Per Olov Enquist

Das Buch von Blanche und Marie

Roman
Cover: Das Buch von Blanche und Marie
Carl Hanser Verlag, München 2005
ISBN 9783446205697
Gebunden, 239 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Blanche Wittman ist die Lieblingspatientin des Nervenarztes Charcot an der Pariser Salpetriere. Als er auf geheimnisvolle Weise stirbt, wird sie die Assistentin von Marie Curie. Noch ahnt niemand etwas von den Gefahren der radioaktiven Strahlung. Als Blanche erkrankt, lebt sie ganz bei Marie Curie und beginnt ein Buch über die Liebe zu schreiben, ein Buch, in dem sie von Marie Curies Affären erzählt, von ihrer eigenen Liebe zu Charcot und dem Geheimnis um seinen Tod. "Die Liebe kann man nicht erklären. Aber wer wären wir, wenn wir es nicht versuchten?"

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 04.06.2005

Katharina Granzin überschlägt sich fast vor Begeisterung angesichts des neuen Romans des "Ausnahmeautors" Enquist. Dieser habe sich wieder einmal einen historischen Ausgangspunkt gesucht, diesmal in den Personen der Hysteriepatientin Blanche Wittmann und der Wissenschaftlerin Marie Curie. Von diesem Punkt aus macht er sich auf die Suche nach "allgemein gültigen letzten Dingen", indem er seine Geschichte um das spinnt, was hätte sein können, womit er nach Ansicht der Rezensentin "ganz nebenbei" ein neues Genre begründet. Was ihn dabei besonders interessiert, ist der Mensch in einem "dichten Netz wechselseitiger Bezüge" und wie er an diesem Netz zerrt, um Selbstbestimmung über sein Leben zu erlangen, erläurter die Rezensentin. Entstanden sei dabei, so Katharina Granzin, "eine bewegende Hommage an die innere Freiheit des Menschen".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 15.02.2005

Ein großer Wurf, behauptet Andreas Breitenstein über Per Olov Enquists neuen Roman, dessen Aufwand er allerdings etwas in Frage stellt. Die in Frage gestellte Aufwendigkeit meint keineswegs den Seitenumfang, der mit 240 Seiten eher bescheiden wirkt. Gemeint ist die Mischung an "phantastischer Konstruktion und fortlaufender Verrätselung, psychologischer Befragung und symbolischer Überhöhung", die Enquist anhand zweier Frauenfiguren betreibt: Blanche Wittman, eine der bekanntesten, weil bei Charcot vorgeführten Hysterikerinnen, die nach ihrer Heilung als Laborassistentin in der Röntgenabteilung gearbeitet haben soll, sowie Marie Curie, die Entdeckerin des Radiums. Vermutlich haben sich die beiden Frauen gar nicht gekannt, hat Breitenstein recherchiert, aber Enquist präsentiere das Fiktive in Form eines "Fragebuchs" als so authentisch, dass er etwa die Hälfte des Buches gebraucht habe, um an dem Wirklichkeitsgehalt des Berichteten zu zweifeln. Die desolate Situation der Frauen damals, die unrühmliche Frühgeschichte der Psychiatrie, die erste Wissenschaftseuphorie, all das sind Themen, die Enquist verknüpft; sein Hauptthema aber sei die Liebe, meint Breitenstein, was zugleich die Stärke wie Schwäche des Buches ausmache. Je weniger sie sich fassen lasse, um so mehr neige der Autor in solchen Momenten zum Pathos. Momente, die der Faszination des Buches als Zeit- und Sittengemälde ansonsten nichts anhaben könnten.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.02.2005

