Im Kino

Ungreifbare Opazität

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Carolin Weidner
27.05.2021. Zack Snyders "Army of the Dead" (Netflix) ist einerseits fröhlich vulgäres Spektakelkino. Andererseits verschwindet der Film in einer neuen Dimension der Unschärfe, die von altmodischen Kameras erzeugt wird und doch am politischen Unbewussten der Gegenwart arbeitet. Bei Mubi gibt es mit "Black Pond" und "Biologie" zwei ungewöhnliche Reflexionen über Natur zu sehen.
Das Wissen kommt aus Büchern. In "Black Pond" (2018), einer wundersamen Exkursion, unternommen von der britisch-argentinischen Filmkünstlerin Jessica Sarah Rinland und den Mitgliedern der Natural History Society, spielen sie eine nicht unwesentliche Rolle. Sie erzählen von Abertausenden Mottenarten, von Pilzen, auch Wildblumen. Einmal sieht man ein solches Exemplar im "Dreck" liegen, nicht unachtsam hingeworfen, keineswegs. Das sind keine Klötze für die Bücherwand, nichts Dekoratives. Hier handelt es sich um echte Gebrauchsgegenstände, Lotsen durch die Form- und Farbenvielfalt der Natur. In einem von ihnen, man hat es Rinland offenbar in die Hand gedrückt, findet diese, ganz am Ende, eine handschriftliche Notiz: "The earth shall be made a common treasury of livelihood to whole mankind, without respect of persons. I hate none. I love all."

Das Zitat stammt von Gerrard Winstanley und ist über 350 Jahre alt. An Winstanley, markant mit breitem Hut und weißem Kragen, haben sich bereits Literatur und Musik abgearbeitet, und es gibt auch einen Film: "Winstanley" (GB 1975) von Kevin Brownlow und Andrew Mollow. Der Mann tat Skandalöses: Er besetzte in England Ländereien und vergemeinschaftete sie. Auf Wikipedia finde ich den schönen Satz: "Diesen Frühkommunismus begründete Winstanley ausschließlich aus der Bibel heraus." In "Black Pond" kommt mir das Religiöse höchstens dann unter, wenn ich Natur und Schöpfung synonym gebrauche. Es geht ums ganz Kleine und ganz Große. Man fängt winzige Insekten, nachts, mittels einer künstlichen Lichtquelle. Sie imitiert den Mond, nach dem sich zahlreiche Tiere ausrichten. Indes schmiegen sich zierliche Pilze an unterirdische Wurzelsysteme, um Symbiosen mit Pflanzen einzugehen. Und auf einem Stück Holz hat ein Nager mit seinen spitzen Zähnchen Abdrücke hinterlassen. Warum nur? Das wisse man nicht. Es gibt noch so viele Geheimnisse.

"Indes schmiegen sich zierliche Pilze an unterirdische Wurzelsysteme". Bild aus "Black Pond".



Vom Aufblitzen kommunistischer Gedanken hin zu den letzten Atemzügen des Sozialismus. Von einem südenglischen Gemeindeland, das durch die Hände umsichtiger Briten gleitet, nach Neuruppin, zu Ulla, Winfried und Hansen, die sich auf einem Flecken Grün abmühen, dessen Ursprünglichkeit durch eitle Bauvorhaben bedroht ist. Der Sprung ist weniger gewaltig, als man vermuten könnte. Denn auch in "Biologie!" (DDR 1989/90) von Jörg Foth ist die Natur sinnliches Zentrum, Erfahrungsraum, flitzen die Schlangen. Obwohl: in "Black Pond" liegen sie eher müde und von der Sonne beschienen auf trockenem Gras herum; und es sind nicht nur schlanke Nattern wie in "Biologie!", sondern auch Ottern, giftig und dick. In beiden Filmen jedoch, an beiden Orten, wird Wichtiges erlebt. Wird geatmet, untersucht, geliebt. Ulla (Stefanie Stappenbeck) und Winfried (Cornelius Schulz) haben im Landschaftsschutzgebiet - kein Naturschutzgebiet, ein immenser Unterschied, an dem entlang sich das Drama des Films entspinnt -, den ersten Sex. An einem fluoreszierendem Bach begegnen sich die nackten Körper. Sie schimmern im Dunkeln wie weiße Kieselsteine im Märchen.

