem Raum Wunder vollbringen müssen und zu Unrecht weniger Beachtung finden als die mit Effekt und Knall operierenden Schlagmänner; er wirft Seitenblicke auf korrupte Strippenzieher, auf Missgunst, Eitelkeit und Kleingeist, die sich auf allen Ebenen des Sports manifestieren können. Mit Witz und Geist erzählt und mit Nebenthemen angereichert ist der Roman garantiert ein Fressen für Aficionados, und auch weniger themenaffine Leserinnen nehmen einiges daraus mit; aber "Die sieben Monde des Maali Almeida", von Hannes Meyer fabelhaft in ein kerniges und zugleich geschmeidiges Deutsch gebracht, weist aus, in welchem Maß der Schriftsteller seit 2011 punkto Themenführung und Gestaltungskraft zugelegt hat.

Sri Lankas Hauptstadt Colombo gehört zu den bescheidener dimensionierten Metropolen des südasiatischen Raums. Karunatilakas zweiter Roman präsentiert sie uns jedoch als Wimmelbild, in dem über und zwischen den Lebenden die Geister der Toten en masse verkehren. Sie lassen sich vom Wind tragen oder reisen auf den Verdecken privater und öffentlicher Vehikel; nachts ergehen sich einstige Selbstmörder auf dem Dach des zwielichtigen Hotels Leo und repetieren angelegentlich ihren Todessturz, während hoffnungsfrohere Seelen lauschend auf Bäumen hocken, in der Erwartung, dass irgendwo von ihnen gesprochen werde. Denn sie dürfen nur Orte aufsuchen, wo sie auch lebendigen Leibes waren oder wo ihr Name erklingt.

Der Roman spielt in den vom Bürgerkrieg geprägten 1980er Jahren, und die Durchdringung von Lebenswelt und Geisterreich passt zu einer Zeit, in der Zehntausende getötet wurden oder unter ungeklärten Umständen "verschwanden". Parallel zum Konflikt zwischen den regierenden singhalesischen Nationalisten und der tamilischen Widerstandsbewegung, in der die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) die Führungsrolle an sich rissen, entstand damals ein weiterer, innersinghalesischer Konfliktherd: Die kommunistisch geprägte Janatha Vimukthi Peramuna, welche die vernachlässigte Landbevölkerung hinter sich scharte, agierte gegen die Regierungspartei und wurde von dieser gnadenlos ausgemerzt. Karunatilaka entwirft eine Stadt, in der sich hinter der Bezeichnung "Palast" ein Foltergefängnis verbirgt, der zentral gelegene Beira Lake zur nächtlichen Entsorgung von Leichen genutzt wird und Vertreter unterschiedlicher Interessengruppen in Hinterzimmern schachern, während das Fußvolk sich in ihrem Namen gegenseitig umbringt; ein solcher Ort braucht kein Halloween, um von Toten heimgesucht zu werden.

Deren Handlungsmöglichkeiten allerdings sind naturgemäß eingeschränkt, nicht einmal der für Gespenster handelsübliche Psychoterror in Form nächtlicher, von Ächzen und Poltern begleiteter Auftritte ist ihnen gegönnt. Wohin also mit der Wut, den Rachegefühlen, der brennenden Begierde, der Gerechtigkeit eine Bresche zu schlagen? Soll man sie brav runterschlucken, sich einem Läuterungsprozess unterziehen und ins Licht eingehen, wie es den frisch Dahingeschiedenen im Jenseits nahegelegt wird? Oder kämpfen?

Aus dieser Frage entwickelt Karunatilaka die Quest, die seinen Roman antreibt. Ganz klassisch ist sie als Wettstreit zwischen hellen und finsteren Mächten angelegt, wobei die Rollenbilder erst einmal auf brüchig-menschliches Maß heruntergetrimmt werden. So tritt die "weiße" Seite in Gestalt einer entsprechend gekleideten, genervten Schalterbeamtin an, die sich in der Empfangshalle des Jenseits um die Neuankömmlinge kümmert. Den meisten von ihnen ist nicht bewusst, wo sie sich befinden, und die Klarstellung seitens der Dame stößt auf wenig Akzeptanz. Auch Maali trägt mit ihr ein diesbezügliches (und ziemlich amüsantes) Wortgefecht aus; erst danach erkennt er die Frau am Schalter: Es ist Ranee Shridaran, eine tamilische Ärztin und Hochschuldozentin, die sich gegen den Extremismus der LTTE ausgesprochen hatte und von diesen liquidiert worden war. Öfters lässt Karunatilaka solch schneidende Details in die Erzählung ein, knapp gefasste Momente, bei denen einem das Lachen gefriert - und hier mit realem Grund: Ranees irdisches Schicksal ist nach dem der srilankischen Medizinerin und Menschenrechtsaktivistin Rajani Thiranagama modelliert.