Thomas Steinfeld mag Perl Olov Enquists "traurig-schönes" Buch auf eine melancholische Art und Weise. Er sieht in der Geschichte um Marie Curie und ihre Mitarbeiterin Blanche Wittman einen möglichen Abschluss der literarischen Arbeit Enquists, einen Schlusspunkt, der eng verbunden ist mit Enquists jüngsten historischen Romanen "Leibarzt der Königin" und "Lewis Reise". Beide Bücher seien Lebensgeschichten, immer geht es um Befreiung und erhoffte Erlösung und eine Anstrengung, die am Ende "läppisch zugrunde geht". Dabei ähnelt dieses Buch nur einem historischen Roman, Steinfeld sieht darin eher "eine Art Winterreise durch geschichtliche Dokumente, ein phantastisches Tableau mit historischen Figuren", das immer wieder auch mit der eigenen Lebensgeschichte Enquists verbunden wird. Wissenschaftsgeschichte und Lebenslauf sind parallel geschaltet in diesem Buch der Frauen, diesem "Werk der Befreiung" und natürlich der Liebe. Wo da die Kunst bleibt? Steinfeld entdeckt sie in der Integrität der Menschen, und in der "Zartheit, mit der Per Olov Enquist mit diesen Figuren umgeht".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.02.2005

Kühn verwebt Per Olov Enquist in seinem historischen Roman über Marie Curie und ihre Laborassistentin Blanche Wittman Fakten mit Fiktion. Schon damals sei zwar die Affäre Marie Curies mit ihrem verheirateten Kollegen Paul Langevin bekannt gewesen, die in Frankreich einen Skandal auslöste und Marie Curie zur Flucht nach England trieb. Die Liaison Blanche Wittmans, "Königin der Hysterikerinnen" in der Salpetriere, mit dem berühmten Nervenarzt Jean Martin Charcot entspringe hingegen der Fantasie des Autors. Dennoch macht Enquist keine historischen Fehler, sondern füllt vielmehr Lücken auf, meint die Rezensentin. Das erste Drittel des sachlich geschriebenen Buches hat sie mit großer Neugier gelesen, kann sich später aber nicht des Eindrucks erwehren, der Autor werde von seiner eigenen Geschichte überrollt. Die Distanz zum Thema geht in dem Maße verloren, wie die Sprache zunehmend lieblich, sogar schwülstig wird. Enttäuscht ist die Rezensentin außerdem darüber, dass Enquist seine Marie Curie mit wenig Interesse behandelt, sie zu einer Ehebrecherin und Geschlagenen der Liebe reduziert und darin genau so verfährt, wie es das bigotte katholische Frankreich seinerzeit tat. Genau das aber habe der Autor doch eigentlich untersuchen wollen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.02.2005

Ina Hartwig ist voller Bewunderung für Per Olov Enquists Fähigkeit, eine "erregende, leuchtende, gefährliche, verlockende Grundatmosphäre zu erzeugen", und vermutet, "dass es ihm auf exakt diese Atmosphäre schriftstellerisch ankommt". Im Dienst dieser Absicht stehen hier zwei Leitmotive: die Beschneidungen oder "Amputationen an Leib und Seele" und das "große Leuchten" - der Elemente, der Liebe. Die Marie des Titels ist die Nobelpreisträgerin Marie Curie, die Entdeckerin des (leuchtenden) Radiums, die auf Grund einer Liebesbeziehung zu einem renommierten Physiker ihre Ehre und ihre Forschungsarbeit verlor; Blanche ist die Psychiatriepatientin Blanche Wittman, die berühmteste Hysterikerin der Klinik Salpetriere, die amputierte Frau, "das Torso", die nach ihrer Entlassung Curies Assistentin wurde. Eines der unerhörten Elemente von Enquists Geschichte: die (historisch unverbürgte) Liebe zwischen Blanche, dem "Torso", und Professor Charcot, dem Chef der Salpetriere. Die Kühnheit, so Hartwig, besteht in der Überschreitung der Grenzen zwischen Arzt und Patientin, zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Mann und Frau, so wie in der Freundschaft zwischen Blanche und Marie Curie "die Kluft zwischen Ruhm und sozialer Vernichtung, zwischen Liebesglut und Schande" einschmilzt und eine - "je nachdem erregende oder grausame virtuose" - Ambivalenz erzeugt. Ein "virtuos erzählter Roman".