Katharina Raabe (Hg.), Monika Sznajderman (Hg.)

Last & Lost

Ein Atlas des verschwindenden Europas
Cover: Last & Lost
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
ISBN 9783518417720
Gebunden, 338 Seiten, 29,80 EUR

Klappentext

Mit Fotos. Autorinnen und Autoren aus fünfzehn europäischen Ländern haben sie besonders inspirierende Orte besucht und erkundet - fragile Stadtviertel, zerfallene Dörfer, abbröckelnde Küstenstriche, deren Aura gefangennimmt, die ein Geheimnis bergen, das ergründet werden will. Liegt ihr Zauber darin, dass sie die letzten ihrer Art sind? Unterirdische Beziehungen, überraschende kulturelle Verwandtschaften zwischen weit voneinander entfernten Regionen werden sichtbar - Zeugen einer gemeinsamen Geschichte, deren undeutlich werdende Spuren kurz vor dem Verschwinden nachgezeichnet werden. Mit Texten von Juri Andruchowytsch, Vetle Lid Larssen, Karl-Markus Gauß, Dagmar Leupold, Lavinia Greenlaw, Lidia Jorge, Geert Mak, Christoph Ransmayr, Andrzej Stasiuk u.a.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.05.2006

Als "editorischen Glücksfall" versteht Rezensentin Ilma Rakusa die Zusammenarbeit von Autoren, Fotografen und Herausgeberinnen in diesem Band. Hier werde einmal keinem "Trend" hinterher gerannt, sondern ein wirkliches "Anliegen" verfolgt mit erzählerisch überaus starken Texten und Bildern. Meist berichten die Texte von toten Industriegebieten in Osteuropa, referiert die Rezensentin, es gibt aber auch die Geschichte eines früheren Grenzbahnhofs zwischen Russland und Preußen, ostenglische Küstenstädte, die im Meer verschwunden sind, ein Blick auf die nordöstlichste Stadt Europas, Vardo, oder der Bericht einer Bäuerin, die vom Betontod der Algarveküste erzählt. Einer möglichen Kritik, hier werde einer "ästhetisierenden Nostalgie" gefrönt, begegnet die Rezensentin mit dem Hinweis, natürlich erzählten alte Orte mehr als junge, aber die Art und Weise des Blicks und Tonfalls sei hier entscheidend: "Respektvoll, präzise und einfühlsam".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 30.03.2006

Im Aufmacher des Literaturteils verbindet Iris Radisch ihre Besprechung dieses Bandes mit einem Bericht von Symposium, das der Suhrkamp Verlag zusammen mit dem polnischen Czarny Verlag zu den verlorenen Landschaften organisiert hat, die nun zumindest ihre literarische Blüte feiern. Radischs steht dem Projekt "Last und Lost" ein wenig zwiespältig gegenüber. Keinen Zweifel lässt sie an der literarischen Qualität der meisten Texte, in denen europäische Schriftsteller die europäischen Peripherien vermessen. Andrzej Stasiuks Reisen durch sein Europa, das er liebevoll "balkanischen Saustall" nennt, nach Podolinec, Bajram Curri oder Tiszaszalka, sind natürlich längst Lietraturgeschichte; aber auch die Reportagen aus dem Norden Norwegens, von der portugiesischen Algarve-Küste oder aus der sowjetischen Militärstadt Kapustin Jar haben sie sehr beeindruckt, von einigen Ausrutschern in den Kitsch mal abgesehen. Doch meldet sich bei Radsich ein gewisses Unbehagen: Denn die versprochene Kampfansage der "rückständigen Schmuddelwelt" gegen das "tödlich herausgeputzten Zentrum" spürt sie in den Texten zu selten, ganz ungerecht kann sie den Vorwurf erhobenen Vorwurf einer "Ästhetisierung des Elends" nicht finden.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.03.2006

Alex Rühle versucht nicht, seine überschwängliche Begeisterung über diesen Sammelband zu zügeln, der sich parallel zu einer Ausstellung im Münchner Literaturhaus den Rändern Europas widmet. Nein, mit Blumen will er den Verlag und das Literaturhaus für dieses Projekt "beschmeißen". Fünfzehn Autoren haben sich dafür auf geopoetische Spurensuche durch Europa begeben, von Norwegen bis Albanien, von Spanien bis zur Ukraine, mit dabei sind natürlich Andrzej Stasiuk und Juri Andruchowytsch, aber auch Karl-Markus Gauß, Geert Mak, Dagmar Leupold und Lavinia Greenlaw. Wie eine "Fernwehmaschine", seufzt Rühle, wirke dieses Buch und er fragt bekümmert, ob es dies auch früher gegeben habe: "Ganze Gegenden, die nicht mehr gebraucht werden", oder die, wie er Stasiuk zitiert, "in einer Gegenwart steckenbleiben, die sich gnadenlos in eine immer fernere Vergangenheit entwickelt".
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.03.2006

Die "Ruinen der modernen Zivilisation" haben sich vor Rezensent Gerrit Bartels erhoben als er diesen Sammelband las, für den die Suhrkamp Lektorin Katharina Raabe und die polnische Verlegerin Monika Sznajderman fünfzehn Autoren zu den verlorenen Orten Europas geschickt haben. Der Litauer Marius Ivaskevicius schreibt über den "legendären" russischen Bahnhof Weshbolowo, Juri Andruchowytsch über eine transkarpatische Holzfällerstadt, Lidia Jorge aus Portugal und Karl-Markus Gauß über das österreichische Waldviertel. Mit einem Urteil hält Bartels sich zurück, aber wahrscheinlich spricht für sich, dass die taz ihre Literaturbeilage mit Andrzej Stasiuks Beitrag zu diesem Band eröffnet hat.