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Quietschgelbe Parkuhr

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
14.04.2023. Ende März fanden in Berlin die "Fotografiska Days" statt. Aber interessanter als diese Veranstaltung ist die Frage, was Fotografiska ist: ein Unternehmen, das mit  Fotoausstellungen neue Gebäude aufwertet: zum Beispiel das ehemalige Tacheles in Berlin. Kunst wird so zum Appendix. Aber alles ist schick: die Fotos, das Gebäude, der Diskurs und die Portemonnaies der Investoren.
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Ende März gingen in Berlin am Rande des Tempelhofer Feldes die "Fotografiska Days" über die Bühne, ein Präludium für die im kommenden Herbst geplante Eröffnung der "Fotografiska". Ich wollte darüber schreiben, der Text fiel jedoch im Verhältnis zur Harmlosigkeit der Veranstaltung zu polemisch aus, also ließ ich es sein.

Aber was die "Fotografiska" ist, das ist schon eine interessante Frage.

Ehemaliges Tacheles Areal März 2023



Das Unternehmen Fotografiska wurde 2010 in Stockholm  von Jan und Per Broman sowie privaten Finanziers wie dem Investmentbanker Sven Hagströmer als "Fotomuseum" gegründet - obwohl es über keine eigene Sammlung verfügt, keine Forschung betreibt und auch nicht dem Verband schwedischer Museen angehört. Das Unternehmen bekommt keine öffentlichen Fördermittel, die kommunale Hafenverwaltung hat jedoch das Gebäude, in dem sich die Fotografiska befindet, um rund dreiundzwanzig Millionen Euro renovieren lassen und gewährt einen Zuschuss bei der Miete.

Aufsehen erregte die neue Location gleich zu Beginn mit einer Retrospektive von Annie Leibovitz, die vom Brooklyn Museum ausgeliehen wurde.

2016 klagten die Fotografiska-Betreiber gegen den Beschluss der schwedischen Regierung, den Besuch öffentlicher Museen frei zugänglich zu machen. Sie sahen ihr Geschäftsmodell bedroht, das mit Eintrittsgebühr funktioniert. Jan Broman erklärte dazu: "Fotografiska ist ein Geschäft, kein Denkmal für uns. Kunst ist im Grunde superkommerziell."

Die Schwammigkeit des formulierten Unternehmensziels ("Vision") ist bei solchen Unternehmen Programm: eine Symbiose aus "Weltklasse-Fotografie, ausgewählten Programmen, Haute Cuisine und neuen Perspektiven".
Inzwischen gibt es Dependancen in New York und Tallinn, wie immer in bester Lage. Pläne in London haben sich angesichts des Brexit hingegen zerschlagen.

Ein ähnliches Konstrukt hat übrigens in den letzten Jahren bereits in Berlin Fuß gefasst, "Chaussee 36" (mehr hier).

Die künftige deutsche Dependance des expandierenden schwedischen Unternehmens liegt im Zentrum Berlins, auf dem Gelände der einstigen Indie-Trutzburg Tacheles, das vom Berliner Senat unter Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) 1998 "für absurde 2,8 Millionen Mark" (Niklas Maak in der FAZ) verkauft wurde - eines der Penthouses, die dort inzwischen gebaut wurden, kostet 4,5 Millionen Euro, eine 50-Quadratmetermeter-Wohnung wird auf 685.000 Euro taxiert.

Den Zuschlag für das 25.000 Quadratmeter große Grundstück an der Ecke Oranienburger Straße / Friedrichstraße erhielt letztlich der milliardenschwere US-Immobilienfonds "Parella Weinberg Real Estate" (PWR), der eine gemischt genutzte Immobilie errichtete. Ansprechpartner in Sachen Tacheles-Areal war einst der ehemalige Bausenator und Ex-SPD Chef Peter Strieder, der 2004 wegen der Tempodrom-Affäre von allen politischen Ämtern zurückgetreten war (mehr dazu seinerzeit im Spiegel).

Mit der architektonischen Konzeption wurden die gerne an der lukrativen Schnittstelle zwischen internationalem Geldadel und lokaler Politik operierenden Jacques Herzog und Pierre de Meuron betraut - wer auch sonst? Immerhin wartet ganz Berlin schon auf die nächste architektonische Zwangsbeglückung durch das dynamische Duo: die Baumarkt-Halle für Gegenwartskunst.

Mit der Vergabe an die "Fotografiska" sei der für das Areal festgelegten kulturellen Nutzung Genüge getan, meint laut Tagesspiegel Ephraim Gothe (SPD), stellvertretender Bürgermeister im Bezirk Mitte und zuständig für die Bereiche Stadtplanung, Bau- und Wohnungsaufsicht sowie Denkmalschutz.