Auch hier machen Bücher Eindruck. Besonders auf Ulla, die auf meterlange Sammlungen von Lexika verzichten muss. Die stehen dafür bei Winfried, der sich nicht sonderlich von ihnen bewegen lässt, sondern viel eher von Computern. Ulla hat dafür eine ordentliche Plattensammlung, auf die sie allerdings nicht zurückgreift, weil die Platten vom Vater geschickt werden, der die Familie verlassen ist. Um die Musik erst gar nicht anhören zu können, hat sie ihren Plattenspieler verschenkt. Ulla ist eine Frau mit Prinzipien, das wird schnell klar. Eine Umweltaktivistin, in diesem einzigen Umweltfilm der Defa, der auf dem 1984 erschienen Kinderbuch "Die Wasseramsel" von Wolf Spillner fußt. Ulla, auch daran gibt es keine Zweifel, kriegt für ihren Einsatz ordentlich auf die Nase. Selbst die Frauenärztin, von der sie sich die Verschreibung der Pille erhofft, macht sich über das "Küken" lustig.

Da kommt Winfried gerade recht. Einen seiner ersten Auftritte hat er, als er mit dem Moped durch ein FDJ-Plakat saust. Er sieht ein bisschen punkig aus, die Haare in einem Orangeton blondiert, Lederjacke, Halstuch. Ulla ist öko: Latzhose, gestreiftes Shirt, lange Haare zu einem losen Pferdeschwanz gebunden, Brille. Von ihrem Zimmer aus kann sie aufs Dach klettern. Nachts sitzt sie dort und ist nachdenklich, manchmal traurig, zum Schluss verfüttert sie die Pillen zur Empfängsverhütung an die Vögel. Bei Tag ist auch ein kleiner Pflanzkübel mit einer einzelnen Zunge Bogenhanf zu sehen und erinnert an einen "Warrior Hat" - den Federschmuck, den Native Americans in Kriegszeiten auf dem Kopf trugen.

"Biologie!" ist aufwühlend und frustrierend, die jungen Menschen ringen mit sich und den Alten, mit dem System. Sie haben das "Jahr 2000" vor Augen und genießen doch die feuchten Wiesen unter den Füßen. Sie sind in einer komischen Lage. Winfried nennt Ulla eine "Kulturpessimistin". Die Liebe, die sich in "Black Pond" in Spezialistentum und geruhsamer Erkundung ausdrückte, wird hier zum Motor für Widerstand und Protest. Letztlich wird Ulla zur Märtyrerin.

Ich frage mich, was Gerrard Winstanleys Perspektive auf all das gewesen wäre. Sicher hätte Ulla nur außerplanmäßig von ihm erfahren. Und was ist aus den Vögeln geworden, die die Hormone aufgepickt haben? Ob ihre Nachkommen jetzt in Südengland an einer neuen Gesellschaftsordnung tüfteln? Und wer macht dann einen Film darüber?

Carolin Weidner

Black Pond - GB 2018 - Regie: Jessica Sarah Rinland - Laufzeit: 42 Minuten. "Black Pond" auf Mubi.

Biologie - DDR/BRD 1990 - Regie: Jörg Foth - Darsteller: Stefanie Stappenbeck, Cornelius Schulz, Carl Heinz Choynski, Katrin Klein - Laufzeit: 91 Minuten. "Biologie" in der Mediathek des MDR.

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Die Zombieapokalypse findet während der Titelsequenz statt. Untote fallen, nachdem im Prolog ein Verkehrsunfall (ein Geschlechtsverkehrsunfall, genauer gesagt) einen killerviralen Superspreader der Aufsicht der Armee entwischen lässt, über Las Vegas her, verbeißen sich in spielsüchtige Tourist_innen, vagabundieren zwischen einarmigen Banditen und werden von Kampfflugzeugen großflächig zusammengebombt. Weil "Army of the Dead" ein Film von Zack Snyder ist, dem unsubtilsten Regisseur der Welt, läuft dazu auf der Tonspur "Viva Las Vegas". Wenn der Film im Anschluss "richtig" beginnt, scheint die Gefahr bereits gebannt: Um die Hauptstadt des Glücksspiels herum ist ein Mauerkreis aus Frachtcontainern errichtet, innerhalb dessen sich die lebenden Toten nach Herzenslust austoben dürfen.

