Fotolot
Deutlich kleinere Krapfen
Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
09.08.2023. Gerade verregnete Sommer gewähren ästhetische Chancen. Aus diesem Anlass ein Rundgang durch einige Ausstellungen der Feriensaison: Es stellt sich heraus, dass die Tate Modern den Weggang ihres Fotokurators Simon Baker noch nicht verkraftet hat. Interessanteres über den Grenzbereich zwischen Kunst und Fotografie gibt es aber in Deventer, Niederlande, nämlich Ellen Korth. Und auch im Salzkammergut könnte nicht nur der Regen in Ausstellungen locken. Fotolot-Newsletter abonnierenDie Bühne gibt das Stichwort.
Einen Besuch der Salzburger Festspiele wollte ich zum Anlass nehmen, mir endlich einmal das seit einiger Zeit als sommerliches Highlight durch die Medien geisternde Foto-Festival im oberösterreichischen Gmunden anzusehen. Es traf sich gut, dass ein befreundeter Regisseur zur gleichen Zeit im Rahmen der "Festwochen Gmunden" Thomas Bernhards "Ritter Dene Voss" mit SchauspielerInnen des Wiener Burgtheaters inszenierte.
Kern des Stücks ist seit Claus Peymanns legendärer Inszenierung aus dem Jahr 1986 die "Brandteigkrapfen-Szene", in der der Schauspieler Gert Voss sich einen großen Brandteigkrapfen nach dem anderen in den Mund stopft und dabei weiter schimpft - und zwar so, dass das Publikum seine Worte bis auf den Rang meist gut versteht, was viel über Voss' außergewöhnliches, handwerkliches Können aussagt, aber auch über die heute an Bühnen großteils verlorene gegangene Kunst der Stimmbildung.
Philip Hochmair, der Voss' Rolle spielt, wirft sich ins Zeug, stopft sich (im Vergleich deutlich kleinere) Krapfen in den Mund, schmiert sie sich übers Gesicht und in die Haare - tapfer! Aber für die Verleihung des "Brandteigkrapfen-Awards" zum Gedächtnis an Gert Voss muss er trotzdem noch ein wenig üben.
"Gmunden.Photo23" ist ebenso Teil der Festwochen. Auf dem Gelände einer ehemaligen Gärtnerei hat man einige Schiffscontainer verteilt, in denen noch bis zum 13. August die Arbeiten von sechzehn FotografInnen zu sehen sind. Prominente Namen - Helmut und June Newton, Stanley Kubrick, Anton Corbijn, Mark Seliger - werden unter dem Motto "Powerplay - Fotografische Synergien von Kunst, Mode und Musik" einer "jungen, hauptsächlich in Wien lebenden und arbeitenden KünstlerInnen-Generation" gegenübergestellt, deren Hauptmedium die Fotografie" ist.
Kuratorin Lisa Ortner-Kreil wollte nach eigener Aussage "einmal ein Projekt mit starkem Popkultur-Bezug" realisieren, das sich "im Grenzbereich der Künste abspielt".
Mit Grenzbereichen hat das, was sich da im beschaulichen Gmunden abspielt, rein gar nichts zu tun. Die Schnittstelle Mode/Popkultur/Fotografie wird seit Jahr und Tag zwischen Mailand und Paris, San Francisco und New York rauf und runter beschworen, erst recht, seit Modeunternehmen wie Prada, Louis Vuitton und Cartier aktiv ins Geschehen eingreifen. Wer sowieso in der Gegend ist (in der es im Sommer gerne mal regnet), soll trotzdem gerne vorbeischauen.
Gleich zwei Ausstellungen gibt es diesen Sommer von Fred Hüning, die eine in Frankfurt/Oder, die andere in Essen. In beiden bleibt Hüning dem treu, was ich 2022 anlässlich einer Ausstellung in Berlin über ihn geschrieben habe: dass er kein Label bedienen will, sondern einfach dem nachgeht, was ihm gerade interessant erscheint. 2022 hat er sich an Stillleben abgearbeitet, die Barnett Newmans Frage legendäre Frage "Who's Afraid of Red, Yellow, and Blue?" aufgriffen. (Ein Jahr ist schlicht zu kurz, um die Primärfarben-Thematik abzuhandeln. Man darf gespannt sein, ob Hüning noch Substanzielles nachlegt.)
