Margaux Fragoso

Tiger, Tiger

Roman
Cover: Tiger, Tiger
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2011
ISBN 9783627001728
Gebunden, 440 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Andrea Fischer. An einem Sommertag in einem öffentlichen Freibad trifft Margaux Fragoso auf Peter Curran, der mit seinen Stiefsöhnen dort ist, und fragt, ob er mit ihr spielen will. Sie ist sieben, er 51. Als sie einige Zeit später mit ihrer Mutter in sein ungewöhnliches Haus eingeladen wird, findet das Mädchen dort ein zauberhaftes Kinderparadies vor, voller seltsamer Haustiere, Bücher, Musik und magischer Spielzeuge. Margaux Mutter ist liebevoll, aber vom Alltag überfordert und psychisch krank. Immer mehr überlässt sie Peter in fataler Verkennung dessen, was vor ihren Augen geschieht, ihre Tochter. Bald will Margaux ihre gesamte Zeit bei Peter verbringen, der eine ganze Welt für sie erschafft - ganz so wie Lewis Carroll es für Alice getan hat.
Ihre Beziehung entwickelt sich schnell vom Unschuldigen zum Illegalen. Mit der Zeit erschleicht sich Peter die Rolle von Margaux Spielkameraden, wird zu ihrem Vater, dann zum Liebhaber und Eroberer. Charmant und abstoßend, warmherzig und gewalttätig, liebevoll und manipulativ dringt Peter in jeden Bereich von Margaux Leben ein und verwandelt sie von einem vor Phantasie und Gefühl sprühenden Mädchen in eine jung-alte Frau am Rande des Suizids. Die Umwelt wird auf das ungleiche Paar aufmerksam, doch alle Erkundungen von außerhalb verlaufen im Sand. Als sie 22 ist, ist es Peter, der sich, gequält von der Angst, sie zu verlieren, mit 66 Jahren das Leben nimmt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.08.2011

Nach der Lektüre von "Tiger, Tiger" hatte Rezensentin Bernadette Conrad weniger das Bedürfnis zu schreiben als vielmehr laut zu schreien. So viel Verzweiflung ergreift sie über das hier von Margaux Fragoso beschriebene Kinderschicksal eines kleinen Mädchens, das, aufgewachsen bei einer nervenkranken Mutter und einem übermoralischen Vater, ab dem achten Lebensjahr in die Hände eines Mannes gerät, dessen "Zuneigung" sie bald mit sexuellen Diensten auf dem Kellerboden erwidern muss. Auch als sie immer weiter abmagert und depressiver wird, muss sie noch die manischen Redeflüssen ihres Vaters über Anstand über sich ergehen lassen. Auch wenn sich die Rezensentin selbst wundert, wie detailliert Fragoso ihre Erinnerungen niederschreibt, ärgert sie sich über die Entscheidung des deutschen Verlags, den im englischen Original als "memoir" bezeichneten Text als Roman herauszugeben. Dadurch wären Kritiker heraufbeschworen worden, die dem Buch aufgrund der undeutlichen Abgrenzung vom pädophilen Täter "mangelndes moralisches Bewusstsein" vorwarfen. Conrad liest den Text hingegen als persönliche, "packend" erzählte Missbrauchsgeschichte, die verdeutlicht, wie schwer der emotionale Ablöseprozess vom Täter auch Jahre nach der Tat noch ist.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.05.2011

Ijoma Monagold kann die Kritik, die vielfach an diesem Buch geübt wurde, nicht verstehen. Wenn sie darauf zielt der Autorin den Medienhype vorzuwerfen, findet er sie verlogen, besonders doof erscheinen ihm jedoch Vorschläge, die Autorin hätte ihre schrecklichen Erlebnisse ja aufschreiben können, ohne sie zu veröffentlichen. Also, stellt der Rezensent klar: Margaux Fragoso hat alles Recht der Welt, dieses Buch zu schreiben, und wie sie es getan hat, geht in Ordnung. Fragoso ist 14 Jahre lang von einem vierzig Jahre älteren Mann sexuell missbraucht wurden. Sie war sieben Jahre alt, als es begonnen hat. Womit die Autorin so viel Empörung auf sich gezogen hat, sind zwei Punkte. Zum einen schildert sie ihre Erlebnisse nie reflektiert aus der heutigen Zeit, sondern immer mit dem Erkenntnisstand des Kindes, die Erzählerin ist also nie klüger als die Protagonistin. Und zum anderen beschreibt sie den Mann nicht nur als einen teuflischen Peiniger, sondern einen, der ihr Nähe, Intimität und Liebe gab - und sie hat sich darin "glücklich eingerichtet", wie Mangold betont. Das war für ihn schwer erträglich, aber es erschien ihm auch wahr. Allerdings räumt er ein, dass er bei der quälenden Lektüre immer auch eine erlösende Reflexion, eine emotionale Klärung gewartet hat. Vergeblich. In einem Nachwort kommt die Autorin ihm dann entgegen, aber dies geschieht so papieren, meint er, dass er gut versteht, warum sie in ihrer Geschichte selbst darauf verzichtet hat.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 31.03.2011

