Lydie Salvayre

Die Macht der Fliegen

Roman
Cover: Die Macht der Fliegen
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2001
ISBN 9783608930139
Gebunden, 160 Seiten, 17,13 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Renate Nentwig. Es könnte eine wahre Geschichte sein: wie ein unauffälliger Mann zum Amokläufer wird. Dem Untersuchungsrichter vorgeführt, redet er - über sich, sein Leben, seine Träume. Eine einzige Stimme, an ein unsichtbares Gegenüber gerichtet.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 31.01.2002

Die Sozialpsychologin Lydie Salvayre gehöre nicht zu den Autoren, die durch Selbstinszenierung auf sich aufmerksam machen. Nur so erklärt sich Milo Rau die Tatsache, dass bisher nur einer ihrer Texte ins Deutsche übersetzt wurde und dieser preisgekrönte Roman vom deutschen Publikum nahezu unbeachtet blieb. Um so mehr bemüht der Rezensent sich darum, das Augenmerk des Lesers auf den zweiten auf dem deutschen Buchmarkt erschienen Roman dieser Autorin zu lenken. Hier werde in 21 Monologen das Bild eines Mannes entworfen, der, in der Kindheit "von seinem Vater liebesunfähig geschlagen", sich in einem gewalttätigen Hass einrichtet und zum Mörder wird. Neben dem Psychogramm eines psychisch deformierten Menschen sieht Rau in diesem Buch eine "genaue, brutale, bewundernswerte Parabel auf die Zerstörungsmacht des Denkens und der Literatur", die der Rezensent um so bemerkenswerter findet, als dass, wie er anmerkt, im Französischen, anders als im Deutschen, die Verzahnung von Gewalt, Ohnmacht und Sprache keine Tradition habe. Diese Verzahnung mache die Autorin in "meisterhafter Form" durch die zwanghafte Pascal-Lektüre des Protagonisten deutlich, die dieser schließlich auswendig lernt, ständig rezitiert und für seine krankhafte Gedankenwelt missbraucht, erklärt Rau. Von Roman zu Roman arbeite Salvayre mit den Mitteln der Groteske und der Übertreibung daran, "die Gesellschaft als Totale Schmerzmaschine, der der Einzelne nur im Akt einer intellektuellen Selbstvernichtung entkommt", zu entwerfen. In dem jüngsten Roman werde die Verwandlung von Opfern zu "wild zitierenden Intellektuellen und damit Tätern" gestaltet, lautet Raus abschließender Kommentar.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.12.2001

Sacha Verna ist ungemein beeindruckt von diesem Roman. Ein Ich-Erzähler sitzt im Gefängnis und gibt Untersuchungsrichter, Psychiater und Anwalt "verdächtig bereitwillig" Auskunft über sein Leben, das mit einem Verbrechen endete. Schuld sind ein bösartiger Vater, der Mutter und Sohn quälte und Stalin anbetete, und Blaise Pascal. Ausgerechnet dessen Pensées haben den Helden nämlich dazu verführt, sich mit seinem Vater auseinanderzusetzen, erzählt Verna. Fatalerweise wurde er seinem Vater dabei immer ähnlicher, schreibt die Rezensentin fasziniert. Salvayres Roman sei "Psychogramm und Geständnis, Kindheitserinnerung und Krankengeschichte" in einem. Die Rezensentin bewundert die Leichtigkeit, mit der es die Autorin es verstehe, den Leser in den Bann dieses Mannes zu ziehen, der "Lächerlichkeit und verzweifelte Würde" in sich vereine. Kein "sentimentales Histörchen" über einen grausam und zutiefst verletzten Menschen werde hier geliefert, sondern eine "perfid präzise Studie der Spezies Mensch", die Salvayre "meisterhaft" in Szene setzt, lobt Verna. Zudem sei es ihr gelungen, eine "glänzende Satire auf jenes bildungsbeflissene Bürgertum" abzufassen, das in Strandkleidung durch die Museen wetze und Kunstwerke am liebsten auf Kaffeetassen bewundere, meint Verna und fügt in einem letzte Satz an, dass diese "abgründige Prosa" auch Lesern gefallen wird, die nicht unbedingt den "Tiefgang" einlegen wollen.