Mit ihrem dürren, amtlichen Duktus ist die Ranee im Roman allerdings zunächst einmal keine sonderlich attraktive Ansprechpartnerin; so hat ihr in einen schwarzen Müllsack gehüllter Widerpart leichtes Spiel, den Protagonisten auf seine Seite zu ziehen. "Sir, verschwinden wir von hier. Hier warten nur Gehirnwäsche und Bürokratie", lockt der junge Mann, der Maali zuvor schon aufgefallen war, und bald wird auch klar, wes Geistes Kind er ist. "Sie lassen dich dein Leben vergessen und drängen dich in irgendein Licht", schmäht er Ranee und ihresgleichen: "Das Handwerkszeug der bourgeoisen Unterdrückung." Sena, so der Name des Schwarzgekleideten, war Aktivist der Janatha Vimukthi Peramuna und hat dafür mit dem Leben bezahlt. Für die Option, ins Licht einzugehen, bedankt er sich; sein Geschäft ist Rache - Vergeltung für die mörderische Gewalt, mit der das Regime gegen seine Genossen vorgeht, und er kennt auch den schmalen Transmissionsriemen zwischen den Welten, mittels dessen das zu bewerkstelligen wäre. Es gibt die Möglichkeit, dass Tote auf die Lebenden einwirken, ihnen Dinge einflüstern können, sie hat allerdings ihren Preis: Wer sie nutzt, verfällt dem Reich der Finsternis und seiner Göttin Mahakali. Auch Maali drängt er, diesen Weg zu beschreiten: Er böte ihm die Chance, seine Fotografien ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.

Einmal mehr kommt dem Protagonisten seine Fähigkeit zugute, sich keiner Sache ganz zu verschreiben. Er schwimmt zwar in Senas Kielwasser, aber auch Ranee lässt den Widerborstigen nicht ganz fallen, und irgendwann lernt er ihre ruhige Beharrlichkeit schätzen. Indem er seine Angelegenheit binnen der sieben Monde regeln will, die den Verstorbenen gewährt sind, bevor sie sich für Licht oder Dunkel entscheiden, hält er sich beide Optionen offen - und verpasst dem Geschehen zudem einen Drive, der auch die Lesenden hechelnd durchs Buch zieht.

Weil Maalis Beziehungsnetz so weit gespannt war, gehört er zu den mobilen Geistern: Sein Name wird öfters laut und führt ihn bald hier-, bald dorthin. Wir sehen ihn im Spiegelbild eigener und fremder Erinnerungen, auch der eine und andere Red Herring wird präsentiert, der die Frage wachhält, wer Maalis hässlichen Tod auf dem Gewissen hat. Und so lernen wir sie alle kennen: Major Raja Udugampola, den Schergen der Regierung (der übrigens den Nachnamen eines aktenkundigen, übel beleumdeten Polizeichefs jener Epoche trägt), ebenso wie einen machthungrigen Subkommandanten der LTTE, der mit dem Major zu paktieren bereit ist, weil er selbst einen Putsch gegen den Führer der Befreiungstiger plant. Maalis egozentrische Mutter, die ihre Privilegien nutzt, um dem verschwundenen Sprössling nachzuspüren - und die Männer mit den dreckigen Händen, Balal und Kottu, die den Leichnam ihres Sohnes beim Versuch, ihn im Baira Lake zu versenken, traktiert haben wie ein Stück Schlachtvieh. Den homosexuellen britischen Kulturattaché Jonny Gilhooley, der auch in "Chinaman" auftritt. Die eigenwillige Jaki, die sich in Maali verliebt hatte, ihn jedoch an ihren hübschen Cousin Dilan verlor. Dilans Vater, einen Minister von mäßiger Bedeutung, der als "einsamer Tamile im Kabinett" dem singhalesischen Regime als Feigenblättchen dient - und seinen mächtigen Amtskollegen, den perfiden Justizminister Cyril Wijeratne. In dessen Namen hat der Autor diejenigen zweier realer Politiker verschränkt: Der eine, Ranjan Wijeratne, amtierte 1989 - in diesem Jahr spielt die Haupthandlung des Romans - als Außen- und Verteidigungsminister Sri Lankas, der andere, Cyril Mathew, war in früheren Jahren Industrieminister; beide hetzten gnadenlos gegen die tamilische Befreiungsbewegung, Wijeratne war zudem einer der Hauptverantwortlichen für die Vernichtungskampagne gegen die Janatha Vimukthi Peramuna.

Man kann diesen Bezügen nachgehen, muss es aber nicht. Denn der Realien auf Detailebene habhaft zu werden, ist für das Verständnis des Romans wie auch der Epoche, die er darstellt, nicht vonnöten: Besser als mit dem wilden Totentanz, den Shehan Karunatilaka vor unseren Augen entfesselt, könnte man dem Zynismus und der Grausamkeit jenes Mehrfrontenkriegs nicht gerecht werden.

Ihre Bannkraft und ihre Wirkung entfaltet diese Darstellung aber nur, weil das Licht nie ganz ausgeht. Das Lachen nicht verstummt. Weil der Aufenthalt in der vermaledeiten Stadt, allem Schrecken zum Trotz, ein irrsinniges Abenteuer ist, das man nicht missen möchte. Und weil uns der Schriftsteller zum Abschied eine Coda schenkt, von der nur etwas preisgegeben sei: dass sie, verwirrend und zauberhaft, alles zuvor Gelesene über den Haufen wirft.


Shehan Karunatilaka: Die sieben Monde des Maali Almeida
Roman
Aus dem Englischen von Hannes Meyer.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. 544 Seiten, gebunden, 30 Euro

Erscheint am 28. November 2023

Zur Leseprobe

(bestellen bei eichendorff21)

Mehr Infos beim Rowohlt Verlag