Die Handlung von "Army of the Dead" wird im Folgenden nicht durch einen Ausbruchsversuche der Untoten in Gang gesetzt, sondern durch Habgier und Dummheit der Restmenschheit: Ein windiger Geschäftsmann stellt ein Team zusammen, das Bargeld in Millionenhöhe aus einem Hotelsafe evakuieren soll - also einen riesigen Haufen jener Banknoten, die in Las Vegas einst so großzügig wie kaum irgendwo sonst verpulvert wurden, die für die neuen Bewohner der Stadt jedoch komplett nutzlos geworden sind; erst recht, weil der amerikanische Präsident angeordnet hat, dem Spuk in Nevada mithilfe einer Atombombe ein Ende zu bereiten.

Das ist bereits der Kern des Films: Todessehnsucht und Geldgeilheit als Triebkräfte hinter den Bildern, kanalisiert in Form eines geradlinigen Heist-Films, für den die Zombieepidemie zuerst einmal nur Dekor ist. Allerdings ein Dekor, das es in sich hat. Tatsächlich entsteht, das ist die Innovation, die "Army of the Dead" zum originellsten Zombiefilm der letzten paar Jahre macht, zwischen den Trümmern postmoderner Trashkultur kein bloßes Wasteland, sondern eine neue, untote Gesellschaftsordnung, die auf einer Klassendifferenz basiert. Zum einen gibt es das Zombie-Fußvolk, das so tumb wie eh und je durch die Straßen wankt, auf Frischfleisch hoffend; zum anderen gibt es die Alphas: Eine Rasse ungleich agilerer Superzombies, die bizarre Blutrituale vollziehen und über ein Mindestmaß an strategischen Fähigkeiten verfügen.

In der "Army of the Dead" gibt es auch Soldatinnen. Bild: Netflix.



Die Alphas erscheinen als die natürlichen, folgerichtigen Herrscher von Las Vegas; viel besser passen sie in diese Umgebung als die warmblütigen Menschen, deren Platz sie einnehmen. In einer Szene blickt ihr Anführer zu einer Zeus-Statue auf, die einst einem Casino als Emblem diente. In diesem Replikat einer ihrem ursprünglichen kultischen Sinn entfremdeten Götterstatue erkennt er sich selbst wieder. Die Alphas, das sind die synthetischen Götter der sich selbst kannibalisierenden Postmoderne, und die Ruinen des hyperkapitalistischen Kitschmetropole Las Vegas sind ihr Olymp. Auch ein Zombietiger, einst Teil des Showacts von Siegfried und Roy, durchstreift das staubdurchwehte Schlachtfeld, wie ein moderner Zerberus.

("Aber Zerberus bewacht die Unterwelt, nicht den Olymp!" - Das ist genau die Art kleingeistige Besserwisserei, die in der Welt des Zack Snyder fehl am Platz ist. Hier gilt: Vertraue Deinem Instinkt! Wenn Du Dir etwas als cool ausmalst, wird es auf der Leinwand auch tatsächlich cool aussehen, solange Du bei der Realisierung nur enthusiastisch genug und ohne falsche Bescheidenheit zu Werke gehst. Alles andere ist Nebensache. Das ist es vielleicht, was Snyder zu einer derart umstrittenen Figur macht: Er ist zwar einerseits, was seine Interessen und ästhetischen Vorlieben angeht, durch und durch Nerd, gleichzeitig aber ist ihm die buchhalterische Zwanghaftigkeit der Nerdkultur völlig fremd.)

Mystisch-tribalistische Neoarchaik, die aus den Trümmern zeitgenössischer Trashkultur erwächst: Gerade aufgrund seines unauthentischen Mashup-Charakters - Snyder bedient sich nicht nur großzügig bei diversen Horrorklassikern, sondern etwa auch bei James Camerons "Aliens" - tritt "Army of the Dead" den Beweis an, dass es nach wie vor einen direkten Draht gibt zwischen dem Zombie-Genre und dem politischen Unbewussten. Ein gutes halbes Jahr nach der Abwahl des 45. Präsidenten veröffentlicht, könnte sich die Netflix-Produktion in der Zukunft als der quintessenzielle Film der Trump-Ära erweisen. Sogar Sean Spicer, erster Pressesprecher des Trump-White-House, hat einen Gastauftritt.