Im Rahmen des Pixelprojekts der "Stiftung Zollverein Essen" und des Ruhrmuseums zeichnet er nun in "Wovon Maschinen träumen" ein Porträt der Stadt Duisburg und des Ruhrgebiets anhand von Orten, an denen er nie war und die er nie selbst fotografiert hat. Wie einst Michael Wolf bedient er sich dabei der Bilder, die eine Rundumkamera, montiert auf dem Dach eines Autos, im Auftrag von Google Street View aufgenommen hat.
Hünings Bilder entstehen, in denen er sich die Aufnahmen auf dem Rechner von allen Seiten aus ansieht und die Blickwinkel und Details auswählt, die ihm relevant erscheinen. Dass die Gesichter dabei verpixelt sind, findet er interessant, da dadurch "der individuelle Ausdruck verschwindet und die handelnden Personen zu Archetypen werden".
Gleich zwei Ausstellungen gibt es, die sich mit dem - was sonst - "Grenzbereich" zwischen Fotografie und Malerei beschäftigen.
Die eine heißt (ganz originell) "Capturing the Moment" und klotzt in der Londoner Tate Modern mit ganz großen Namen, darunter Andy Warhol, Gerhard Richter, Jeff Wall, Hiroshi Sugimoto und Andreas Gursky. Die Lektüre des kuratorischen Beipackzettels ist in ihrer von Selbstzweifeln freien Naivität erheiternd: "Das Aufkommen der Fotografie veränderte den Lauf der Malerei für immer. In dieser einzigartigen Ausstellung (weil sich ja noch niemand mit den Werken der angeführten KünstlerInnen beschäftigt hat …) zeigen wir die dynamische Beziehung beider Medien anhand ikonischer Kunstwerke der jüngeren Vergangenheit."
Was mir dazu einfällt, ist, dass die Tate Modern den Wechsel ihres Foto-Kurators Simon Baker (der als einer der ersten nachdrücklich auf bedeutende Talente wie Mari Katayama oder Sohrab Hura hingewiesen hat) an das Pariser MEP nicht wirklich verkraftet hat (während die Beziehungen zu Scheichs, Oligarchen und anderen Groß-Sammlern sowie Auktionshäusern weiterhin fluffig sein dürften).
Zum Schluss noch ein Sprung in die Niederlande.
Ellen Korth ist seit je dafür bekannt, dass ihr besonderes Augenmerk sowohl dem Material als auch dem Design gilt, das dem Material Form verleiht. Ihre Bücher sind daher immer ästhetisch-haptische Genüsse, die die Sinne aufs Angenehmste in Beschlag nehmen. Das war so in "Utilté", in dem sie strickende Männer und Frauen dem Publikum auf ebenso bestrickende Weise näher brachte. "Fabric of Time", an dem wiederum der legendäre Designer Sybren Kuiper mitarbeitete, ist eine durch Fäden und Nähte zusammengehaltene Schriftrolle aus transparentem japanischem Awagami-Papier - einzelne Blätter wie große Blüten, auf denen sich Fotografien von historischer Unterwäsche befinden.
Im Museum EICAS in Deventer bot sich für Korth nun die Möglichkeit, in ihrem Projekt "Walks" unterschiedliche Elemente zusammenzubringen.
An der Wand hängen die fotografischen Dokumente dieser Meditation, wieder aus Awagami-Papier, das Korth so lange in eine Lauge taucht, trocknet, knittert und bügelt, bis es nur noch ein Hauch ist - fünf davon liegen zu Kugeln geformt auf dem Boden, der von Korth zur Eröffnung mit dem schier endlos aneinander gereihten Wort "und" vollgeschrieben wurde - ein flüchtiges Fundament, das von den Schritten der Besucher mit der Zeit verwischt und irgendwann ganz verschwunden sein wird.
