Marisha Pessl

Die alltägliche Physik des Unglücks

Roman
Cover: Die alltägliche Physik des Unglücks
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007
ISBN 9783100608031
Gebunden, 602 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel. Blue hat den Blues. Ihr Vater, der Universitätsprofessor, zieht schon wieder um. Nie länger als ein Semester bleiben Tochter und Vater an einem Ort. Bald kennt Blue jedes College. Zum Glück hat sie die Bücher, ihre engsten Vertrauten. Und so hungrig wie sie Geschichten auf Papier verschlingt, so lustvoll stürzt sie sich ins pralle Leben: Charmant und witzig besticht sie als wandelndes Lexikon und lässt zugleich keine Wodkaflasche an sich vorbeiziehen. Jeder weiß, Blue ist besonders. Man liegt ihr zu Füßen. Und dann passiert ein mysteriöser Mord und ihr Leben gerät aus den Fugen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 25.04.2007

Ein wunderbares multiples Kunststück habe Marisha Pessl da als Debüt aus dem Hut gezaubert, von College-Roman bis Thriller sei hier alles drin. Aber bitte, sorgt sich Rezensent Ulrich Sonnenschein um mögliche Fehleinschätzungen, Bildungshuberei betreibe die Autorin nicht, trotz integrierter Lehrstunde "in Sachen Weltliteratur". Wenn der Roman mit der "Lektüreliste" der noch in die Schule gehenden Heldin Blue van Meer beginne und alle Kapitel säuberlich auf ein literarisches Großwerk anspielten, dann sei das erstens "undidaktisch", und zweitens doch offensichtlich spielerisch-ironisch. Der zweite mögliche Irrtum, den der Rezensent prophylaktisch aus dem Weg räumen möchte, betrifft die auffällige Nähe der Heldin zu ihrer Schöpferin. Wer so lese, vermassele sich den Genuss eines "modernen romantischen Epos". Die hochbegabte Blue und ihr Universalgenie von Vater, erklärt der Rezensent, verkörperten nämlich Ideen. Neben solcher "Künstlichkeit" habe die Autorin gewissermaßen zur Balance historische Zitate mit Quellenangaben eingebaut, auch erfundenen. Oder wenn der Vater bei einer Demo in Berlin jemand begegne, der später als Benno Ohnesorg erkennbar werde, dann erzeuge dies gleichfalls eine "ungeheure Welthaltigkeit". Blues Vater spreche selber an einer Stelle von einem "Epos", das es zu schaffen gelte. Voila, präsentiert ein glücklicher Rezensent ein "erstaunliches" und garantiert unprätentiöses Buch voller "Humor und Selbstironie".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.04.2007

Gleich zu Beginn seiner Rezension gesteht Jochen Jung, dass ihm zu diesem in den USA viel gefeierten Debütroman nicht viel einfällt. Einerseits findet er das Können der jungen Autorin schon irgendwie auch beeindruckend. Virtuos sei sie - gelegentlich jedenfalls - als Vergleichefinderin, belesen sowieso. Aber mit Können allein schreibt man noch keinen guten Roman und darum ziehe sich dieser, ohne recht in Gang zu kommen, immer wieder nur so dahin. Angesiedelt ist alles im Schulmilieu, es geht - wenn es dann mal losgeht - um eine mysteriöse Lehrerin und dann sogar eine Tote im Swimmingpool. Am Grundproblem, dass hier nämlich "ein frappierendes technisches Repertoire" sozusagen ins Leere läuft, weil Marisha Pessl nicht wirklich etwas zu erzählen hat, ändern diese späten Handlungskapriolen nach Ansicht des Rezensenten aber nichts.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 24.03.2007

Sympathie bekundet Tobias Rapp für Marisha Pessls Debütroman "Die alltägliche Physik des Unglücks", der in den USA im letzten Jahr ein veritabler Bestseller war und nun auf Deutsch vorliegt. Er beschreibt das Buch als Mischung aus Collegeroman und Schauergeschichte, Verschwörungsroman und Coming-of-age-Erzählung, würdigt ihn als "elegantes Verwirrspiel", dessen Charme man sich nicht entziehen könne. Der Roman über eine begabte Studentin, die mit ihrem Vater, einem linken Politologen und brillanten Professor, sämtliche Provinzunis der USA abklappert, glänzt für Rapp insbesondere durch seinen Umgang mit Zitaten aus der Geschichte der Weltliteratur, die eine Parallelwelt eröffnen. Eine Idee der deutschen Romantik, die Rapp in diesem Roman hervorragend umgesetzt scheint. Die wenigen Längen des Buchs fallen für ihn nicht weiter negativ ins Gewicht. Allerdings hält er Pessls vor, das "Luxusproblem vieler amerikanischer Debüts" zu teilen: die Autorin beherrsche die "Konventionen ein bisschen zu perfekt".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.03.2007

Ijoma Mangold kommt angesichts dieses Debütromans von Marisha Pressl aus dem Staunen nicht heraus, und wenn es ihm auch schwer fällt, dem Buch sein Herz zu schenken, kann er doch nicht umhin, seine Vorzüge zu preisen. Dieses Werk macht ihr den Anschein einer "Wunderkind"-Tat, gelinge es der amerikanischen Autorin doch nicht nur mühelos, auf jeder Seite eine ungeheure Pointendichte aufzufahren, sondern auch mit einem beeindruckenden Wissensfundus und einer Erzählerstimme zu glänzen, die von der ersten Zeile an unverwechselbar und prägnant ist, so Mangold sehr beeindruckt. Das Buch ist eine Mischung aus Campus- und Roadmovie-Roman. Eine Tochter zieht jahrelang mit ihrem Vater, Dozent für Politikwissenschaft, von Gastprofessur zu Gastprofessur, und wird auf den Reisen mit nicht nur historischem Wissen geradezu vollgestopft. Die Vater-Tochter-Geschichte nimmt schließlich eine aberwitzige Wendung in krimiartige Abgründe, die Mangold nicht verraten will, die ihn aber offenkundig ganz schön durchgeschüttelt hat. Und nach dem ersten Drittel lässt er sich auch von der Pointen- und Zitatenflut, mit der er auf jeder Seite konfrontiert wird, nicht mehr irritieren, sondern gibt sich nur noch dem Sog der Ereignisse hin.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.03.2007

Viel Hype hat es in den USA gegeben um die junge Autorin Marish Pessl - Felicitas von Lovenberg hat aber ersichtlich keine Lust, da mitzutun. Vielmehr zeigt sie sich in erster Linie ziemlich verärgert über diesen Roman, den sie als über weite Strecken enervierenden Auswuchs postmoderner Besserwisser- und Zitatliteratur begreift. Kein Zweifel könne an der beträchtlichen Belesenheit Pessls bestehen, vor allem, weil sie bei den meisten Zitaten und Anspielungen, damit man sie auch mitbekommt, den Verweis aufs Vorbild gleich selbst dazuschreibt. Die Erzählung um das Vater-Tochter-Gangsterpärchen Gareth und Blue gerate nur sehr langsam in Gang, erst spät komme mit dem vermeintlichen Selbstmord einer Dozentin Spannung in die Geschichte. Nach all dem Schelten setzt es im letzten Absatz dann aber plötzlich doch noch Lob fürs junge, "außergewöhnliche Talent", das sich vor allem in der bei allen Zitaten eigenen Sprache beweise. Das mache "Die alttägliche Physik des Unglücks" noch nicht zu einem gelungenen Roman, aber immerhin zu einem Versprechen für die Zukunft.
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