"Army of the Dead" ist im Kern klassisches, maximalistisches, fröhlich vulgäres Spektakelkino - das sich gelegentlich auf interessante Weise selbst sabotiert. Snyder ist zum ersten Mal in einem seiner Filme auch für die Kameraarbeit verantwortlich und verwendet für "Army of the Dead" hauptsächlich heute sonst kaum noch gebräuchliche Speziallinsen aus den 1970er Jahren mit extrem hohen Brennweiten, was in einer gleichfalls extrem flachen Schärfe resultiert. Das heißt: Über weite Strecken des Films ist nur eine winzige Scheibe des Bildes scharf fokussiert. Zum Beispiel nur die Wangenpartie einer Schauspielerin, während Nase (vorn) und Ohren (hinten) schon wieder in Unschärfe verschwimmen. Bereits eine kleine Bewegung befördert sie, auch das kommt immer wieder vor, ganz aus dem Fokus, dafür ist jetzt vielleicht eine Haarsträhne ihres Gesprächspartners scharf gestellt, oder eine Zombiefratze. Manchmal gleitet gar das gesamte Bild ins Reich der samtig-verstörenden Unschärfe hinüber.

Man könnte auch sagen: Nicht mehr Schärfe und damit zugreifende Sichtbarkeit, sondern Unschärfe und damit weiche, ungreifbare Opazität ist der Normalmodus des Bildes. Das ist erst einmal nicht komplett außergewöhnlich - viele neuere Indiedramen zum Beispiel sind ebenfalls fast durchweg mit hohen Brennweiten gefilmt, wenngleich selten in solcher Konsequenz. Nur dass da die flache Schärfe im Allgemeinen der Kamera und damit uns einen intimen Zugang zu den von ihrer Umgebung visuell isolierten Figuren ermöglichen soll; während Snyders Figuren nie mehr sind oder auch nur sein wollen als Abziehbilder: Der bärenstarke Familienvater (Dave Bautista), seine todesmutige Tochter (Ella Purnell), die toughe Helikopterpilotin (Tig Notarro), der skurrile deutsche Panzerknacker (Matthias Schweighöfer) als comic relief und so weiter. Die flache Schärfe isoliert nicht ganze, echte Menschen, sondern knabbert synthetische Klischeemenschen noch ein bisschen weiter an, nimmt ihnen noch den letzten Rest selbstidentischer Ganzheit.

Die geballte, waffenstarrende Melange aus Machismo und Girl Power zu weiten Teilen in Unschärfe verschwinden zu lassen ist jedenfalls eine fast schon perverse ästhetische Strategie; ein aus Publikumssicht kontraintuitiver Impuls, der auf formale Ambitionen verweist, die, wie so oft im Kino Zack Snyders, auch dann bewundernswert bleiben, wenn sie nicht ganz eingelöst werden. Soll heißen: Der Unschärfeexzess ist zunächst irritierend und wirkt auch später, wenn man sich an die instabile Bildlichkeit gewöhnt hat, oft ein wenig albern. In den besten Momenten des Films jedoch, zum Beispiel während einer längeren Suspenseszene in einem von stillgestellten Zombies bevölkerten Hotel, die sich schließlich in einem blutrünstigen Showdown entlädt, verwandelt sich "Army of the Dead" für ein paar wundervolle Minuten in intuitives, raues kinematografisches Actionpainting.

Die Unschärfe verwandelt sich dabei idealerweise von einem negativen in einen positiven Wert. Nicht mehr Abwesenheit von Sichtbarkeit, sondern eine Möglichkeitsdimension, aus der mal hier, mal da plötzlich, schockartig Momente der Schärfe ins Bild knallen, Zufallsfragmente einer chaotischen Welt, die sich am Ende wie von Geisterhand doch wieder zu einer ästhetischen Gesamtheit geformt haben werden.

Lukas Foerster

Army of the Dead - USA 2021 - Regie: Zack Snyder - Darsteller: Dave Bautista, Ella Purnell, Ana de la Reguera, Matthias Schweighöfer, Omari Hardwick, Hiroyuki Sanada, Tig Notaro - Laufzeit: 148 Minuten. "Army of the Dead" bei netflix.