Nico Bleutge

fallstreifen

Gedichte
Cover: fallstreifen
C.H. Beck Verlag, München 2008
ISBN 9783406576874
Gebunden, 79 Seiten, 12,90 EUR

Klappentext

Das Gedächtnis ist ein stummes Archiv, in das nur die Erinnerung und die Wörter Leben hineinbringen. Doch das Erinnern liefert keine festen Bilder oder Geschichten, es sind nur Späne, Sprachsplitter und kleine Impulse, die aufleuchten, um sich bald schon zu verändern. Nico Bleutges Gedichte folgen dieser Bewegung mit ihrem Rhythmus und ihrem Klang, immer nah an der Wahrnehmung, immer nah an den Risslinien von Sprache und Welt:"was sich da häutet, / schichtet, nah sich aufeinander schiebt. / das kriecht die wirbel noch entlang, / drückt nach in den knochen". In seinem zweiten Band erkundet der junge Lyriker zwischen eigener Geschichte und Landschaften das Terrain der Erinnerung, über die Uwe Johnson einmal geschrieben hat, sie gleiche einer mächtigen grauen Katze hinter Fensterscheiben, unnahbar, stumm und verlockend. Seine neuen Gedichte führen in die Vergangenheit hinein, machen historische Schichten und Stimmen lesbar, von der Zeit des Barock bis zu den Resten des Zweiten Weltkriegs auf der Insel Sylt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.12.2008

Nachdem Nico Bleutges Lyrikdebüt "klare konturen" Sibylle Cramer bereits restlos überzeugt hatte, ist auch sein zweiter Lyrikband "fallstreifen" nur dazu angetan, sie zu begeistern. Der Lyriker geht in seinem jüngsten Buch über die vom "bewegten Auge" gemachten Wahrnehmungen hinaus und spürt der fragmentarischen und zufälligen Arbeit des Erinnerns nach. Wie schon in Bleutges erstem Gedichtband ergibt sich kein rundes Ganzes, Erinnerung wird mit der Formlosigkeit und Ungreifbarkeit von Staub verglichen und in außerordentlich "kleinteiligen" Gedichtstrukturen zu fassen gesucht, stellt Cramer fest. Heraus kommen "authentische Späne, Splitter, Fetzen", die Bleutge beeindruckend "formsicher" und "hochreflektiert" in Sprache gießt, schwärmt die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 18.10.2008

Rezensent Andreas Wirthensohn schätzt den Lyriker Nico Bleutge als so gelehrten und gewieften Poeten, dass er ihm sogar zutraut, die Naturlyrik vom Etikett "befremdlichen Eskapismus" zu befreien, das ihr anhaftet, seit Gottfried Benn sich über die "Bewisperer von Gräsern und Nüssen und Fliegen" mokierte. Bleutges Gedichte charakterisiert Rezensent Wirthensohn als "Sprache gewordene Wahrnehmung", die Ordnung der Natur entsteht allein im Auge des Betrachters, erklärt der Rezensent das lyrische Prinzip Bleutges: "Schauen, horchen, spüren." Wirthensohn gerät über die "bewunderswerte Souveränität" dieser Gedichte derartig ins Schwärmen, dass er sich zu der Empfehlung hinreißen lässt, dass es "fast ein Verbrechen" wäre, sie nicht zu lesen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2008

Mit Goethe nichts am Hut. Wie gut, denkt Rezensent Wulf Segebrecht, dass Naturlyrik auch aussehen kann wie in diesem Band von Nico Bleutge. Dass der Autor die "größte Begabung" unter den jüngeren deutschsprachigen Lyrikern ist, findet Segebrecht durch die versammelten Texte bestätigt. Bleutges Talent und das Neue an diesen Gedichten sieht der Rezensent darin, dass kein lyrisches Ich hier sein Naturempfinden wiedergibt und bewertet, sondern Beobachtung nur mehr noch "rudimentär" stattfindet und die Gegenstände selbst den Blick leiten. Dazu passt die "sorgfältig reflektierte, rhythmisierte" Sprache, schreibt Segebrecht und meint den Glücksfall einer Einheit von Natur und Kunst. Wenn die Texte mit ihren vielen Zitaten außerdem zu dem "intellektuellen Spaß" einladen, das kursiv Gesetzte den in den Anmerkungen genannten Autoren zuzuordnen - bitte sehr. Segebrecht gefällt der Anspruch dahinter. Er zeigt sich für ihn auch in der konzeptuellen Anlage von Gedichttiteln, Kapiteln oder dem "Gang und der Blickführung" der Texte.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.10.2008

Rezensent Michael Braun hat sich in Nico Bleutges Gedichten sehr gut zurechtgefunden. Er berichtet nämlich von einer Art übersinnlichem Exkurs, den er mithilfe der Zeilen durchgemacht hat. In dieser Poesie, so Braun, gehe es nicht mehr um einen Autor, sondern viel mehr um ein "trancehaftes? Beobachten, um ein Sammeln von Sinneseindrücken. Das eigentliche Thema der Gedichte, so erahnt man in Brauns Rezension, sind Naturphänomene. Diese werden vom Dichter entfremdet verpackt, so wie er sie erlebt haben mag. Braun nennt diesen Prozess eine Überschreitung des "Oberflächenpositivismus?, eine Erweiterung des "Wahrnehmungsprogramms? über "meteorologische Eigentümlichkeiten?. Licht- und Wetterverhältnisse wurden für ihn zum romantischen Erlebnis, und in einem Gedicht über einen Fernseher weiß Braun, dass Bleutge "deutlich? auf die "mediale Präformierung der Wahrnehmungen? hinweist. Abschließend merkt er noch an, dass sich Bleutge seit seinem letzten Lyrikband noch deutlich gesteigert habe.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.09.2008

Lothar Müller zeigt sich begeistert vom zweiten Gedichtband von Nico Bleutge, dem er attestiert, mit der Gegenwart wie der Vergangenheit zu korrespondieren - so gibt es Bezüge zu H.C. Artmann oder Thomas Kling, aber auch zur barocken Lyrik Caspar von Lohensteins und Andreas Gryphius'. Auf Augenhöhe mit der Lyrik der Moderne erweise sich Bleutge, wenn er im Modus des "sprechenden Auges" schreibt, das sich von "Reimzwang" und Metrik unabhängig erklärt - ohne doch in letzter Instanz an diesen "Mythos" unvermittelter Evidenz zu glauben. Zur Bildhaftigkeit der Gedichte gehöre denn auch, dass Bleutge den Leser mit "Treuherzigkeiten" verschont. Miller lobt die Intensität des Geschilderten, die er aus den "unaufdringlichen Rhythmisierungen" sich entwickeln sieht, denn der präzisen Wahrnehmung Bleutges entspreche auch als zweites grundlegendes Prinzip dieser Gedichte "das Horchen und Lauschen" und die Sensibilität für Geräusche.
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