W. G. Sebald

Austerlitz

Roman
Cover: Austerlitz
Carl Hanser Verlag, München 2001
ISBN 9783446199866
Gebunden, 424 Seiten, 23,52 EUR

Klappentext

Wer ist Austerlitz? Ein rätselhafter Fremder, der immer wieder an den ungewöhnlichsten Orten auftaucht: am Bahnhof, am Handschuhmarkt, im Industriequartier ... Und jedes Mal erzählt er ein Stück mehr von seiner Lebensgeschichte, der Geschichte eines unermüdlichen Wanderers durch unsere Kultur und Architektur und der Geschichte eines Mannes, dem als Kind Heimat, Sprache und Name geraubt wurden.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.04.2001

Erst bewundert's Iris Radisch, dann hält sie's dem Autor vor - nämlich seinen geschichtsmetaphysischen Zettelkastenmaterialismus; lässt sich "sanft dahinschaukeln im wohligen Gefühl, dass alles mit allem zusammenhängt", dann haut sie ihm die "blütenweißen Schwimmflügel der Einbildungskraft" um die Ohren: "Irgendwas ist faul". Mit der Sprache - "ein kostbares, der Jahrhundertwende abgelauschtes Idiom, das die Auferstehung der Vergangenheit unmittelbar zu garantieren scheint". Mit dem "hoch eleganten Gelehrtenton", den Radisch plötzlich ins Gespreizte und Affektierte kippen sieht. Vor allem aber mit der Sammelleidenschaft des Autors und einem Museum, das "um den Preis unerhörter Naivität", den Holocaust gleich neben den Hirschhornknöpfen verstaut.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.03.2001

Michael Rutschky ist vom Sebald-Sound gepackt, der ihm beim Lesen in Bann zieht, aber auch dem analytischen Blick des Literaturprüfers noch Stand hält. Rutschky vergleicht den in England lebenden Literaturwissenschaftler mit Alexander Kluge oder Walter Kempowski; allen dreien ist die poetische oder literarische Erinnerungsarbeit ein Anliegen, und wie Kempowski menge Sebald eine Fülle von Bildmaterial unter den Text, schreibt Rutschky, den die Übergänge von Text und Bild, Dokumentarischen und Fiktivem ganz schwindelig gemacht haben - nahtlose Übergänge, hervorgerufen auch durch eine Schachteltechnik, die eine Erzählung bruchlos in die andere einfügt. Das liest sich nach Rutschky folgendermaßen: "Daher, sagte Ashman, sagte Austerlitz ..." - ein stilistischer Manierismus, der für den Rezensenten den unnachahmbaren Sound ausmacht, die "Prosamusik" von Sebalds Texten, die keine klaren Bilder bei ihm hinterlässt, ihn aber unmittelbar in den Erinnerungsprozess einbindet und damit ein "betörendes Vergessen" schenkt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 24.02.2001

Andrea Köhler hat sich mächtig ins Zeug gelegt, uns diesen Roman schmackhaft zu machen. Dass in dem Buch, wie sie sagt, alles wieder da sei, so wie in Sebalds früheren Büchern, ist als Kompliment zu verstehen, als Hinweis darauf auch, dass hier jemand "einer immer tobsüchtiger sich gerierenden Erinnerungslosigkeit" etwas entgegenzusetzen sucht. Des Autors Wille zur Erinnerung (deutscher Geschichte) offenbart sich für Köhler in einem suggestiven, tief melancholischen Tonfall und in einem "universalen Zeichensystem": Eine bis ins kleinste Detail verwobenen Syntax und eine gleichfalls mikroskopische Verflechtung von Bildern, Personen und Orten. Für die Rezensentin ist das Buch rhythmische Melodie und poetische Metaphysik der Geschichte - "in der das Erinnerte so lebendig ist, als würde es gerade geschehen" - in einem.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.02.2001

Dem Ton von Jörg Drews merkt man an, dass er dieses Buch für eines der wichtigsten der Saison halten dürfte - so beeindruckt schreibt er über "Austerlitz". Schon im Titel erkennt er mehrfache Brechungen, denn Austerlitz ist nicht nur der Name des Helden, sondern auch der Name eines Pariser Bahnhofs, der nach einer napoleonischen Schlacht benannt wurde - und das Wort enthält für ihn einen Anklang an "Auschwitz". Der Roman gibt nach Drews den fiktiven Lebensbericht eines Mannes, der mit 21 Jahren erfährt, dass er einen anderen Namen und eine andere Herkunft hat als er bisher angenommen hat und in Wahrheit das Kind deutscher Juden ist, das 1939 nach England ausgeschleust wurde. Und auch hier bewundert Drews die mehrfache Brechung, denn Austerlitz` Geschichte wird nicht direkt präsentiert, sondern er erzählt sie einem zwischengeschalteten Ich-Erzähler. Obwohl der Rezensent die Frage stellt, ob die "betont umsichtige", "fast dröge und zugleich leicht feierliche" Sprache des Buches die Gefahr birgt, zur "Manier" zu werden, beeilt er sich sogleich, dies heftig zu verneinen. Er betont, dass die stilistischen Eigenheiten das Unheimliche und Deprimierende dieses Berichtes nur verstärken. Auch die eingestreuten Schwarz-Weiß-Fotos, die Vorkriegsbauten zeigen, würden den düsteren Eindruck des Buches unterstützen und damit "adäquate Präsenzen, Mementi, Verdichtungen von blinder Massivität" darstellen, die gar nicht erst die Hoffnung auf eine "harmlose" Erzählung aufkommen ließen, so der Rezensent fasziniert.
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