Mit diesem Artikel ist nun auch Schluss - schließlich gilt in Deutschland immer noch: Alles hat eine Ende, nur die Wurst hat zwei.
Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de
Einen Besuch der Salzburger Festspiele wollte ich zum Anlass nehmen, mir endlich einmal das seit einiger Zeit als sommerliches Highlight durch die Medien geisternde Foto-Festival im oberösterreichischen Gmunden anzusehen. Es traf sich gut, dass ein befreundeter Regisseur zur gleichen Zeit im Rahmen der "Festwochen Gmunden" Thomas Bernhards "Ritter Dene Voss" mit SchauspielerInnen des Wiener Burgtheaters inszenierte.
Kern des Stücks ist seit Claus Peymanns legendärer Inszenierung aus dem Jahr 1986 die "Brandteigkrapfen-Szene", in der der Schauspieler Gert Voss sich einen großen Brandteigkrapfen nach dem anderen in den Mund stopft und dabei weiter schimpft - und zwar so, dass das Publikum seine Worte bis auf den Rang meist gut versteht, was viel über Voss' außergewöhnliches, handwerkliches Können aussagt, aber auch über die heute an Bühnen großteils verlorene gegangene Kunst der Stimmbildung.
Philip Hochmair, der Voss' Rolle spielt, wirft sich ins Zeug, stopft sich (im Vergleich deutlich kleinere) Krapfen in den Mund, schmiert sie sich übers Gesicht und in die Haare - tapfer! Aber für die Verleihung des "Brandteigkrapfen-Awards" zum Gedächtnis an Gert Voss muss er trotzdem noch ein wenig üben.
"Gmunden.Photo23" ist ebenso Teil der Festwochen. Auf dem Gelände einer ehemaligen Gärtnerei hat man einige Schiffscontainer verteilt, in denen noch bis zum 13. August die Arbeiten von sechzehn FotografInnen zu sehen sind. Prominente Namen - Helmut und June Newton, Stanley Kubrick, Anton Corbijn, Mark Seliger - werden unter dem Motto "Powerplay - Fotografische Synergien von Kunst, Mode und Musik" einer "jungen, hauptsächlich in Wien lebenden und arbeitenden KünstlerInnen-Generation" gegenübergestellt, deren Hauptmedium die Fotografie" ist.
Kuratorin Lisa Ortner-Kreil wollte nach eigener Aussage "einmal ein Projekt mit starkem Popkultur-Bezug" realisieren, das sich "im Grenzbereich der Künste abspielt".
Mit Grenzbereichen hat das, was sich da im beschaulichen Gmunden abspielt, rein gar nichts zu tun. Die Schnittstelle Mode/Popkultur/Fotografie wird seit Jahr und Tag zwischen Mailand und Paris, San Francisco und New York rauf und runter beschworen, erst recht, seit Modeunternehmen wie Prada, Louis Vuitton und Cartier aktiv ins Geschehen eingreifen. Wer sowieso in der Gegend ist (in der es im Sommer gerne mal regnet), soll trotzdem gerne vorbeischauen.
Gleich zwei Ausstellungen gibt es diesen Sommer von Fred Hüning, die eine in Frankfurt/Oder, die andere in Essen. In beiden bleibt Hüning dem treu, was ich 2022 anlässlich einer Ausstellung in Berlin über ihn geschrieben habe: dass er kein Label bedienen will, sondern einfach dem nachgeht, was ihm gerade interessant erscheint. 2022 hat er sich an Stillleben abgearbeitet, die Barnett Newmans Frage legendäre Frage "Who's Afraid of Red, Yellow, and Blue?" aufgriffen. (Ein Jahr ist schlicht zu kurz, um die Primärfarben-Thematik abzuhandeln. Man darf gespannt sein, ob Hüning noch Substanzielles nachlegt.)