Fotografiska Days ©  Karoline Bofinger


Von den Fotografiska-Machern und deren Pressestelle wird man nicht behaupten können, dass sie humorlos wären. In einer Selbstauskunft heißt es: "Fotografiska ist eine Gemeinschaft, die allen offen steht und von allen gestaltet wird - genau wie Berlin."

Gestaltung und nähere Umgebung der Fotografiska in New York erinnern an international üblich gewordene Hybride aus Shopping Mall, Duty Free - Bereichen in Flughäfen, Hotels und Galerien: Besucher ebnen sich ihren Weg durch Shops, werden in Restaurants geleitet und gelangen irgendwann zur Fotogalerie, wobei die Ausstellungen kaum mehr als ein Surplus für Konsum, ein Steckenpferd für die Upper Class und Feigenblatt für die Stadtverwaltung darstellen.

Wie sich die Fotografiska mit Kunst als Appetizer fürs zahlungskräftige, genussorientierte Klientel in eine Konsumlandschaft aus Restaurants und Handtaschenläden, Hotels und Juwelieren einfügt, beschreibt episch breit und in großartig unschuldiger Weise ein weiterer Artikel des Berliner Tagesspiegel, diesmal auf den Lifestyle-Seiten, aus dem ich mir komprimiert zu zitieren erlaube: "Cafés sehen wie Designerlaboratorien aus, Friseurläden erinnern an minimalistische Galerien. Durch die Geschäfte bummeln und sich Ideen für das eigene Zuhause holen. Besucher können sich vor Ort Stoffe zuschneiden lassen. Wer danach einen Snack benötigt, zieht sich ins Museumsrestaurant zurück. In einer Ausstellung wird eine quietschgelbe Parkuhr zum begehrenswerten Objekt. Eine britische Fotokünstlerin hat überall auf der Welt Plastikmüll aus dem Meer gesammelt und in riesigen Schautafeln zusammengestellt. Bei den ausgestellten Werken verliert man leicht die Übersicht, ob es sich nun um gegenständliche Kunst oder einen kunstvoll entworfenen Gebrauchsgegenstand handelt."

Fotografiska Days ©  Karoline Bofinger



Was es auf den "Fotografiska Days" zu sehen gab, war- wie anfangs erwähnt - wenig berauschend. Aber aussagekräftige Einzelheiten des wie überall hemmungslos aufgeblasenen Drumherums möchte ich den werten LeserInnen doch nicht vorenthalten.

Nicht fehlen durfte eine "Portfolio-Review": Die Fotografiska preist das als "unique opportunity" an, dabei gehört derlei zum Alltag dieses Geschäfts. Junge Leute und ambitionierte Amateure werden durch (vermeintlich) relevante Namen von Personen, Institutionen und Unternehmen angefixt, eine Auswahl ihrer bisherigen Arbeiten zu präsentieren. ExpertInnen geben dann ein Feedback im Umfang von jeweils zwanzig Minuten. Die Hoffnungen und Träume  der FotografInnen - entdeckt zu werden und eine Empfehlung für eine gute Galerie oder einen namhaften Fotobuch-Verlag zu bekommen - sind das Herzblut und das einzig wirklich Bedeutende der unzähligen, einander aufs Haar gleichenden Formate von Reykjavik bis Tel Aviv.

Für die Professionals ist es meist eine Möglichkeit, sich wichtig zu fühlen, in entspannter Atmosphäre zu netzwerken und einen bezahlten Kurzurlaub im sonnigen Athen oder Arles abzugreifen.

Die Experten waren ihres Zeichens: "Exhibition Manager, Photographer, Professor, Curator, Mentor, Artist, Speaker, Arts Writer, Managing Director, Photography Director, Researcher, Advisor, Cultural Critic, Philosopher, Teacher, Founder, Designer, Festival Director, Educator, Moderator, Lecturer, Gallery Owner" - bestenfalls natürlich alles auf einmal oder zumindest so viel davon wie möglich.

Die überwiegend jungen TeilnehmerInnen der Ausstellungen und der Podiumsdiskussionen standen dieser kaum abzuschätzenden Entfesselung von kreativer Energie in nichts nach - sie sind die potenziellen ProfessorInnen und KuratorInnen der Zukunft.

Nur ein Beispiel: Eine "Female visual artist and curator", die sich mit "film, video, photography, drawing, writing, objects and installations" Ausdruck verschafft und dabei "poignant intimacy, social commentary, non-linear historical narratives, personal histories, politics of memory, modes of resistance and women's struggle" mit "empathy" zu "powerful political statements" verarbeitet.

So ist das eben, wenn profitorientierter Kunstbetrieb, neoliberale Selbstoptimierung, eine gewisse Form von Politik und die Aneignung emanzipatorischer Narrative eine schicke Verbindung eingehen.

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de