Katharina Granzin ist von der Offenheit, mit der Margaux Fragoso in "Tiger, Tiger" ihre Missbrauchsgeschichte rekapituliert, beeindruckt und erschüttert, kann aber ein tiefes Unbehagen an dieser Art Aufarbeitung nicht verhehlen. Seit ihrem achten Lebensjahr wurde die amerikanische Autorin von einem Mann, den sie im Schwimmbad kennengelernt hatte, missbraucht, liest die beklommene Rezensentin. Irritierend für Granzin ist allerdings die große Distanzlosigkeit, mit der Fragoso aus der Perspektive des Kindes erzählt, bei gleichzeitiger, in dieser Präzision unglaubwürdiger, Gedächtnisschärfe fürs kleinste Details, wie sie findet. Demgegenüber gebe es keinerlei kommentierende Passagen eines "erwachsenen Bewusstseins", was das Ganze gespenstisch gegenwärtig erscheinen lasse, so die Rezensentin. Und deshalb hat sie auch erhebliche Zweifel am "therapeutischen Wert" dieses autobiografischen Berichts für seine Verfasserin, auch wenn sich die Autorin durchaus als talentierte Erzählerin präsentiert, wie Granzin meint.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.03.2011

Kurzen Prozess möchte Jutta Person mit diesem viel besprochenen Buch machen. Am besten, lässt sie mehr als nur durchblicken, wäre es, man bespräche es gar nicht, weder positiv (wozu ohnehin nicht der geringste Anlass bestehe) noch auch in einem Verriss. Es bleibe nämlich kaum anderes übrig, als zu konstatieren, dass es Margaux Fragoso hier überhaupt nicht gelingt, für die Geschichte ihres fünfzehn Jahre währenden Missbrauchs durch einen sehr viel älteren Pädophilen eine überzeugende literarische Form zu finden. Über die genaue, aber platte Schilderung der schrecklichen Widerfahrnisse gelange das nie hinaus. Kritik geht dabei freilich am ehesten in Richtung der Verlage, die um dieses Buch einen verkaufssteigernden "Hype" inszenierten.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.03.2011

Zu den nicht wenigen Dingen, die Rezensentin Felicitas von Lovenberg an diesem global an den Marktstart gebrachten Buch zu bemängeln hat, gehört die Genre-Bezeichnung, die ihm sein deutscher Verlag beigibt: "Roman" statt, wie im Original, "A Memoir". Gerade darauf, wie nah an der Wirklichkeit diese pädophile Liebesgeschichte liegt, komme es durchaus an. Auf die Unterstellung, dass, was sie schildert, sich in ihrem eigenen Leben zutrug, zielt die Autorin Margaux Fragoso. "Pädophile Liebesgeschichte": darin liegt der - kalkulierte - Skandal dieses Buchs, dessen Ich-Erzählerin mit kaum gebrochener Naivität von ihrer großen Liebe erzählt, so die Rezensentin. Als Siebenjährige lernt Fragoso den viel älteren Mann kennen, mit dem sie lange Jahre etwas verbindet, das sie eigentlich bis zuletzt für wahre Liebe hält. Im Nachwort werde das dann etwas distanzierter perspektiviert, aber da ist es für Felicitas von Lovenberg entschieden zu spät. "Verstörend" findet die Rezensentin das - meint es aber kaum als Kompliment für eine literarische Leistung, sondern als negatives Urteil über einen eklatanten Mangel an moralischem Bewusstsein für Form und Inhalt bei der Darstellung einer höchst problematischen Geschichte.
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