Im Rahmen des Pixelprojekts der "Stiftung Zollverein Essen" und des Ruhrmuseums zeichnet er nun in "Wovon Maschinen träumen" ein Porträt der Stadt Duisburg und des Ruhrgebiets anhand von Orten, an denen er nie war und die er nie selbst fotografiert hat. Wie einst Michael Wolf bedient er sich dabei der Bilder, die eine Rundumkamera, montiert auf dem Dach eines Autos, im Auftrag von Google Street View aufgenommen hat.
Hünings Bilder entstehen, in denen er sich die Aufnahmen auf dem Rechner von allen Seiten aus ansieht und die Blickwinkel und Details auswählt, die ihm relevant erscheinen. Dass die Gesichter dabei verpixelt sind, findet er interessant, da dadurch "der individuelle Ausdruck verschwindet und die handelnden Personen zu Archetypen werden".
Gleich zwei Ausstellungen gibt es, die sich mit dem - was sonst - "Grenzbereich" zwischen Fotografie und Malerei beschäftigen.
Die eine heißt (ganz originell) "Capturing the Moment" und klotzt in der Londoner Tate Modern mit ganz großen Namen, darunter Andy Warhol, Gerhard Richter, Jeff Wall, Hiroshi Sugimoto und Andreas Gursky. Die Lektüre des kuratorischen Beipackzettels ist in ihrer von Selbstzweifeln freien Naivität erheiternd: "Das Aufkommen der Fotografie veränderte den Lauf der Malerei für immer. In dieser einzigartigen Ausstellung (weil sich ja noch niemand mit den Werken der angeführten KünstlerInnen beschäftigt hat …) zeigen wir die dynamische Beziehung beider Medien anhand ikonischer Kunstwerke der jüngeren Vergangenheit."
Was mir dazu einfällt, ist, dass die Tate Modern den Wechsel ihres Foto-Kurators Simon Baker (der als einer der ersten nachdrücklich auf bedeutende Talente wie Mari Katayama oder Sohrab Hura hingewiesen hat) an das Pariser MEP nicht wirklich verkraftet hat (während die Beziehungen zu Scheichs, Oligarchen und anderen Groß-Sammlern sowie Auktionshäusern weiterhin fluffig sein dürften).
Zum Schluss noch ein Sprung in die Niederlande.
Ellen Korth ist seit je dafür bekannt, dass ihr besonderes Augenmerk sowohl dem Material als auch dem Design gilt, das dem Material Form verleiht. Ihre Bücher sind daher immer ästhetisch-haptische Genüsse, die die Sinne aufs Angenehmste in Beschlag nehmen. Das war so in "Utilté", in dem sie strickende Männer und Frauen dem Publikum auf ebenso bestrickende Weise näher brachte. "Fabric of Time", an dem wiederum der legendäre Designer Sybren Kuiper mitarbeitete, ist eine durch Fäden und Nähte zusammengehaltene Schriftrolle aus transparentem japanischem Awagami-Papier - einzelne Blätter wie große Blüten, auf denen sich Fotografien von historischer Unterwäsche befinden.
Im Museum EICAS in Deventer bot sich für Korth nun die Möglichkeit, in ihrem Projekt "Walks" unterschiedliche Elemente zusammenzubringen.
An der Wand hängen die fotografischen Dokumente dieser Meditation, wieder aus Awagami-Papier, das Korth so lange in eine Lauge taucht, trocknet, knittert und bügelt, bis es nur noch ein Hauch ist - fünf davon liegen zu Kugeln geformt auf dem Boden, der von Korth zur Eröffnung mit dem schier endlos aneinander gereihten Wort "und" vollgeschrieben wurde - ein flüchtiges Fundament, das von den Schritten der Besucher mit der Zeit verwischt und irgendwann ganz verschwunden sein wird.
Mit diesem Artikel ist nun auch Schluss - schließlich gilt in Deutschland immer noch: Alles hat eine Ende, nur die Wurst hat zwei.
Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de
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