Michel Foucault

Dits et ecrits. Schriften in vier Bänden

Band 2: 1970-1975
Cover: Dits et ecrits. Schriften in vier Bänden
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783518583531
Kartoniert, 1032 Seiten, 58,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Daniel Defert und Francois Ewald unter Mitarbeit von Jacques Lagrange. Aus dem Französischen von Reiner Ansen, Michael Bischoff, Hans-Dieter Gondek, Hermann Kocyba und Jürgen Schröder. In Michel Foucaults theoretischen wie politischen Auseinandersetzung mit dem Gefängnis, die in den großangelegten Band "Überwachen und Strafen" mündet, profilieren sich die Genealogie als theoretischer Fokus und die Neubestimmung einer Theorie der Macht als wirkmächtige Kritik an der philosophischen, psychoanalytischen und politischen Tradition. Foucaults Entwurf einer Disziplinarmacht als höchst provokative Verbindung einer Theorie der Genealogie, der Norm, der Subjektivität, der Institutionen, der Macht, der Politik und des Rechts hat einen nicht zu unterschätzen Einfluß auf das gesamte Feld der Geistes- und Sozialwissenschaften. Eine Vielzahl der Beiträge ist dem politischen Engagement Foucaults gewidmet: Foucault als luzider Kritiker des politischen Systems, das ist eine der Entdeckungen, die dieser Band bereithält.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.12.2002

Der nun auf deutsch vorliegende zweite Band der Schriften von Michel Foucault, der Interviews, Diskussionsmitschriften, kunsttheoretische Abhandlungen, politische Interventionen, Vorträge und Vorworte des Philosophen aus den Jahren von 1970 bis 1975 versammelt, zeigt nach Ansicht von Rezensent Thomas Lemke, "wie sehr Foucault seine Arbeit nicht als Bruch, sondern als Fortsetzung des Marxschen Projekts ansah". Lemke erkennt in der von Foucault skizzierten "Kritik der politischen Anatomie", die die Bedeutung von Körperzurichtungen und Subjektformierungen für die Entstehung und Stabilisierung kapitalistischer Gesellschaften herausstelle, eine "Ergänzung und Vertiefung" der Marxschen "Kritik der politischen Ökonomie". Anfang der 1970er Jahre wandte sich Foucault nach Auskunft Lemkes zwei neuen Themen zu, zum einen der Machttechnologie, die die Körper hervorbringe, sie zurichte und an den gesellschaftlichen Verhältnissen ausrichte, zum anderen der Analyse der Institution des Gefängnisses und der Strafpraktiken. Für Lemke folgen Foucaults Texte aus diesem Band "weder einem Zwang zur Politisierung noch einem Imperativ der Diskontinuität". Hinter der Aufgabe von Konzepten wie "Diskurs" oder "Episteme" werde ein Moment der Kontinuität sichtbar. "Foucaults Schriften", schließt Lemke, "zeigen die Bewegung eines Denkens, das sich treu bleibt, indem es sich permanent verändert und verlagert."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.10.2002

Gut tausend Seiten Foucaultscher Schriften pro Band, vier insgesamt sollen es werden, weiß Philipp Sarasin. Nun liegt der zweite auf Deutsch vor, und Sarasin weist gleich zu Anfang den Vorwurf zurück, der enorme Umfang dieser nachgelassenen Schriften sei womöglich nicht gerechtfertigt. Erstens brauche man nur ein paar der überraschend klaren Interviews mit Foucault zu lesen, um zu verstehen, worum es dem Philosophen ging. Zum anderen seien auch die anderen "Gelegenheits"-Texte sehr viel zugänglicher als mitunter Foucaults Bücher, behauptet Sarasin. Für ihn bietet der zweite Band, der die Jahre 1970-1975 umfasst, die Möglichkeit, Foucaults politischen Wechsel nachzuvollziehen, seinen "Übergang von einer Analyse der Wissenssysteme zur Analyse der Macht", schreibt Sarasin. Foucault blieb vom Selbstverständnis her ein "Archivar", sagt Sarasin, aber er wurde revolutionär, ein Agitator, ein Kollegenschreck. Erstaunt notiert Sarasin, dass von bestimmten Begrifflichkeiten, die man heute als typisch "foucaultianisch" empfindet - wie "Biopolitik" -, bis 1975 noch gar nicht die Rede war.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.10.2002

"Es ist eine Lust, diese Schriften hintereinander wegzulesen." Dieser Ansicht ist Rezensent Bernhard Dotzler nach der Lektüre des zweiten Bandes von Michel Foucaults gesammelten Schriften. Für Foucault, so der Rezensent, steht fest, dass die "verdrängte Beziehung zwischen Wissen und Macht ... den kollektiven und eigentlichen Ödipuskomplex in unserer Gesellschaft" darstellt. Aus der tiefgehenden Verquickung von Wissen und Macht ergebe sich für Foucault ein Bild des Intellektuellen, für den Denken und Engagement untrennbar seien. Foucaults "Partisanentexte", meint der Rezensent, sind kein "Werk", sondern "kleine Werkzeugkisten". Statt als broschierte Heftchen (wie früher bei Merve) erscheinen sie nun als Gesammelte Schriften "gravitätisch" gebunden im Suhrkamp Verlag, doch für Dotzler können sie gerade in dieser "etwas entrückten Form" ihre "subversive Intelligenz" heute am besten entfalten. Subversiv, weil sich in die Foucaultschen Wiederholungen subtile Verschiebungen einschleichen, die teilweise ins Widersprüchliche führen, so der Rezensent. Man merke den Texten an, wie sehr Foucault das "Spiel des privilegierten Sprechens" spiele. Auch an Aktualität habe Foucault nichts eingebüßt, wenn er zum Beispiel schon 1970 die Genetik als große "Umwälzung des Wissens" ansah und einerseits eine fortschreitende Spezialisierung feststellte, aber gleichzeitig eine schnellere interdisziplinäre Kommunikation des Wissens. Nicht vergessen, so Dotzler, sollte man dabei, dass Foucault damit eine "kritische Arbeit" verband, die immer mehr aussterbe.